Griechen-Krise:"Wir werden vermisst"

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Vergleich während des Griechen-Desasters: SPD-Fraktionschef Steinmeier schwärmt vom Polit-Management der großen Koalition und attackiert die Kanzlerin - nun zeigen sich die "Grenzen des Systems Merkel".

Ein halbes Jahr ging nun schon ins Land, seitdem Frank-Walter Steinmeier seinen Job gewechselt hat. Ende Oktober 2009 hat der gescheiterte Kanzlerkandidat der SPD das Auswärtige Amt an den neuen Minister Guido Westerwelle übergeben.

Frank-Walter Steinmeier sieht die "Grenzen des Systems Merkel" erreicht - der SPD-Fraktionschef im Gespräch mit der Kanzlerin im März 2010 (Foto: Foto: ddp)

Steinmeier bemüht sich seitdem als Vorsitzender der geschrumpften SPD-Bundestagsfraktion, als Oppositionsführer Kontur zu gewinnen. Manchmal gelingt es ihm, so in der Haushaltsdebatte: Da ledert er, der schlohweiße Bürokrat, in Richtung Regierungsbank, so süffisant und bissig, dass mancher Sozialdemokrat kurz vergaß, wie schlecht es um die SPD bestellt ist.

Oft aber steht Steinmeier der ehemalige Minister im Weg. Nach wie vor gibt er sich gerne: staatstragend. Einer, der Opposition lieber nicht zu laut macht. Vielleicht auch, weil er seine Chefin von ehedem eigentlich nach wie vor sympathisch und kollegial findet.

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat ihren früheren Stellvertreter Steinmeier frühzeitig eingebunden, als es darum ging, ein neues Konzept für die Afghanistan-Politik zu formulieren. Anders bei der Krise um die Griechenland-Pleite: Die Bundesregierung habe erst über ihr Krisenmanagement informiert, als "die Spatzen jene Pläne von den Dächern pfiffen", grollt nun Steinmeier in der Welt. Seit Februar, als sich das Finanz-Desaster am Peloponnes abzeichnete, habe die SPD bei der Regierung darauf gedrungen, die Opposition bei der Causa einzubeziehen.

Steinmeiers Enttäuschung über das Linksliegenlassen im Allgemeinen und die Kanzlerin im Besonderen zieht sich durch das halbe Interview. Immer wieder geißelt der frühere Chefdiplomat Schwarz-Gelb für zögerliches Agieren. Und er geht Angela Merkel frontal an. Sie habe "doppelzüngig" agiert und wertvolle Zeit "vergeudet" - sich derweil als "Madame Non" feiern lassen. Stattdessen habe sie giftige Thema erst nach dem 9. Mai, der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen, anpacken wollen. Wenn nicht schnell eine europäische Initivative das Ruder herumreist, drohe ein "eklatantes Versagen vor der Verantwortung".

Steinmeier macht es nicht nach der Haudrauf-Methode des SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel, der der Kanzlerin vorwirft, das Volk belogen zu haben. Der Fraktionschef unterstellt Merkel keine Niedertracht, Steinmeiers Suada zielt darauf ab, Merkel als überforderte Regierungschefin bloßzustellen. Das formuliert er zwischen den Zeilen, gegen Ende des Gesprächs mit der Welt spricht er es offen aus: Die "Grenzen des Systems Merkel" seien nun überaus deutlich geworden, ätzt Steinmeier: "Die Kanzlerin wird leider der Größe des Problems nicht mehr gerecht."

Das ist neu: Steinmeier macht die Kanzlerin persönlich dafür verantwortlich, wie die Regierung in der Griechenland-Krise dasteht; Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) und Außenminister Guido Westerwelle - aus Oppositionssicht eigentlich immer für eine Verbalwatschn gut - erwähnt er nur am Rande.

Angela Merkel, und das war für die Sozialdemokraten besonders schmerzhaft, hat ausgerechnet im Bundestagswahlkampf 2009 einen Teil ihrer Kampagne auf die Finanzpolitik gestützt. "Klug durch die Krise", war auf großflächigen Plakaten gedruckt, die die CDU mit dem Konterfei der Vorsitzenden und Kanzlerin kleben ließ. "Klug durch die Krise", das wirkte so, als ob es Angela Merkel alleine gewesen wäre, die Deutschland bislang durch die reißenden Wasser der Finanzkrise geschifft hätte.

"Klug aus der Krise": So warb die CDU für Angela Merkel im Bundestagwahlkampf 2009 (Foto: Foto: Seyboldtpress)

Es nahm vor allem der SPD die Butter vom Brot: Immerhin war es der sozialdemokratische Finanzminister Peer Steinbrück, der nach dem Zusammenbruch der Investmentbank Lehman Brothers im Herbst 2008 innerkoalitionär und für die Öffentlichkeit maßgeblich agierte, der Hilfspakete schnürte und - gemeinsam mit Merkel - dafür sorgte, dass die Deutschen gelassen blieben.

Merkel und Steinbrück, sie gaben das kongeniale Duo für Krisenmanagement. "Union und SPD haben die Krise gut gemeistert", schwärmte CDU-Urgestein Heiner Geißler im September 2009 - und plädierte als einer der wenigen für die Fortsetzung der großen Koalition.

Steinmeier vergleicht nun, wie die Regierung 2008 und wie sie heute mit der Krise umgeht. "Jeder sieht die Unterschiede", behauptet er, "damals hatten wir Vertrauen, weil wir von Anfang an gesagt haben, was ist, transparent und offen informiert hatten - auch die Opposition." Steinmeier stellt Steinbrück heraus, auch Vorschläge, die man damals ausgearbeitet habe.

Nun sind die Sozialdemokraten in der Opposition, die beiden "Stones", wie Steinmeier und Steinbrück genannt wurden, weit weg von den Schalthebeln der Macht.

"Ich bin mir sicher", behauptet Steinmeier, "dass die sozialdemokratischen Köpfe nicht nur fehlen, sondern vermisst werden." Steinmeier, der gewesene Kanzlerkandidat, stoppt sich selbst, er wolle keine "Retro-Diskussion" führen - und verweist auf die krachende Niederlage bei der Bundestagswahl.

Steinmeier, der Kanzlerkandidat, mit dem die SPD ihre existenzbedrohenden 23 Prozent eingefahren hat, übt sich in Demut.

Dass sich der Westfale insgeheim doch noch irgendwo zwischen Außen- und Kanzleramt wähnt, lässt seine Wortwahl erahnen: "Wir", sagt er an einer Stelle, "Wir müssen handeln."

Im Kopf regiert Steinmeier eben noch ein bisschen mit.

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