Israels Ex-Präsident:Schimon Peres - der Gandhi des Nahen Ostens

Bis an sein Lebensende glaubte der Friedensnobelpreisträger fest daran, dass es möglich sei, den Nahostkonflikt beizulegen. Um an der Gegenwart nicht zu verzweifeln, richtete er seinen Blick in die Zukunft.

Nachruf von Thorsten Schmitz

Schimon Peres besaß etwas, was selten ist im Nahen Osten: Humor. Sich selbst nahm er nie zu ernst. Die Verbissenheit, mit der Benjamin Netanjahu Politik betreibt, war ihm fremd. In all den Jahrzehnten, in denen er Ministerien geleitet hat, Regierungschef und zuletzt Präsident war, wusste er stets: Man hat ein Amt inne und man verliert es auch wieder. Was bleibt, sind: Charaktereigenschaften, Profil, Haltung.

Bei Peres kam noch eine weitere Fähigkeit zum Humor hinzu: Er konnte sich auch über sich selbst lustig machen.

Es waren noch keine drei Monate vergangen seit seinem Auszug aus der Jerusalemer Präsidentenresidenz, da wurde er zum Youtube-Star. Die Welt brachte er im Herbst 2014 zum Lachen. Seine Enkeltochter Mica Almog hatte einen Kurzfilm gedreht, der bis heute mehr als 700 000 Mal angeklickt worden ist. Es ist ein Clip über den damals 91-Jährigen Peres auf Jobsuche.

Man sieht ihn auf dem Arbeitsamt und wie er versucht, einen Job als Kuhmelker zu bekommen, man sieht ihn als Pizzaboten und als Tankstellenwart anheuern. Am Ende des Clips springt Peres (das heißt: ein Double) aus einem Flugzeug, und als sich der Schirm öffnet, hört man ihn sagen: "Man ist so gut wie die Sache, für die man sich einsetzt, und so jung wie seine Träume."

Peres, der jetzt im Alter von 93 Jahren an den Folgen eines Schlaganfalls gestorben ist, war bis zu seinem letzten Atemzug Optimist. Der New Yorker betitelte ein Porträt über den Mann mit dem Wachsfigurengesicht, das in den letzten zwanzig Jahren nicht zu altern schien, schlicht mit: "Der Träumer". Nie hat sich Peres in Gesprächen und Interviews von seiner Vision abbringen lassen, dass es zu einem Friedenspakt zwischen Israel und den Palästinensern kommen werde. Selbst während den Intifadas und den diversen Gaza- und Libanonkriegen, blieb er von Beruf Optimist.

Er hasste es zurückzuschauen. Was war, das war, Vergangenheit interessierte ihn nicht. Auch die Gegenwart war nicht sein Zuhause, er wäre an ihr verzweifelt, und verzweifelt sein, dagegen hat sich Peres gesträubt. In einem seiner letzten großen Interviews mit einer israelischen Zeitung hat er gesagt: "Ich weine nicht mit Tränen." Er wolle nicht, dass man ihm von außen ansieht, "was mein Herz bewegt".

Peres träumte vom Frieden, bis zuletzt, als Gründer und Präsident des "Peres Center for Peace". Unbeirrbar diente er diesem Traum 70 Jahre lang im Staatsdienst, hat die ganze Welt bereist und die Queen getroffen, Sadat, Madonna, Obama, die Clintons, Arafat, Erdoğan, Merkel, Sarkozy, Sarah Jessica Parker, den Papst, Barbra Streisand, Robert De Niro, Sharon Stone und Gorbatschow. Seinen 90. Geburtstag feierte Peres mit 3000 Gästen, sehr viele Ex-Spitzenpolitiker waren darunter und sehr viele Hollywood-Sternchen. "Wir haben unsere Queen, ihr habt euren Schimon", sagte der frühere britische Premier Tony Blair zu Beginn der Sause.

