Koalition:Rot-Rot-Grün kann als Zweckgemeinschaft funktionieren

Bundestag zum Haushalts-Etat 2017

SPD-Vorsitzender Sigmar Gabriel und der Fraktionsvorsitzende der Linken als mögliche Koalitionspartner? - Rot-Rot-Grün im Bund ist unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich.

(Foto: picture alliance / dpa)

Ein Links-Bündnis nach Berliner Vorbild ist im Bund wenig wahrscheinlich, aber möglich. Es wäre die Stange, um die vermeintlich unbesiegbare Merkel aus dem Stuhl zu hebeln.

Kommentar von Nico Fried

Michael Müller ist bislang ein eher unscheinbarer Regierender Bürgermeister von Berlin. Die Landtagswahl vor einigen Wochen hat er mit einem Ergebnis hinter sich gebracht, das mit einem Sieg so viel zu tun hatte wie Analogkäse mit Büffelmozzarella. Und doch ist Michael Müller seit Donnerstag eine historische Figur: 26 Jahre nach der deutschen Einheit führt er als erster Sozialdemokrat eine Landesregierung aus SPD, Grünen und Linken. Das ist eine erstaunliche Tatsache, wenn man bedenkt, was sich seit 1990 schon alles zu Koalitionen verbündet hat.

Schwarz-Grün, Ampeln, Jamaika, sogar CDU, SPD und Grüne - das Sortiment ist breit. Auch SPD und Linke haben zusammen regiert, nicht zuletzt in Berlin, obgleich das eher eine Koalition aus West und Ost war. SPD, Grüne und Linke hingegen - schnell mal leichtfertig als linkes Lager bezeichnet - finden schwer zueinander. Für die SPD ist das bislang nur letzte Zuflucht gewesen: in Hessen, wo Rot-Rot-Grün gleichwohl nie zustande kam; in Thüringen, wo sich die Splitter-SPD in die Obhut eines linken Ministerpräsidenten rettete; und jetzt in der Hauptstadt.

Nicht trotzdem, sondern gerade deshalb ist Rot-Rot-Grün auch eine Option für den Bund. Hier darbt die SPD ja ebenso. Willy Brandt löste einst Kopfschütteln aus, als er mickrige 43 Prozent für ein "schönes Ergebnis" bei einer Bundestagswahl hielt. Heute hängen die Sozialdemokraten in den Umfragen bei 50 Prozent - 50 Prozent von 43. Die sogenannte R2G-Koalition wäre mithin die einzige, die der SPD eine Chance auf das Kanzleramt eröffnen könnte. Und selbst diese Chance ist nicht besonders groß.

Taugt eine Landesregierung wie die in Berlin als Modell?

Wenn aber die Mehrheit nach der Wahl da sein sollte, werden SPD, Linke und Grüne sie nutzen. Es wäre die Stange, um die vermeintlich unbesiegbare Angela Merkel nach 12 Jahren doch aus dem Stuhl zu hebeln - mit Ansage und nicht, wie es mit der bestehenden rot-rot-grünen Mehrheit im Bundestag der Fall wäre, auf der Basis eines Wortbruchs. Wer sich als Politiker diesen Eintrag im Geschichtsbuch entgehen ließe, dem würde vermutlich Merkel selbst den Vogel zeigen.

Aber würde so eine Regierung auch am Tag danach funktionieren? Und taugt eine Landesregierung wie die in Berlin dafür als Modell? Eine rot-rot-grüne Koalition im Bund wäre, anders als es Rot-Grün unter Schröder und Fischer war, nicht die Regierung einer Generation, sie wäre auch kein Projekt, sie wäre eine Zweckgemeinschaft. Das hätte sie mit Müllers rot-rot-grüner Koalition gemeinsam. Auch die ist kein Projekt, sie tut nur so und bemüht sich, aus der Not des Wahlergebnisses, das sie hervorgebracht hat, eine Tugend zu machen.

Trotzdem kann diese Regierung funktionieren, speziell in Berlin, wo die Probleme so offenkundig sind. Es bleibt das Geheimnis der drei Parteien, wofür sie fast 200 Seiten Koalitionsvertrag brauchen in einer Stadt, in der sich Wohl und Wehe der Regierung an ausreichend Wohnraum, anständigen Schulen und einer funktionierenden Verwaltung entscheidet. Die Tatsache, dass die Berliner Kummer gewöhnt sind, hat für die Koalition zudem den Vorteil, dass die Bürger mit wenig schon zufrieden wären. Das könnte auch Michael Müller helfen, den immer noch die vage Hoffnung begleitet, dass das, was er bisher gezeigt hat, nicht sein ganzes Potenzial war. Immerhin ist er ein machtbewusster Sozialdemokrat, der regieren will. Womit wir bei den Unterschieden zu Rot-Rot-Grün im Bund sind.

Spitze der SPD besteht aus lauter Ichweißnichtgenaus

Die Spitze der SPD besteht einstweilen noch aus lauter Ichweißnichtgenaus und Vielleichtdochlieberdus. Selbst in Frankreich, wo die Sozialisten schon da sind, wo die SPD noch enden könnte, reichen die Finger einer Hand kaum, um alle Aspiranten für das Präsidentenamt zu zählen, trotz Wirtschaftskrise und Terroranschlägen. Wie es aussieht, ändert an der Mutlosigkeit der deutschen Sozialdemokratie auch die Tatsache nichts, dass die Kanzlerin seit dem Tag, an dem sie ihre erneute Kandidatur verkündete, so wirkt, als halte sie die Entscheidung nun plötzlich doch für einen Fehler.

Rot-Rot-Grün im Bund ist unwahrscheinlich, aber nicht unmöglich. Eine einzelne Landesregierung kann dafür kaum Modell sein. Kämen 2017 in Kiel, Saarbrücken und/oder Düsseldorf noch rot-rot-grüne Koalitionen dazu, könnte das zumindest Normalität suggerieren. Zugleich wüchse mit jeder Landeskoalition das Risiko für die R2G-Bundesparteien, denn auch ein, zwei funktionierende Regierungen könnten nicht ausreichend werbewirksam sein, um die abschreckende Wirkung auch nur einer rot-rot-grünen Chaos-Truppe auszugleichen. Dann hätte Merkel im Bund ein Spiel, das leichter wäre, als sie es derzeit selbst erwartet.

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