Krieg in Syrien:"Assads Angriffe gelten Zivilisten, kein Zweifel"

Krieg in Syrien: Syrer suchen in den Trümmern von Aleppo nach Überlebenden.

Syrer suchen in den Trümmern von Aleppo nach Überlebenden.

(Foto: AFP)

Alle zwei Monate reist Adnan Wahhoud nach Syrien, um Arztpraxen mit Medikamenten und Geld zu versorgen. Ein Gespräch über die Gräuel des Krieges - und wie man helfen kann.

Interview von Benedikt Peters

Seit drei Jahren tut Adnan Wahhoud etwas ziemlich Einzigartiges. Andere würden sagen: etwas Wahnsinniges. Von Lindau am Bodensee aus reist er alle zwei Monate nach Syrien, verteilt Medikamente, bezahlt Ärzte und Krankenpfleger. Mit Spenden finanziert der 65-Jährige sechs "Medical Points", wie er sie nennt - Arztpraxen, die vor allem Kinder behandeln. Am Freitag beginnt die nächste Reise.

SZ: Sie reisen morgen nach Syrien - ausgerechnet in die Gegend um Aleppo, der Stadt, die seit Wochenbeginn wieder von schweren Luftangriffen heimgesucht wird. Haben Sie keine Angst?

Adnan Wahhoud: In dieser Gegend leben etwa fünf Millionen Menschen. Ich bin genauso gefährdet wie sie. Aber darum geht es nicht. Diese Menschen brauchen Hilfe.

Wie genau helfen Sie?

Ich habe vor drei Jahren damit begonnen, in den Provinzen Idlib und Aleppo im Nordwesten Syriens sogenannte "Medical Points" aufzubauen. Das muss man sich vorstellen wie Arztpraxis und Apotheke in einem. In jedem Medical Point arbeiten Ärzte, Apotheker, Krankenpfleger. Alle zwei Monate fahre ich hin, zahle die Gehälter, bringe Medikamente. Ich finanziere das mit Spendengeldern. Pro Medical Point brauche ich monatlich 1500 bis 2000 Euro. Inzwischen können wir sechs unterhalten.

Die türkisch-syrische Grenze ist seit eineinhalb Jahren blockiert. Wie gelangen Sie nach Syrien?

Damit einen die türkischen Grenzschützer durchlassen, braucht man zwei Dinge. Einen syrischen Pass und eine Registrierung als Helfer. Die Registrierung bekommt man heute nicht mehr, vor drei Jahren aber, als ich anfing, ging das noch. Die Leute an der Grenze kennen mich inzwischen. Sie lassen mich durch.

Bei allen Schrecken ist der Krieg in Syrien auch ein Kampf um Deutungen. Russland und das Assad-Regime behaupten, Terroristen anzugreifen. Der Westen hingegen beschuldigt sie der Barbarei und gezielter Attacken auf Zivilisten. Welchen Eindruck haben Sie?

Assads Angriffe gelten Zivilisten, kein Zweifel. Einmal habe ich gesehen, wie Bomben auf eine Schule fielen. Ein Vater kam, er wollte seine drei Kinder abholen. Doch er ging wieder nach Hause, ohne sie. Alle drei Kinder waren in den Trümmern gestorben. Ein anderes Mal war ich auf einer Straße unterwegs. Da war viel Betrieb: Bäckereien, Obsthändler, Wechselstuben. Am nächsten Tag kam ich wieder, und da war nichts mehr, nur Trümmer.

Seitdem Assad zu Wochenbeginn die Waffenruhe aufgekündigt hat, sollen die Zustände in Aleppo noch einmal schlimmer geworden sein. Was hören Sie aus der Stadt?

Ich habe Bekannte dort. Sie schreiben, dass sie große Angst haben und kaum schlafen können. Sie haben auch Bilder geschickt, auf denen sind große Krater zu sehen, die Assads Bomben gerissen haben. Die Explosionen gingen so tief in die Erde, dass sie Wasserleitungen zerstört haben. Viele Menschen befürchten, sie könnten verdursten oder verhungern, wenn die Belagerung weitergeht.

A. Wahhoud

Wahhoud kam zum Studium nach Deutschland und ist seit 2011 eigentlich in Rente - bis in seiner alten Heimat der Krieg ausbrach.

(Foto: privat)

Wurden Ihre Medical Points auch schon beschädigt?

Bisher haben wir Glück gehabt. Sie liegen aber auch nicht im Stadtgebiet, sondern zum Teil im Umland Aleppos, zum Teil sind sie etwas weiter weg. Nur vor einem Monat, da ist am Medical Point in Takad eine Bombe im Hinterhof eingeschlagen. Sie hat zwei Nachbarhäuser zertrümmert, bei uns waren die Scheiben kaputt. Die Mitarbeiter haben alles repariert und einen Tag später wieder Patienten behandelt.

Was fehlt Ihnen bei der Arbeit, womit könnte man noch helfen?

Sechs Medical Points sind schön und gut, aber es bräuchte viel mehr von ihnen. Viele Krankenhäuser sind zerstört, die Ärzte schaffen es längst nicht mehr, alle Verletzten zu behandeln. Deswegen sterben viel zu viele Menschen. Wir brauchen also vor allem Spenden. Außerdem fehlt es an medizinischen Geräten. Ich kann sie über die Grenze bringen.

Wie bewegen Sie sich in Syrien fort?

Mit dem Auto. Bei mir sind zwei bis drei bewaffnete Mitglieder der Freien Syrischen Armee (FSA), sie beschützen mich. Ich gehöre nicht zu ihrer Gruppierung, ich bin unabhängig. Der Schutz aber ist notwendig. Wer unbewaffnet reist, wird oft entführt oder umgebracht. Ich werde beschützt, weil die FSA die Medical Points befürwortet.

Sie sind 65 Jahre alt, Sie könnten sich in Lindau am Bodensee auch ein schönes Leben machen. Was treibt Sie an?

Ich kam zum Studium nach Deutschland und habe dann viele Jahre als Leiter der Forschungsabteilung eines Unternehmens gearbeitet. Als ich 2011 in Rente ging, war auf einmal Krieg in meiner alten Heimat ausgebrochen. Die Menschen rufen nach Freiheit, nach Menschenwürde und nach Demokratie. Das erscheint mir richtig. Deswegen habe ich beschlossen, zu helfen. Und das werde ich tun, so lange ich gesund bleibe.

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