Hitler-Attentat am 20. Juli 1944:"Stauffenberg wollte keine parlamentarische Demokratie"

Am 20. Juli 1944 Jahren scheiterte Stauffenbergs Attentat auf Adolf Hitler. Historiker Magnus Brechtken erklärt, wie wichtig Propagandaminister Goebbels für das Niederhalten des Putsches war - und warum die Widerstandskämpfer in der frühen Bundesrepublik als Verräter gesehen wurden.

Matthias Kohlmaier

Claus Schenk Graf von Stauffenberg verübte am 20. Juli 1944 das letzte dokumentierte Attentat auf Adolf Hitler. Durch eine Verkettung unglücklicher Umstände überlebte der "Führer" jedoch leicht verletzt, Stauffenberg und mehrere Mitverschwörer wurden noch in der Nacht im Berliner Bendlerblock standrechtlich erschossen. Magnus Brechtken ist stellvertretender Direktor des Münchner Instituts für Zeitgeschichte und forscht bereits seit mehreren Jahrzehnten zum Thema Nationalsozialismus.

Adolf Hitler zeigt Benito Mussolini die Trümmer der Baracke im Führerhauptquartier, Stauffenberg Attentat 20. Juli 944 Scherl SZ Photo

Besuch des italienischen Diktators kurz nachdem Stauffenbergs Bombe detonierte: Adolf Hitler zeigt Benito Mussolini die Trümmer der Baracke im Führerhauptquartier Wolfsschanze.

(Foto: Scherl SZ Photo)

SZ.de: Claus Schenk Graf von Stauffenberg hat den Beginn des Zweiten Weltkrieges als "Erlösung" bezeichnet. War er ein Gefolgsmann der nationalsozialistischen Ideen? Stimmte er mit der Judenpolitik des Nazi-Regimes überein?

Magnus Brechtken: Inwieweit er Antisemit war, dazu sind die Meinungen nicht eindeutig. Aber selbstverständlich war der Antisemitismus ein elementarer Bestandteil des nationalsozialistischen Gedankenguts. Stauffenberg hat dem Dritten Reich sehr lange und mit Überzeugung gedient und hat sich bereits bei der Reichspräsidentenwahl 1932 für Hitler ausgesprochen. Nach Hitlers Machtübernahme hat er als nationalsozialistischer Offizier Karriere gemacht. Die Frage ist: Ab welchem Zeitpunkt hat Stauffenberg gesagt: "Diese Linie kann ich nicht mehr mittragen?" Allgemein lässt sich sagen: Das Militär hat die antisemitischen Ideen Hitlers zu großen Teilen unterstützt.

SZ.de: Welche Staatsform hätten die Verschwörer um Stauffenberg angestrebt, wenn der Umsturzversuch geglückt wäre?

Brechtken: Das war vage. Wiederherstellung von Recht und Freiheit, aber keine parlamentarische Demokratie. Eine allgemeine Losung lautete: "Kein Zurück zu Weimar!" Aus alliierter Sicht und nach den von Deutschland begangenen Kriegsverbrechen wäre aber sicherlich klar gewesen, dass man auch nach Hitlers Tod nicht einfach so Frieden hätte schließen können.

SZ.de: Wie ist die Nazi-Propaganda mit dem gescheiterten Attentat umgegangen?

Brechtken: Das ist insofern sehr interessant, da die Reaktion der NS-Propaganda bereits während des Umsturzversuches anlief. Propagandaminister Joseph Goebbels war hier sicherlich die wichtigste Figur. Er war am Tag des Attentats in Berlin und hat von dort aus bewerkstelligt, dass Otto Ernst Remer - Kommandeur des Wachbatallions und an sich nur ein Offizier mittleren Rangs - mit Hitler sprechen und sich davon überzeugen konnte, dass der "Führer" lebt. Die Gruppe der Verschwörer war besonders durch Goebbels' Wirken nie in der Lage, die Deutungshoheit in der Propagandamaschinerie auch nur für einen Tag zu gewinnen. Entscheidend war natürlich, dass Hitler überlebt hatte. Das Regime konnte in der Folge durch die standrechtlichen Erschießungen und späteren Schauprozesse am Volksgerichtshof die Stauffenberg-Gruppe als isolierte Vaterlandsverräter darstellen. Ein Narrativ, das zeitgenössisch auf große Resonanz gestoßen ist.

SZ.de: Wie wurde das Attentat in den nachfolgenden Wochen von den Deutschen bewertet? Wie wurde beurteilt, dass Soldaten offensichtlich gegen Hitler rebelliert hatten?

Brechtken: Die dominierende Haltung war wohl Entsetzen und Empörung. Ein Großteil hatte Sorge, dass bestimmte Kräfte Hitler kurz vor dem vielbeschworenen Endsieg in den Rücken fallen würden. Der "Führer" überlebte aber dank der "Vorsehung" - was natürlich propagandistisch massiv ausgeschlachtet wurde. Dazu gibt es die berühmten Bilder, die Hitler mit Mussolini zeigen, während sie die Baracke besuchen, in der die Sprengladung detoniert war.

Der Anschlag repräsentiert das "andere Deutschland"

SZ.de: Wie wurde der Widerstand gegen Hitler in der Nachkriegsgesellschaft Deutschlands gesehen?

Sie wollten Hitler töten

Claus Schenk Graf von Stauffenberg (hier auf einem Bild aus dem Jahr 1931 mit seiner späteren Ehefrau Nina Freiin von Lerchenfeld) verübte am 20. Juli 1944 ein Attentat auf Adolf Hitler. Die "Operation Walküre" scheiterte jedoch, Stauffenberg und viele Mitverschwörer wurden hingerichtet.

(Foto: obs)

Brechtken: Die Widerständler, sei das jetzt die Gruppe um Stauffenberg oder auch der Kreisauer Kreis, hatten es sehr schwer, in der Nachkriegsgesellschaft der Bundesrepublik wahrgenommen und akzeptiert zu werden. Viele galten noch bis in die sechziger Jahre als Vaterlandsverräter.

SZ.de: Wann hat in Deutschland diesbezüglich ein Umdenken eingesetzt?

Brechtken: Das ist ein langer Prozess. Georg Elser hat diese Würdigung beispielsweise erst in den achtziger Jahren erfahren - um den damals nach ihm benannten Platz in München gab es trotzdem noch viele Diskussionen. Eine schärfere wissenschaftliche Debatte begann in den siebziger Jahren. Das folgende Medienecho löste auch in der Gesellschaft in vielerlei Hinsicht eine neue Bewertung der NS-Zeit und auch des Widerstands gegen das Nazi-Regime aus.

SZ.de: Aus heutiger Sicht betrachtet: War Stauffenberg ein Held?

Brechtken: Als Historiker habe ich mit dem Begriff "Held" grundsätzlich ein Problem. Das ist eher ein Terminus der Populärkultur und keiner der Geschichtsschreibung. Er hat etwas getan, was historisch den Begriff vom 'anderen Deutschland' repräsentiert. Er hat gezeigt, dass 1944 nicht alle Deutschen mit den von der Führung begangenen Verbrechen einverstanden waren.

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