Ost- und Südostasien:In Chinas Hinterhof rumort es

FILE PHOTO: China's Liaoning aircraft carrier with accompanying fleet conducts a drill in an area of South China Sea

Chinesische Flotte: Im Südchinesischen Meer prallen die Großmächte Peking und Washington militärisch aufeinander.

(Foto: Reuters)

Das östliche Asien ist für viele Europäer eine schöne, heile Welt. Jetzt kommen von dort lauter schlechte Nachrichten. Für einen kollektiven Abgesang ist es aber noch zu früh.

Kommentar von Arne Perras

Als Sehnsuchtsort hat sich Südostasien in europäischen Köpfen eingenistet. Millionen Menschen treten die Flucht aus dem frostigen Winter an, um nahe dem Äquator Sonne und Zuversicht zu tanken. Dort fühlen sie sich sicher und von sanftmütigen, ewig lächelnden Tourismus-Profis umsorgt. Balsam für die Krisen-Seele, Asien-Spa für Europa.

Auch westliche Ökonomen und Politiker begeistern sich für die südlichen Nachbarn Chinas. Die sogenannten Tiger-Staaten haben die Asienkrise längst überwunden, seither dienen sie anderen Regionen als Projektionsfläche für eine bessere Zukunft. Minister preisen bei Besuchen Stabilität und Dynamik, beklatschen Disziplin und Fleiß. Sie hoffen, dass in unruhigen Zeiten wenigstens die Märkte rund ums Südchinesische Meer, das man "Highway der Weltwirtschaft" nennt, weiter wachsen. Doch mitten in dieses Bild von der hübschen heilen Wachstumswelt ist nun ein Autopsie-Bericht geplatzt.

Die Länder in Chinas Hinterhof kämpfen um ihre Stabilität

Eine chemische Massenvernichtungswaffe findet ihren Weg auf den Flughafen von Malaysias Hauptstadt Kuala Lumpur. Zwei weibliche Todesengel führen mit dem Nervengift VX einen bizarren Auftrag aus, den ein Agententhriller nicht hätte besser erfinden können. Ein Brudermord am Check-in? Nach dem Tod von Kim Jong-nam starrt die Welt auf Nordkorea und dessen Herrscher Kim Jong-un. Der Anschlag schockiert in seiner Dreistigkeit und lenkt den Blick auf ein Despoten-Regime, dessen offenkundige Paranoia die Region sprachlos macht.

Nordkorea symbolisiert den Abgrund dynastisch organisierter Macht. Die Familie herrscht in dritter Generation, ihre Macht ist nicht verhandelbar, es gibt keinen Gesellschaftsvertrag, der die Interessen der Massen unter der Kim-Dynastie berücksichtigt. Stattdessen sichert Staatsterror das Überleben eines Diktators, der an einer atomaren Keule schnitzt. Zwar macht das Ausmaß der Menschenverachtung Nordkorea zum krassen Außenseiter unter den Nachbarn Chinas. Aber die dynastische Dimension von Herrschaft gibt es auch anderswo.

Politik als Erbhof einzelner Familien ist ein Faktor, der die Geschichte vieler asiatischer Staaten seit dem Kriegsende 1945 geprägt hat. Familiäre Netzwerke bestimmten die postkoloniale Ordnung, sie ebneten den Weg für den Aufstieg, sorgten manchmal für Stabilität. Doch im dynastischen Erbe lag zugleich auch immer ein Keim für Konflikte.

Massenproteste brachten Südkoreas Präsidentin Park Geun-hye zu Fall, Tochter eines Militärdiktators. Sie stürzte über Korruptionsvorwürfe, nun lähmt ein Machtvakuum den Staat. Weiter südlich wütet der Philippiner Rodrigo Duterte. Er gewann die Wahl, weil er sich als radikaler Gegenentwurf zum Familienfilz reicher Politik-Eliten empfahl. Seine Medizin zur Gesundung ist der Anti-Drogen-Krieg. Ob der Patient überlebt, weiß man nicht. Im Inselreich Indonesien tastet sich Joko Widodo voran. Er stemmt sich gegen religiöse Hardliner, muss aber auch die Erben der Präsidenten Sokarno und Suharto bei Laune halten, die sonst seinen Sturz organisieren könnten.

Sicheres östliches Asien? Eher eine Region mit vielen Problemen

Pjöngjang, Seoul, Manila, Jakarta: Im Hinterhof Chinas gärt es. Wer auf die Landkarte blickt, mag einen Krisenbogen erkennen, der sich sichelförmig von Nordkorea bis nach Indonesien erstreckt. Doch soweit das Bild nahelegt, dass die Spannungen miteinander verknüpft sind, ist es trügerisch. Zwar spielt das dynastische Erbe fast überall eine Rolle. Korruption und mangelnde Verteilungsgerechtigkeit schüren Konflikte. Aber anders als Nordkorea sind die übrigen drei Länder demokratische Systeme. Und die Probleme des einen sind nicht zwingend die Last des anderen. Die Staaten kreisen politisch stark um sich selbst, obgleich sie sich ökonomisch längst geöffnet haben.

Einerseits ist Südostasien nicht die schöne heile Welt, von der viele Europäer träumen, das war sie nie. Andererseits ist aber auch nicht zu erwarten, dass die Region plötzlich ins kollektive Chaos taumelt. Eine robuste Wirtschaft macht einen raschen Absturz unwahrscheinlich, die Region bleibt im Aufwind. Meldungen über Menschenjagd und Brudermord sind verstörend, doch keine Vorboten einer breiteren Krise. Selbst wenn die Lage in einzelnen Staaten eskalieren sollte, wären Kettenreaktionen eher unwahrscheinlich.

Viel gefährlicher wäre ein Szenario im Südchinesischen Meer, bei dem die Großmächte Peking und Washington militärisch aufeinanderprallten. Gefechte in dieser für die Weltwirtschaft so wichtigen Region wären ein Gift, für das sich so schnell kein Serum finden ließe. Und das den Brudermord von Kuala Lumpur ganz schnell vergessen ließe.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: