Gipfel in Lissabon:Nato beschließt neue Strategie

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Die mächtigste Militärallianz der Erde ändert ihre Strategie: Das Bündnis will künftig nicht mehr als globale Ordnungsmacht auftreten - stattdessen soll kollektive Verteidigung im Mittelpunkt stehen. Außerdem billigt die Nato den Aufbau einer neuen Raketenabwehr und lädt Russland dazu ein.

Peter Blechschmidt und Martin Winter, Lissabon

Die Nato besinnt sich wieder stärker auf ihre ursprüngliche Aufgabe der kollektiven Verteidigung. Dies ist die Botschaft des neuen Strategischen Konzepts, das die Staats- und Regierungschefs der Allianz auf ihrem Gipfeltreffen am Freitag in Lissabon gebilligt haben. "Alle Verbündeten stimmen darin überein, dass das Kerngeschäft der Nato die Verteidigung ist, und das schließt die Abschreckung ein", sagte Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen am Abend.

Zur Abschreckung gehört dem Konzept zufolge an prominenter Stelle die Drohung mit dem Einsatz von Kernwaffen. Zwar unterstütze die Nato das Ziel einer atomwaffenfreien Welt. Solange aber Nuklearwaffen existierten, bleibe die Nato eine Nuklear-Allianz. Oberster Garant dafür seien die USA. Ausdrücklich wird auch die Bedeutung Großbritanniens und Frankreichs als eigenständige Nuklearmächte für die Sicherheit der Allianz hervorgehoben.

Dieser Satz geht auf das Drängen der Franzosen zurück, die auf den Erhalt ihrer atomaren Fähigkeit besonderen Wert legen. Das hatte zum Konflikt mit den Deutschen geführt, die der Abrüstung großes Gewicht in dem Papier verschaffen wollten. Berlin hatte ursprünglich eine Festlegung des Gipfels angestrebt, dass die nukleare Abschreckung in dem Maße zurückgefahren wird, in dem das vom Gipfel noch zu beschließende Raketenabwehrsystem vervollständigt wird.

Die Franzosen wiederum hatten darin die Gefahr gesehen, dass ihr Atompotential an Bedeutung verlieren könnte. Dieser Konflikt wurde kurz vor Beginn des Gipfels ausgeräumt. Nun gibt es in dem Papier keine direkte Verbindung zwischen Raketenschirm und Abrüstung. Gleichwohl zeigte sich Bundesaußenminister Guido Westerwelle hoch zufrieden. "So viel Abrüstung war noch nie in der Nato", erklärte Westerwelle.

Kein Bündnisfall nach Cyber-Attacken

Als weitere Kernaufgabe nennt das Konzept den Aufbau einer Raketenabwehr. Russland, mit dem die Nato auf allen Ebenen stärker zusammenarbeiten will, soll zur Beteiligung an dem System eingeladen werden. Westliche Regierungsmitglieder erwarten, dass der russische Präsident Dmitrij Medwedjew, der an diesem Samstag am Nato-Russland-Rat teilnehmen will, diesen Vorschlag "wohlwollend prüfen" werde.

Rüstungskontrolle und Abrüstung versteht die Nato auch als Mittel zur Verhinderung von Krisen, welche die Sicherheit des Bündnisses gefährden könnten. Weitere Gefahren sieht die Allianz in Angriffen auf Computersysteme (Cyber-Attacks) sowie auf Energieversorgung und Handel. Wie die Nato solchen Gefahren begegnen will, muss jeweils im Einzelfall entschieden werden. Den sogenannten Bündnisfall nach Artikel fünf des Nato-Vertrags, der alle Mitglieder zur kollektiven Verteidigung verpflichtet, sollen derartige Attacken nicht auslösen.

An diesem Samstag befasst sich der Gipfel auch mit Afghanistan. In Anwesenheit des afghanischen Präsidenten Hamid Karsai soll ein Zeitplan für die Übergabe der Sicherheitsverantwortung an die Afghanen bis 2014 beschlossen werden. Außerdem will sich die Nato zu einer langfristigen Kooperation mit Kabul verpflichten.

© SZ vom 20.11.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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