Katalonien-Krise:Spanien gewinnt den Machtkampf

  • Spaniens Regierung beschließt die Absetzung der Regionalregierung in Barcelona.
  • Die Entmachtung der katalanischen Führung soll sich schrittweise vollziehen, binnen sechs Monaten soll es Neuwahlen geben.
  • Spaniens Ministerpräsident Rajoy strebt offenbar nicht an, einen Statthalter Madrids in Barcelona einzusetzen.

Von Thomas Urban, Barcelona

Wohl in den meisten Bars in der Innenstadt von Barcelona lief am Mittag in den Fernsehern in der Ecke über dem Eingang oder dem Spielautomaten der spanische Nachrichtenkanal. Aus Madrid wurde die 22-minütige Erklärung des spanischen Premierministers Mariano Rajoy über die bevorstehende Absetzung der katalanischen Führung übertragen. Die meisten der Barbesucher, die den freien Samstag mit einem ausgedehnten Kaffee und einer Plauderei mit Gleichgesinnten begannen, schienen es gleichgültig hinzunehmen, weder gab es Protestrufe noch Pfiffe.

Es war ja auch niemand überrascht: Seit Tagen stand fest, dass die Zentralregierung in Madrid bei ihrer Kabinettssitzung am Samstagmorgen die Absetzung der Regionalregierung in Barcelona beschließen wollte.

Doch am Nachmittag versammelten sich Zehntausende Demonstranten mit den Fahnen der katalanischen Unabhängigkeitsbewegung, um gegen die Entscheidung der Regierung in Madrid zu protestieren. Sie sind aus allen Ecken und Enden Kataloniens zu der Großkundgebung gebracht worden. Puigdemont und Minister seines Kabinetts stießen zu dem Protestmarsch hinzu.

Die Entmachtung der katalanischen Regierung läuft bereits

Barcelona war nie eine Hochburg der Catalanistas, wie diejenigen genannt werden, die von einer unabhängigen Republik Katalonien träumen. Vielmehr waren sie bei den letzten Wahlen hier weit von der Mehrheit entfernt. Ihre Bastionen sind die ländlichen Gebiete und die Großstadt Girona im Norden der Region, in der Carles Puigdemont, einer ihrer Anführer, Bürgermeister war, bevor er im Januar 2016 zum Regionalpräsidenten aufstieg.

Nun wird die politische Karriere Puigdemonts in wenigen Tagen erst einmal enden. Am kommenden Freitag tritt der Senat zusammen, das Oberhaus des spanischen Parlaments, um der Anwendung des Artikels 155 zuzustimmen, wie es das Kabinett unter Leitung von Rajoy nun beschlossen hat. Der Artikel sieht die Aufhebung der autonomen Rechte einer Region vor, falls deren Führung "den Interessen Spaniens schadet". Das Verfassungsgericht hat hier keine Zweifel: Der Versuch, eine Region vom Königreich abzuspalten, ist ein Tatbestand, wie er unter Artikel 155 fällt. Ebenso können keine Zweifel daran bestehen, dass der Senat der Absetzung Puigdemonts und seines Kabinetts zustimmt. Dort verfügt die von Rajoy geführte konservative Volkspartei (PP) über die absolute Mehrheit.

Die Madrider Medien malen unter Berufung auf Regierungskreise bereits aus, in welchen Schritten die Entmachtung der katalanischen Führung vor sich gehen soll, die ersten konkreten Maßnahmen hat die Zentralregierung bereits Mitte September unternommen, vor dem umstrittenen Referendum, bei dem Bilder von prügelnden Polizisten um die Welt gingen. Das Finanzministerium nahm den Zahlungsverkehr der Region unter seine Kontrolle. Der für seine ironischen Sprüche bekannte Finanzminister Cristóbal Montoro sagte dazu in Richtung Barcelona: "Ohne Geld kann man keinen Staat machen."

Vorbereitet ist auch die Übernahme der Kontrolle über die Barcelona unterstehenden öffentlich-rechtlichen Fernsehkanäle und Radioprogramme. Sie waren wichtige Plattformen der Unabhängigkeitsbewegung. Mehr als 150 katalanische Internetprotale hatten die spanischen Behörden bereits seit Mitte September geschlossen.

Überdies hat die spanische Justiz mehrere hundert Verfahren wegen "Veruntreuung öffentlicher Mittel" und "Ungehorsam" gegen katalanische Bürgermeister und sonstige Amtspersonen, darunter Schuldirektoren, eingeleitet, die an der Vorbereitung und Durchführung des katalanischen Unabhängigkeitsreferendums vom 1. Oktober teilgenommen haben. Ihnen drohen drastische Geldstrafen und ebenfalls die Absetzung.

