Krieg in Syrien:In der syrischen Katastrophe ist nichts zu gewinnen

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Notunterkunft in einer Turnhalle: Die Flüchtlinge kommen, weil sie in ihrer Heimat nicht bleiben können. (Foto: Peter Kneffel/dpa)

Der Krieg in Syrien hat den Belegungsplan jeder dritten deutschen Gemeindeturnhalle verändert. Leitet die Einigung auf einen Waffenstillstand nun endlich eine Wende ein?

Kommentar von Stefan Kornelius

Syrien musste man sich lange vorstellen wie den Baum der Erkenntnis. Der mag verwachsen sein, und seine Äste kreuzen sich wild in der Krone. Aber unten am Stamm hängt ein Schild mit einer klaren Ansage: "Achtung Sündenfall. Nicht berühren." An diese Mitteilung halten sich die braven Europäer und ganz besonders auch die USA. Für das Ästchen Islamischer Staat haben sie sich zwar eine Ausnahmeerlaubnis besorgt. Der Rest dieses Baumes aber bleibt unantastbar.

Das ist die Tragödie dieses Krieges. Syrien ist eine Gewalthölle. Syrien ist ein Vulkan, der Abertausende Menschen ausspuckt und in die Flucht treibt. Syrien ist inzwischen die Schutthalde der Machtambitionen der arabischen und persischen Welt. Und Syrien ist jetzt auch die Billardkugel, mit der Wladimir Putin spielt, um ein anderes Ziel zu treffen: ein immer schwächeres und gespaltenes Europa. Aber am Ende blieb Syrien unantastbar. Selbst Russland scheint nun verstanden zu haben, dass es von den verbotenen Früchten nicht leben kann.

Der Krieg in Syrien überfordert alle

Dieser Krieg hat den Belegungsplan jeder dritten deutschen Gemeindeturnhalle verändert, er stellt die Grundüberzeugungen Europas infrage, er radikalisiert Gesellschaften bis hinein nach Skandinavien, er bringt die Länder an der unmittelbaren syrischen Grenze an den Rand des Kollapses und hat in der Türkei einen Bürgerkrieg mitverursacht.

All die Probleme wurden erkannt und benannt. Aber dabei blieb es weitgehend. Bis jetzt in München die vielen an diesem Krieg beteiligten Mächte einen wackeligen Plan zur Durchsetzung eines Waffenstillstands beschlossen haben. Nach dem Waffenstillstand könnten Friedensgespräche beginnen. Oder auch nicht. Der Baum der Erkenntnis hat einen neuen Trieb. Der kann auch wieder abbrechen.

Was hat den plötzlichen Sinneswandel bewirkt? Und wird er anhalten? Russland hat in den vergangenen Tagen die militärische Auseinandersetzung dominiert. Aus der Luft hat die Schutzmacht des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad den Schutt der wichtigen Stadt Aleppo in Asche verwandelt. Aber auch für Russland gilt die selbe Erkenntnis, die schon die Anti-IS-Koalition im Osten des Landes lernen musste: Aus der Luft ist dieser Krieg nicht zu gewinnen.

Frieden jetzt - oder Krieg, bis Sieger und Besiegte feststehen

Denn am Boden liefern sich zutiefst entschlossene Milizen einen erbarmungslosen Kampf. Davon ging eine klare Botschaft an die Friedensverhandler in München aus: Diesen Bodenkrieg werden weder die verbliebenen Truppen Assads noch seine zur Hilfe geeilten Milizen der Hisbollah und Irans gewinnen. Russland selbst wird keine Bodentruppen entsenden, weil auch für Wladimir Putin der Preis zu hoch ist.

