Jamaika-Sondierungen:Steinmeiers Mahnung bleibt ungehört

German President Frank-Walter Steinmeier Visits New Zealand

Verantwortung und Risiko waren die Schlüsselworte von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier.

(Foto: Getty Images)

Der Bundespräsident hatte recht, als er die Jamaika-Sondierer an ihre Verantwortung erinnerte, eine Koalition zu bilden. Eine Regierung ist kein Spielzeug.

Kommentar von Nico Fried

Selbst die Worte des Bundespräsidenten haben nicht mehr geholfen. Frank-Walter Steinmeier hatte die Sondierungen für eine Jamaika-Koalition bislang nicht kommentiert. Das war genau so richtig wie der Zeitpunkt und die Art der Ermahnung, die das Staatsoberhaupt nun geäußert hat. Steinmeier, dem es sonst an Eitelkeit nicht gebricht, hat deutlich gemacht, dass er aus guten Gründen nicht scharf ist auf die herausgehobene Rolle, die das Grundgesetz für ihn vorsähe, wenn es nach einem Scheitern zum Äußersten kommen sollte. Am Sonntagabend ist die Wahrscheinlichkeit gestiegen, dass er sie trotzdem wahrnehmen muss.

Die FDP hat die Verhandlungen abgebrochen. Man sei kompromissbereit gewesen, sagte Parteichef Christian Lindner nach dem Ausstieg aus den Sondierungsgesprächen, aber man habe am Ende seine Prinzipien nicht verraten können. Er mache den anderen Parteien keinen Vorwurf, dass auch sie ihre Vorstellungen vertreten hätten. Aber am Ende sei nicht regieren besser, als falsch zu regieren. Freilich wird sich die FDP in den nächsten Tagen fragen lassen müssen, ob sie ehrlich bereit zum Regieren war.

Steinmeiers Warnung hat nichts genützt

Verantwortung und Risiko waren Steinmeiers Schlüsselworte. Sehr wahrscheinlich wird er in den nächsten Tagen auch weiter darauf dringen, dass CDU, CSU, FDP und Grüne doch noch versuchen, eine Regierung zu bilden. Die Wähler haben zwar nicht den Auftrag für eine Jamaika-Koalition erteilt. Aber sie stellt die letzte realistische Option zur Mehrheitsbeschaffung da, nachdem die SPD sich für unzuständig erklärt hat. Das Risiko, das Steinmeier in Neuwahlen sieht, bestünde darin, dass selbst für eine große oder eine Jamaika-Koalition keine Mehrheit mehr zustande kommt. Dann aber wäre mehr gescheitert als nur eine Regierungsbildung.

Wenn alle Versuche Steinmeiers ergebnislos bleiben sollten, gibt es - da die geschäftsführende Kanzlerin dem neuen Bundestag nicht die Vertrauensfrage stellen kann - nur einen Weg zu Neuwahlen. Der Bundespräsident schlägt dem Bundestag einen Kandidaten als Bundeskanzler vor. Da die Union die stärkste Fraktion stellt, wäre das wohl Angela Merkel. In den ersten zwei Wahlgängen bräuchte sie die absolute, im dritten Wahlgang reichte die einfache Mehrheit. Einen Kandidaten mit absoluter Mehrheit muss Steinmeier ernennen, nach einer Wahl mit einfacher Mehrheit hat er zwei Varianten: Ernennen, was eine Minderheitsregierung bedeutet, oder Neuwahlen.

Steinmeiers wichtigste Botschaft steht deshalb zwischen den Zeilen. Sie lautet: Verlasst euch nicht darauf, dass ich den Weg zu Neuwahlen ebnen werde. Der Bundespräsident hat mit seinem Interview zu erkennen gegeben, dass er sich nicht zum Erfüllungsgehilfen derjenigen machen lässt, die in der Wahlwiederholung eine taktische Variante sehen. Wer behauptet, er fürchtete Neuwahlen nicht, dem hält Steinmeier zu Recht entgegen: ich schon. Diese Warnung ist legitim und glaubwürdig. Als Mediator der Macht bezieht Steinmeier seine Stärke auch daraus, dass der Bundespräsident schon qua Amt mit der Frage, ob er den Bundestag auflöst oder eine Minderheitsregierung ins Amt setzt, keine persönlichen Machtinteressen verbindet. Andere Interessen hingegen muss er beachten, an erster Stelle die des Staates und seiner Bürgerinnen und Bürger. Es ist aber nicht automatisch eine Missachtung des Souveräns, ihm eine erneute Wahl zu ersparen, wenn es auf der Forderung beruht, das bereits vorhandene Votum zu respektieren.

Steinmeier träfe seine Entscheidung nicht im politikfreien Raum. Sein Ermessensspielraum verlangt die politische Abwägung. Merkel und Steinmeier trennt persönlich wie politisch vieles. Aber aus acht gemeinsamen Regierungsjahren verbindet sie eines auch: Das Wissen um die Bedeutung, die Deutschland im Ausland zugemessen wird, und um die Erwartungen, die damit einhergehen. Deshalb braucht das Land eine Regierung, je handlungsfähiger, desto besser. Steinmeier könnte durchaus zu dem Ergebnis kommen, dass selbst eine Minderheitsregierung unter Merkel einem erneuten Wahlkampf, einem unkalkulierbaren Ergebnis und einer unabsehbaren Regierungsbildung vorzuziehen ist.

Und noch ein Signal steckt in Steinmeiers Worten. Es ist an jene in CDU, CSU oder FDP gerichtet, die darauf hoffen, dass der Weg zu Neuwahlen vor allem ein Parcours der Zermürbung für Merkel werden möge, an dessen Ende sie ihren Platz an der Spitze der Union räumt. Obwohl der Bundespräsident gelernter Sozialdemokrat ist und Steinmeier mit 23 Prozent gegen die Kanzlerin seine schwerste politische Niederlage einfuhr, sollten potenzielle Anti-Merkel-Frondeure ihn lieber nicht als Verbündeten betrachten.

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