Die Vorsitzenden der beiden größten Verbände, die für die Unabhängigkeit kämpfen, wurden gar am Montag in Untersuchungshaft genommen: Jordi Sànchez von der Katalanischen Nationalversammlung (ANC), zu der sich zahlreiche Bürgerinitiativen und Vereine zusammengeschlossen haben; die ANC hat in den letzten Jahren die Massenkundgebungen zum katalanischen Nationalfeiertag am 11. September organisiert. Dabei wird der Eroberung Barcelonas durch den Bourbonenkönig Felipe V. im Jahr 1714 gedacht. Der Franzose auf dem Königsthron in Madrid ließ nach der Kapitulation der Stadt prominente Mitglieder der katalanischen Elite köpfen und nahm der Region ihre traditionellen autonomen Rechte - eine Schmach, von der jedes katalanische Schulkind weiß.

Der andere Festgenommene, Jordi Cuixart, leitete bislang die Kulturvereinigung Omnium, die mit Kulturveranstaltungen aller Art das nationale Bewusstsein der Katalanen stärken möchte. Den "beiden Jordis" wird vorgeworfen, hinter den Demonstranten gestanden zu haben, die wenige Tage vor dem Referendum eine Gruppe Polizisten daran gehindert haben, ein Regierungsgebäude in Barcelona zu verlassen. Die Polizisten sollten dort nach Belegen dafür suchen, dass öffentliche Gelder an die Unabhängigkeitsbewegung weitergeleitet werden, sie konnten erst nach 24 Stunden abziehen.

Rajoy steht als Sieger fest

Die linksalternative Gruppierung Podemos, die gegen die Anwendung des Artikels 155 ist, hat ebenso wie die Menschenrechtsorganisation gegen die Festnahme der "beiden Jordis" als "völlig überzogene Maßnahme" protestiert. Die katalanische Presse sieht eine breite Abschreckungskampagne Madrids, für die angedrohten ruinösen Geldstrafen gebe es keine Rechtsgrundlage. Die spanische Staatsanwaltschaft aber sieht den Tatbestand der Rebellion erfüllt, an der Spitze der Generalstaatsanwaltschaft stehen Gefolgsleute Rajoys aus der PP.

Ebenso hat das Innenministerium in Madrid bereits die Übernahme der Befehlsgewalt über die katalanische Regionalpolizei vorbereitet. Gegen dessen Kommandeur Josep Lluís Trapero ermittelt die Staatsanwaltschaft wegen "passiver Unterstützung einer Rebellion". Nach Presseberichten hat das Ministerium längst Listen angelegt, in denen die Offiziere der Regionalpolizei, die bislang Barcelona unterstand, nach ihrer Loyalität zum spanischen Staat aufgeführt sind. Dasselbe gilt für Spitzenbeamte in allen Verwaltungsbereichen.

Doch strebt Rajoy offenbar nicht an, einen Statthalter Madrids in Barcelona einzusetzen. Vielmehr sollen nach Möglichkeit einheimische Fachbeamte die Amtsgeschäfte weiterführen. Eine neue Regierung soll erst nach den Wahlen gebildet werden, die Madrid ganz schnell ansetzen will, anvisiert wird Mitte Januar.

Ein unabhängiges Katalonien würde eben nicht automatisch EU-Mitglied bleiben

Es ist zu erwarten, dass Puigdemont und die Mitglieder seines Kabinetts nicht kandidieren dürfen, weil gegen sie Strafverfahren eröffnet werden. Puigdemont hatte ohnehin erklärt, dass er sich aus der ersten Reihe der Politik zurückziehen wollte, ihm ist der ganze Unabhängigkeitskurs offenkundig über den Kopf gewachsen.

Denn einerseits musste er sich vorhalten lassen, dass er die Sezession von Spanien vorantreibt, obwohl diesen Kurs weniger als 40 Prozent der Bevölkerung unterstützen. Diese Zahl ergibt sich aus den Regionalwahlen 2015, dem Referendum vom 1. Oktober sowie den Umfragen, die die Regionalregierung selbst in Auftrag gegeben hat.

Andererseits ist es ihm nicht gelungen, die Unterstützung der katalanischen Unternehmerverbände zu bekommen, im Gegenteil: Die größten Unternehmen haben ihren Abzug aus der Region angekündigt, "falls nicht bald wieder Normalität einkehrt". Vor allem musste er hinnehmen, dass die Spitzen der EU ihn öffentlich als Träumer vorführten, der die politische Realität nicht begreift.

Zu der Realität gehört nämlich, dass ein unabhängiges Katalonien keineswegs automatisch in der EU bleiben würde, wie es Puigdemont versprochen hatte. Und nicht nur das: Alle Regierungschefs der großen EU-Staaten haben Rajoy demonstrativ den Rücken gestärkt, auch wenn sie eine Lösung durch Dialog verlangen. Allerdings verweigert der spanische Premier konsequent seit Jahren den Dialog über eines der Hauptprobleme Kataloniens, den intransparenten Finanzausgleich zwischen den Regionen, der nach Meinung der Führung in Barcelona die Region übermäßig belastet und überdies willkürlich von Madrid gehandhabt wird.

So steht Rajoy erst einmal als Sieger in diesem Machtkampf zwischen Madrid und Barcelona fest. Doch ob er mit seinem kompromisslosen Kurs, mit seiner harschen Rhetorik, die in Katalonien als hochmütig und arrogant wahrgenommen wird, das Problem auch mittelfristig löst, ist überaus fraglich.

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