Für Moskau gilt vor allem die selbe Porzellanladen-Weisheit, wie schon im Donbass: Wer etwas zerbricht, der muss dafür zahlen. Für Putin waren die langfristigen Aussichten in diesem Krieg trotz der vermeintlichen Erfolgsmeldungen der vergangenen Tage nicht rosig: Selbstverständlich hätte das Bombardement nicht zu einer schnellen Kapitulation der sunnitischen Gegner geführt, sondern nur zu einer neuen Eskalation. Diese Gruppen wären bald mit moderner Flugabwehrtechnik ausgestattet worden - Unterstützer haben sie genug. Dann wäre das Gemetzel weiter eskaliert. Die Logik des Krieges ist binär: Frieden jetzt - oder Krieg, bis Sieger und Besiegte feststehen.

Bürgerkrieg
:Studie: Doppelt so viele Tote in Syrien wie vermutet

Die Vereinten Nationen gehen von etwa 250 000 Kriegsopfern in Syrien aus. Wissenschaftler sagen nun: Es sind 470 000.

Russland, das mit enormen wirtschaftlichen Problemen zu kämpfen hat und durchaus noch an seinem Afghanistan-Trauma leidet, hat weder die Ressourcen noch die politischen Ambitionen, die Verantwortung für dieses Trümmerfeld zu übernehmen. Das Bombardement von Aleppo war ähnlich wie die letzte Schlacht im Donbass um den Eisenbahnknoten Debalzewe ein donnernder Auftakt zum politischen Prozess. Den hätte man früher haben können. Russlands Machtdemonstration hat das Leiden unnötig verlängert und gar gesteigert.

Die USA und die europäischen Verhandler in Sachen Syrien haben nicht viel mehr leisten können, als Russland und auch der syrischen Regierung die Ausweglosigkeit ihrer Lage vorzuführen. Ruhmvoll ist auch ihre Rolle nicht in diesem Krieg. Man mag diesen Realismus begrüßen - zu ihm gehört dann aber auch die nächste Botschaft: Wer den Krieg akzeptiert, der muss auch die Flüchtlinge akzeptieren. Wer Syrien nicht stoppt, muss auch mit dem Zerfall leben, den Syrien bis weit nach Europa hinein auslöst.

Diese Flüchtlinge kommen nicht nach Europa, weil Angela Merkel ein Selfie-Bild gemacht hat oder angeblich alle eingeladen hat. Das ist eine böswillige Verknappung, die sich angesichts der Komplexität verbietet. Die Menschen kommen, weil sie nicht bleiben können, wo sie gerade sind.

Dieser Krieg hat Europa einen Realitäts-Check aufgezwungen

Es gehört zu den Ammenmärchen nicht nur aus der bayrischen Staatskanzlei, dass die Fluchtbewegung hätte gestoppt werden können. Man wird die Menschen abschrecken und ihnen den Weg erschweren können, aber man wird ihnen nie die Hoffnung nehmen, dass sie es auf europäischem Boden auch im erbärmlichsten Lager besser haben als in Syrien.

Dieser Krieg hat Europa einen Realitäts-Check aufgezwungen, den die meisten Menschen noch immer verweigern: Die deutschen, die europäischen Probleme mit den Flüchtlingen beginnen nicht auf Lesbos oder an der Grenze bei Passau. Sie beginnen in Syrien und sie werden versinnbildlicht von den Aleppo-Flüchtlingen, die nun zu Zehntausenden an der türkischen Grenze bei Kilis im Lager festsitzen, weil sie weder zurück können noch nach vorne dürfen.

Syrien ist das Alpha und Omega der größten Menschheitskrise dieser Tage. Syrien ist Kriegsort, Mittelpunkt des Zerfalls der islamischen Staatenwelt, Terror-Ground-Zero, ein humanitäres Katastrophengebiet. Gleichzeitig aber wurde Syrien weitgehend ausgeblendet als Ursache für die vielen, vielen Folgekrisen, die dieser Krieg inzwischen verursacht hat.

Die Aussicht auf den Waffenstillstand erlaubt nun eine viel größere Hoffnung: Dass die Realitätsverweigerung umschlägt und der Mut wächst, auch die nächsten großen Krisen, etwa in Libyen, abzuwehren, so lange es noch geht.

© SZ vom 13.02.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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