Privates war ihm kaum zu entlocken

Sogar im jüngsten Gaza-Krieg blieb Peres unbeirrt. Raketen der Hamas regneten auf Israel und trotzdem prophezeite er auf einer Konferenz in Tel Aviv, mitten im Krieg: "Es wird einen Frieden geben, kein Weg führt daran vorbei." Peres redete mit jedem und über alles. Nie wurde er müde, den komplizierten Nahostkonflikt in Bonmots zu verpacken, ihn in leicht verdaulichen Häppchen zu präsentieren. "Wir müssen das Böse in uns löschen, sonst löscht uns das Böse aus." Auch in seiner letzten Funktion als Israels neunter, eigentlich zu Neutralität verpflichteter Präsident gab er seine politischen Analysen zum Besten.

Doch über Privates war ihm kaum etwas zu entlocken. In einem Interview mit der SZ blaffte er einmal auf die Frage, was er denn im Sommerurlaub vorhabe: "Urlaub? Erwarten Sie von mir, dass ich Bridge spiele? Mich an den Strand lege? Wenn ich Urlaub brauche, lese ich ein Buch. Ich schwimme lieber im See der Weisheit als in salzigem Meerwasser."

Israelis schätzen deftig und glühend auftretende Volksvertreter mit beeindruckenden Armee-Karrieren und haben nichts übrig für feine Anzüge und Krawatten. Als Soldat der israelischen Armee hat Peres nie gekämpft, ein Malus in Israel. Das mag auch mit ein Grund gewesen sein, weshalb Peres im Ausland populärer war als in seiner Heimat.

Blick stets aufs Morgen gerichtet

Doch trotz der vielen Niederlagen im israelischen Politikbetrieb, Peres blieb ihm bis zuletzt treu. Er kannte ja auch nichts anderes als die Politik. Mit 16 Jahren trat er der Arbeitspartei bei, sieben Jahrzehnte lang war er der Diener des Staates Israel in abenteuerlich vielen Funktionen, wobei das Wort "dienen" von ihm stammt. Zuletzt hatte er es bei seiner Wahl zum Staatspräsidenten gebraucht und gesagt: "Es ist vermutlich der letzte Dienst, den ich Israel erweisen werde." Peres war der dienstälteste Präsident der Welt und auch der älteste Präsident des jüdischen Staates überhaupt. Bei seiner Wahl im Sommer 2007 war er bereits fast 84 Jahre alt.

In den vergangenen Jahrzehnten war Peres Gewerkschaftsfunktionär, mehrfach Außen- und Verteidigungsminister, zweimal offiziell Premierminister und bis zu seinem Amt als Staatspräsident Vize-Regierungschef - doch eine Wahl gewonnen hat er nie. Premierminister wurde er durch Rotationsverfahren oder weil sein Freund Jitzchak Rabin im November 1995 von einem jüdischen Fanatiker ermordet worden war. Immer ist Peres nur nachgerückt oder eingesprungen. Wenn er sich zur Wahl hat aufstellen lassen, verlor er. Fünfmal versuchte er, an die Spitze der Arbeitspartei gewählt zu werden, fünfmal scheiterte er.

Auch das Präsidentenamt verpasste er einmal, als er 2000 bei der Wahl zum Staatspräsidenten dem damals fast unbekannten Mosche Katzav unterlegen war. Wochenlang ließ sich Peres danach nicht blicken. Sein jüngster Sohn Nechemia, den alle nur Chemi nennen, sagt: "Das war die frustrierendste und erniedrigendste Niederlage im Leben meines Vaters." Von Vater Peres gab es zu der Niederlage kein Wort zu seinen Gefühlen. In den Wochen des Schweigens waren sich die Medien gewiss, dass Peres sich nun um seine Enkelkinder kümmern werde. Doch ein Leben als Rentner war für Peres unvorstellbar.

