Mögliche Ausspähung von Merkels Handy:Leutheusser sieht "alle Dimensionen" gesprengt

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Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU,l) und Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) im Bundestag in Berlin. (Foto: picture alliance / dpa)

Der mögliche Lauschangriff auf das Mobiltelefon der Kanzlerin ruft bittere Solidarität bei der Opposition hervor. Und die scheidende Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger liefert via Twitter eine Replik auf Kanzleramtschef Pofalla, der einst die NSA-Affäre für beendet erklärt hatte.

Aufklärung fordern alle Parteien, nun, nachdem publik wurde, dass US-Geheimdienste vermutlich das Handy von Kanzlerin Angela Merkel angezapft haben. Noch gibt es keine neue Regierungskoalition, doch in der Schärfe der Formulierungen zeigt sich, wer künftig sehr wahrscheinlich in der Opposition sitzt. Und wer bald nicht mehr dabei ist.

Zuerst der künftige Oppositionsführer. Der Linke-Fraktionschef Gregor Gysi sagte mit Blick auf die Causa: "Diese Unverschämtheiten der USA müssen endlich unterbunden werden. Die USA ist keine Macht, der die Welt gehört." Gysi erklärte, er erwarte jetzt "nicht nur Proteste, sondern ernstzunehmenden Widerstand".

Die Grünen hielten Merkel das eigene mangelnde Engagement angesichts der schon seit Monaten gärenden Spähvorwürfe gegen den US-Nachrichtendienst NSA vor. Die Fraktionsvorsitzende Katrin Göring-Eckardt kritisierte in den ARD- Tagesthemen, es sei "absurd", dass die Bundesregierung die Affäre vor der Bundestagswahl für beendet erklärt habe, als sie vermeintlich nur die normalen Bürger betroffen habe. "Und jetzt greift die Kanzlerin direkt zum Telefon und macht gegenüber Obama deutlich, dass sie erschüttert und entsetzt ist." Sie sei erschüttert darüber, dass viele Bürger abgehört würden und "auch darüber, dass es jetzt die Kanzlerin trifft".

Göring-Eckardts Ko-Fraktionschef Anton Hofreiter ging die Kanzlerin direkt an: "Frau Merkel muss offenlegen, wann sie was gewusst hat", sagte der Grüne der Passauer Neuen Presse. Falls die Regierung bereits vor der Bundestagswahl von der Ausspähung gewusst habe, wäre dies Wählertäuschung und müsse Konsequenzen haben.

Auch die nicht mehr im Bundestag, aber geschäftsführend noch mitregierende FDP meldete sich zu Wort. Noch-Außenminister Guido Westerwelle bestellte den US-Botschafter zum Rapport ins Auswärtige Amt. Und die scheidende Justizministerin und stellvertretende FDP-Chefin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger meldete über Twitter.

Der Satz "Die NSA-Affäre ist nicht beendet" darf wohl als späte Replik auf den Merkel-Vertrauten Ronald Pofalla verstanden werden.

Der für die Koordination der Geheimdienste zuständige Kanzleramtschef Ronald Pofalla hatte die NSA-Affäre im August für beendet erklärt, Merkel selbst hatte die amerikanische Aufklärungsarbeit mit Terrorabgewehr gerechtfertigt ( hier eine Zusammenstellung entsprechender Zitate).

"'Mutti'-Gefühle für Datenschutz entwickeln"

Regierungssprecher Steffen Seibert hat inzwischen Spiegel-Recherchen bestätigt, wonach es ernstzunehmende Hinweise auf eine mögliche Überwachung von Merkels Handy gibt ( hier das vollständige Statement). Das Weiße Haus in Washington versicherte anschließend, Merkel werde aktuell nicht von US-Geheimdiensten ausspioniert. Allerdings wich Washington der Frage aus, ob Merkels Handy in der Vergangenheit ausgespäht worden sei.

In Merkels eigener Partei ist die Empörung groß. Der CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach warf den USA Hinhaltetaktik bei der Aufklärung der Spionagevorwürfe gegen Deutschland vor. Die US-Regierung habe den Fragenkatalog immer noch nicht beantwortet, den die Bundesregierung ihr nach den ersten Berichten über die Abhörpraxis des US-Geheimdiensts NSA übermittelt hatte, sagte Bosbach dem Tagesspiegel.

Elmar Brok, CDU-Angeordneter im Europaparlament und Chef des Auswärtigen Ausschusses, meldete sich in der BBC zu Wort. Brok hält eine enge Zusammenarbeit mit Washington nicht mehr für möglich, sollten die Vorwürfe zutreffen.

Broks Stellungnahme könnte auch ein Hinweis darauf sein, dass Europas Konservative ihre Haltung bei der Weitergabe von Bankdaten an die USA und dem Freihandelsabkommen überdenken. Am Vortag hatte das Europäische Parlament die Aussetzung des Swift-Abkommens zur Übermittlung von Bankkundendaten an die USA gefordert - Brok und seine Fraktionskollegen waren gegen die Resolution.

Inzwischen forderte der deutsche Datenschutzbeauftragte Peter Schaar den Europäischen Rat via Twitter auf, das Swift-Abkommen auszusetzen.

Die deutsche FDP-Europaabgeordnete Nadja Hirsch forderte die europäischen Staats- und Regierungschefs auf, auf dem anstehenden EU-Gipfel das Swift-Abkommen zu stoppen. Besonders Merkel müsse jetzt zeigen, dass sie sich wirklich um die Belange der Bevölkerung kümmert: "'Mutti' muss endlich Muttergefühle für das Thema Datenschutz entwickeln - und zwar nicht erst, wenn sie selbst betroffen ist", erklärte Hirsch.

Merkel galt bislang als Verteidigerin von Aufklärungsaktivitäten der US-Geheimdienste, vielleicht ändert sich dies jetzt, da sie selbst möglicherweise ausspioniert wurde. In Paris sorgen die Überwachungsmaßnahmen der Amerikaner seit Tagen für große Aufregung, nun kippt das amerikafreundliche Klima möglicherweise auch in Berlin. Damit ist die Stimmung in den beiden größten EU-Staaten gegenüber den USA derzeit nicht gerade positiv.

In Washington versucht man die Aufregung zu dämpfen. Nach dem wachsweichen Dementi des Weißen Hauses meldete sich auch der Vorsitzende der deutsch-amerikanischen Parlamentariergruppe im Repräsentantenhaus zu Wort. Jim Gerlach kann sich die Überwachung Merkels durch Geheimdienste nicht vorstellen. Bislang gebe es nur "reißerische" Medienberichte, die nicht bestätigt seien, erklärte der republikanische Kongressabgeordnete.

Ganz sicher aber scheint sich auch Gerlach nicht zu sein: "Ich würde hoffen, dass die NSA sich nicht auf Aktivitäten eingelassen hat, die unsere bilateralen Beziehungen mit Deutschland untergraben würden."

© Süddeutsche.de/AFP/dpa/odg - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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