Guttenberg zu Afghanistan:Ein Schachtelsatz, der die Routine zerreißt

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Afghanistan-Debatte im Bundestag: Überraschend tritt Verteidigungsminister Guttenberg ans Rednerpult - und räumt Fehler beim Luftschlag nahe Kundus ein. Das von der Bundeswehr angeordnete Bombardement sei militärisch "nicht angemessen" gewesen.

Daniel Brössler, Berlin

Es taucht an diesem Nachmittag im Bundestag die Frage auf, ob so etwas Routine sein kann. Die Bundesregierung hat den Parlamentariern die Drucksache 17/39 zugeleitet, und über diese müssen sie nun entscheiden. Es geht darin um die "Fortsetzung der Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte an dem Einsatz einer Internationalen Sicherheitsunterstützungstruppe". Kurz: Sollen 4500 deutsche Soldaten ein weiteres Jahr in Afghanistan Dienst tun?

Damit hatten nur wenige gerechnet: Verteidigungsminister Guttenberg nutzte die Debatte im Bundestag für eine "Neubewertung" des umstrittenen Luftschlags Anfang September. (Foto: Foto: ddp)

Die Abgeordneten mussten über ein solches Mandat seit 2001 jahrein jahraus entscheiden, weshalb die Debatte wichtig ist, aber eigentlich keine wirklichen Überraschungen verspricht. Außenminister Guido Westerwelle redet wie erwartet von "Abzugsperspektiven", der Linkspolitiker Jan van Aken ebenso erwartbar von "Krieg".

Eine wusste auf jeden Fall Bescheid

In der Diskussion ist eigentlich schon alles gesagt, als der Bundestags-Vizepräsident Hermann Otto Solms dem Bundesverteidigungsminister das Wort erteilt. Die Abgeordneten horchen auf. Außenminister Westerwelle hatte ja schon für die Regierung gesprochen, will Karl-Theodor zu Guttenberg es nun unbedingt noch einmal besser sagen?

Mindestens eine Person sitzt im Plenarsaal, die weiß, was jetzt kommt. Bundeskanzlerin Angela Merkel blickt ihrem Minister aufmerksam auf dem Weg zum Redepult nach. Guttenberg hatte sie am Vorabend informiert, dass er im Bundestag reinen Tisch machen wolle im Fall Kundus. Den Rückhalt der CDU-Chefin hat Guttenberg, als er vor die Abgeordneten tritt.

Mit souveräner Eleganz, das weiß der Minister, lässt sich dieser Auftritt nicht bewältigen. Zunächst hält er sich deshalb erst einmal an das, was in diesem Plenarsaal immer noch am leichtesten fällt. Er attackiert den politischen Gegner - in diesem Fall die Linkspartei, aus deren Reihen behauptet worden war, die Einsatzbefürworter seien verantwortlich für massenhaftes Sterben in Afghanistan. "Dieser Vorwurf ist an Niveaulosigkeit nicht zu überbieten", ruft Guttenberg empört, und für diesen Moment noch ist das ein ganz gewöhnlicher Redebeitrag.

Nur die Stimme des Ministers, sie klingt ein wenig belegt, als er auf den 4. September zu sprechen kommt - jenen Tag, an dem in Kundus auf Befehl des deutschen Obersts Georg Klein zwei von Taliban entführte Tanklaster bombardiert wurden. 142 Menschenleben soll das gekostet haben, unter ihnen auch Zivilisten. Nach seinem Amtsantritt hatte Guttenberg diesen Angriff als "angemessen" bezeichnet. Ein Urteil, das ihm nach Bekanntwerden des "Feldjägerberichtes" über den Luftangriff sehr viel Kritik eingetragen hat.

"Volles Verständnis" für Oberst Klein

Eine "Neubewertung" habe er versprochen, sagt Guttenberg, die wolle er nun abgeben. Er beginnt damit erstaunlich unsicher und mit rotem Kopf. "Ich darf in aller Klarheit sagen, dass Oberst Klein mein volles Verständnis hat angesichts anhaltender Gefechte, in denen auch deutsche Soldaten verwundet wurden", hebt er an. Guttenberg spricht davon, dass der Oberst, unter dessen Kommando auch deutsche Soldaten gefallen seien, "von der Angemessenheit seines Handels ausgegangen ist".

Der Minister wählt außerordentlich verschachtelte Sätze, aus denen er mitunter keinen rechten Ausweg findet. "Ich zweifle nicht im Geringsten daran, dass er gehandelt hat, meine Damen und Herren, um seine Soldaten zu schützen", stellt er aber schließlich klar. Jeder, der jetzt aus der Distanz "laut oder leise" Kritik übe, solle sich das bewusst machen.

"Wie viel leichter scheint es jetzt, sich ein Urteil über diese Frage der Angemessenheit zu bilden aus der Distanz mit auch für mich zahlreichen neuen Dokumenten mit neuen Bewertungen, die ich am 6. November dieses Jahres noch nicht hatte", nähert sich der Verteidigungsminister dem Punkt. Das entscheidende Wort "Angemessenheit" presst er dabei so gequält hervor, dass auch ein Tränenausbruch nun nicht mehr überraschen würde.

In einem weiteren Schachtelsatz kommt Guttenberg schließlich zu jenem Eingeständnis, das entscheidend sein wird für seine politische Zukunft: "Aus heutiger, objektiver Sicht im Lichte aller auch mir damals vorenthaltener Dokumente" sei der Angriff " militärisch nicht angemessen" gewesen. Parteifreunde danken dem Minister danach herzlich für seine Erklärung. Das ist dann wieder Routine.

© SZ vom 04.12.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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