Den Privatmensch Peres kannte kaum jemand. Seine Frau Sonja, die er 1945 geheiratet hatte, erwähnte er nie. Und sie ließ sich auch nie an seiner Seite blicken. Auf seinen Tausenden Reisen ins Ausland begleitete sie ihn kein einziges Mal, und selbst der Zeremonie im israelischen Parlament zur Inthronisierung von Peres als Staatspräsident war sie ferngeblieben. In den Wochen vor der Wahl zum Präsidenten hatte Sonja Peres einen Herzinfarkt erlitten. Dass Peres dennoch an den Präsidentenwahlen teilnahm, anstatt seiner Ehefrau beizustehen, wurde von manchen auch als Ausdruck seines Machthungers gewertet.

Die Träume, denen Peres auch in eigenen Büchern und Gedichten nachhing, bildeten in seinem gesamten politischen Leben auch das Gerüst für seine Zähigkeit. Während der ersten Intifada, der Geburtsstunde der radikal-islamischen Hamas, während des gescheiterten Friedensgipfels in Camp David, während der zweiten Intifada, die zum Bau der Trennanlage im Westjordanland führte, während des Libanonkrieges im Sommer 2006, während der Herrschaft der Hamas im Gazastreifen und der vielen Kleinkriege, Anschläge und Entführungen klammerte sich Peres unbeirrbar und stoisch an die Zukunft. Eines seiner Bücher trägt den Titel: "Morgen ist jetzt".

Peres, das war auch: Der Politiker, der es sich behaglich gemacht hat im Morgen und so die Gegenwart übersah. Er verstand es, den deprimierenden Nahost-Alltag auszublenden. Nur die Zukunft interessierte ihn, in ihr hat er gelebt. Anfang der neunziger Jahre goss er seine These vom "Neuen Nahen Osten" in Buchform.

Bis zu seinem Tod war Peres davon überzeugt, dass die Region als Friedenshort aufblühen, dass sich die arabischen Staaten mit Israel versöhnen und gemeinsam mit dem jüdischen Staat eine Wirtschaftsunion nach europäischem Vorbild bilden würden. Er sah Israel sogar als Mitglied der Arabischen Liga. Peres war überzeugt: "Der Nahe Osten kann vom Computer-Zeitalter und dem Aufstieg der Wirtschaftsmacht Asiens nur lernen. Dafür müssen die Staatsführer hier die Konflikte von gestern begraben und in Bildung investieren anstatt in ein Waffenwettrüsten."

Peres, der Gandhi des Nahen Ostens. In einem seiner Tausenden blumigen Vergleiche sagte er: "Es ist Gott, der darüber entscheidet, ob es regnet oder nicht. Aber es sind die Völker, die darüber entscheiden, ob es Frieden gibt oder nicht."

Scheinbar unempfindlich gegen Demütigungen

Peres' Kraft schien nie zu versiegen. Er brüstete sich damit, nur vier Stunden jede Nacht zu schlafen und jettete ständig um die ganze Welt. Während seine Mitarbeiter und Assistenten mit Jetlags kämpften, studierte Peres Akten oder machte Notizen in sein kleines Buch für neue Gedichte. Auch auf sein Äußeres war er sehr bedacht. Er aß nur in Maßen, ließ sich Tränensäcke und Schlupflider wegoperieren, die Gesichtszüge straffen und von einem Zahnarzt in München dritte Zähne implantieren.

Obwohl er selbst keinen Sport betrieb, spornten ihn Niederlagen geradezu an weiterzukämpfen, anstatt aufzugeben. Auch Degradierungen konnten ihm nichts anhaben. Der 1999 ins Amt des Premierministers gewählte Ehud Barak schuf für den Globetrotter und Weltbürger Peres das unwichtige "Ministerium für regionale Angelegenheiten" - und Peres, der zusammen mit Rabin und Palästinenserpräsident Jassir Arafat für den Oslo-Vertrag den Friedensnobelpreis bekam, nahm den Abschiebeposten auch noch an.

