Jamaika:Wie die FDP die Verhandlungen zur Europapolitik platzen ließ

Europa-Flagge weht vor dem Bundestag

Europaflagge weht vor dem Bundestag.

(Foto: dpa)
  • Sowohl in der CDU als auch in der FDP gibt es Differenzen über die zukünftige Europapolitik.
  • Das zeigt ein Dokument aus den Sondierungsgesprächen.
  • Daraus geht außerdem hervor, dass sich die Unterhändler fast auf einen Kompromiss in der strittigen Frage eines EU-Geldtopfs für Krisen geeinigt hätten.

Von Cerstin Gammelin, Berlin

Das Abräumen von Schwachsinnsterminen sei noch kein Kompromiss, das hat Alexander Dobrindt (CSU) in den schwarz-gelb-grünen Sondierungen gesagt. Die Grünen hatten angeboten, auf ein Datum für den Ausstieg aus dem Verbrennungsmotor zu verzichten - und dies als Kompromiss dargestellt. Die Dobrindtsche Erkenntnis passt auch auf die FDP. Parteichef Christian Lindner hat nach dem Abbruch der Gespräche insbesondere auf das Einlenken seiner Partei bei Europa hingewiesen: Man sei bereit gewesen, auf das Einklappen des Euro-Rettungsschirms zu verzichten. Ein Kompromiss sei das Einlenken keinesfalls, kontert einer aus dem schwarz-grünen Lager. Die FDP habe lediglich die geltende Rechtslage akzeptiert.

Der Streit über eine gemeinsame Europapolitik ist symptomatisch für die Verwirrung, die nach dem Abbruch der Sondierungen entstanden ist. Wie nahe an einer Einigung waren die Parteien wirklich?

Abschließend wird diese Frage kaum beantwortet werden können. Aber die vorliegenden Sondierungspapiere liefern Hinweise auf den Prozess der Verhandlungen, sie dokumentieren, wer wann welche Forderungen vorgetragen hat - und was am Ende strittig blieb.

Die FDP-Europa-Politiker versuchten den nationalen Kurs abzuschwächen

Das Kapitel 13, Europa, existiert in diversen Varianten. In der Nacht des Abbruchs waren es drei Seiten, inklusive einer Seite voll eckiger Klammern. Die Änderungen sind im Dokument nachzuverfolgen. Sie zeigen, dass in der Europa-Gruppe fachliche Kompromisse gefunden wurden, die die Parteichefs später wieder verwarfen. Sie dokumentieren, dass die Europa-Politiker der FDP versuchten, den nationalen Kurs der Parteispitze abzuschwächen und dass Lindner am Ende persönlich am Text mitarbeitete. Und sie zeigen, dass es zwischen CDU-Chefin Angela Merkel und dem konservativen Flügel ihrer Partei durchaus Differenzen über die künftige Europapolitik gibt. Was aber stimmt, ist die Chemie zwischen Lindner und CDU-Finanzstaatssekretär Jens Spahn.

Unstrittig ist, dass sich gleich zu Beginn der Sondierungen die Vierergruppe aus Spahn und den Europa-Politikern Manfred Weber (CSU), Alexander Graf Lambsdorff (FDP) und Reinhard Bütikofer (Grüne) auf ein Bekenntnis zu Europa und die deutsch-französische Freundschaft einigt.

Danach beginnt der Streit über die Zukunft der Euro-Zone und eine spezielle Frage: Sollen die Euro-Staaten wirtschaftliche Notlagen über einen Stabilitätsmechanismus abfedern können, sich also einen eigenen Geldtopf einrichten, der bei Schocks angezapft werden kann?

Diplomatischer Kniff: Man setzte den Kompromiss in Klammern

Im Dokument vom 14. November sind vier eckige Klammern vorhanden, drei davon für Union, FDP und Grüne. Kategorisch nein, sagt die FDP. Die Union zeigt sich bereit unter der Bedingung, dass es keine automatischen Geldtransfers gibt. Die Grünen fabulieren über asymmetrische Schocks, sind sich aber mit der Union einig. Interessant ist die vierte Klammer, die mit der ungewöhnlichen Bemerkung beginnt: Der folgende Kompromissvorschlag konnte nicht geeint werden. Gibt es einen Kompromiss, ja oder nein?

Ein Unterhändler erklärt das so: Ja, die Vierergruppe war sich fachlich einig. Politisch aber nicht, weil einer der Unterhändler, in diesem Fall von der FDP, sich mehr auf die anderen zubewegte als parteipolitisch erlaubt. Deshalb sei man auf einen diplomatischen Kniff verfallen: Man setzte den Kompromiss in Klammern: Das düpierte den Parteichef nicht, sollte aber den Chefs helfen, sich zu einigen.

Aufgegangen ist der Plan nicht. Merkel akzeptierte den Kompromiss zwar, Lindner aber nicht. Er will plötzlich Passagen des niederländischen Koalitionsvertrages übernehmen, der den Stabilitätsmechanismus ablehnt. Genau vor dieser expliziten Ablehnung aber hatte Merkel stets gewarnt, weil es nichts mehr zum Verhandeln auf europäischer Ebene gegeben hätte. Die Zukunft Europas wäre im deutschen Koalitionsvertrag entschieden worden. Am Sonntag lehnten Union und Grüne Lindners Vorstoß ab. Kurz danach war alles zu Ende.

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