Die öffentliche Demütigung mag mit ein Grund dafür gewesen sein, weshalb Peres nach fast sechs Jahrzehnten Mitgliedschaft im November 2005 die Arbeitspartei verließ und zur Mitte-Partei "Kadima" von Ariel Scharon wechselte. Er musste sich den Ruf eines Opportunisten gefallen lassen, doch auch diese Kritik perlte an ihm ab. Nachdem Scharon wegen eines Gehirnschlags ins Koma fiel, wurde Ehud Olmert zum neuen Regierungschef gewählt. Olmert kürte Peres für dessen Unterstützung beim Gaza-Rückzug zwar zum Vize-Regierungschef - aber Peres erhielt wieder ein farbloses Amt, das Ministerium für die Entwicklung Galiläas. Auch das nahm er an, klaglos.

Vom Falken zur Taube

Mit neun Jahren war Szymon Perski, wie er damals hieß, in das damalige britische Mandatsgebiet eingewandert. Geboren war er 1923 im heute weißrussischen Wischnewa, einem Schtetl, das damals zu Polen gehörte. Als Neueinwanderer ging Schimon zunächst auf eine landwirtschaftliche Schule, die auf die Neugründung eines Kibbuz vorbereiten sollte. Zur Abwehr arabischer Überfälle wurde in der Nacht Wache geschoben und tagsüber gelernt. In einer jener Nächte begegnete ihm Sonja, seine spätere Frau. Er gewann sie mit seiner Weltanschauung. In den Feldern von Beit Schemen las Peres seiner Sonja Passagen aus Karl Marx' "Das Kapital" vor.

Wie Ariel Scharon kämpfte Peres in der jüdischen Untergrundorganisation Hagana gegen Briten und Araber. Die Vorläuferorganisation der israelischen Armee wollte möglichst viel Land für den 1948 gegründeten Staat Israel gewinnen.

Ansporn durch den Mord an Rabin

Nach dem Unabhängigkeitskrieg 1948 engagierte sich Peres politisch in der Mapai, einem Vorläufer der Arbeitspartei, und wurde von David Ben-Gurion, dem ersten Ministerpräsidenten Israels, zu Waffenkäufen und zum Studium nach New York geschickt. Als Generaldirektor im Verteidigungsministerium war Peres ab 1953 dann die treibende Kraft hinter der Allianz mit Frankreich, das bis 1967 Israel mit Waffen versorgte. Auch hat Peres jüdische Siedlungen errichten lassen wie etwa Kiriat Arba nahe Hebron, den Atomreaktor in Dimona in der Negev-Wüste bauen lassen und die israelische Luftfahrtindustrie mit gegründet.

Auf seine Wechselhaftigkeit angesprochen, gab Peres gerne diese blumige Erklärung ab: "Ich war ein Falke, aber als wir Frieden machen konnten, war ich eine Taube."

Wie radikal Peres seine Ansichten im Laufe seines Lebens im Gegensatz zu seinen politischen Anfängen geändert hatte, zeigte er nur wenige Stunden vor der Übernahme der Präsidentschaft im Juli 2007. In einem Interview sagte Peres: "Wir können die jüdischen Siedlungen im Westjordanland weder verteidigen noch managen." Israel müsse sämtliche jüdischen Siedlungen auflösen, wolle es ein jüdischer und demokratischer Staat bleiben. Die Ansichten des Präsidenten erzürnten die Siedlerbewegung, noch wochenlang forderten deren Vertreter im Parlament den Rücktritt von Peres.

Besonders prägend war für Peres' Wandlung jene Nacht im November 1995, als ein jüdischer Terrorist Rabin mit zwei gezielten Schüssen tötete. Der Mord an dem damaligen israelischen Ministerpräsidenten spornte Peres Zeit seines weiteren Lebens an, sich unermüdlich für den Frieden einzusetzen. Er habe keine Angst um sein Leben, hatte Peres in den Wochen nach dem Attentat einmal gesagt, obwohl es schon viele Versuche gegeben hatte, ihn umzubringen: "Ich habe viel mehr Angst davor, mein Leben zu verplempern, als zu sterben."

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