Gedenken an Belagerung Leningrads:"Die Gebäude brannten tagelang"

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Der 95-jährige russische Autor Daniil Granin während seiner Rede zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus (Foto: dpa)

Ein Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus: In einer bewegenden Rede vor dem Bundestag berichtet der russische Schriftsteller Daniil Granin über das Leid, das die Einwohner von Leningrad während der 900 Tage währenden Belagerung durchmachten. Bundespräsident Gauck richtet Worte der Versöhnung an Russland.

Es waren zwei Anlässe, die den Bundestag zum heutigen "Tag der Opfer des Nationalsozialismus" zusammenbrachten: Vor genau 69 Jahren wurde das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau durch die Rote Armee befreit. Ein Jahr zuvor - am 27. Januar 1944 - endete die Blockade Leningrads durch die deutsche Wehrmacht. Der russische Schriftsteller Daniil Granin, der selbst an der Leningrader Front gekämpft hatte, hielt die Gedenkrede.

Granin war 25 Jahre alt, als die sowjetische Armee die Belagerung Leningrads beendete. Deutsche Truppen hatten das heutige Sankt Petersburg im September 1941 eingekesselt. Die Stadt war von den sowjetischen Truppen und somit auch von der Versorgung mit Lebensmitteln abgeschnitten. Der "Leningrader Kessel" konnte nur aus der Luft und im Winter über das Eis des Ladoga-Sees versorgt werden. Schätzungen gehen von bis zu einer Million Menschen aus, die in den knapp 900 Tagen der Belagerung wegen Gewalt, Hunger und Krankheit starben - Granin überlebte.

Der heute 95 Jahre alte Schriftsteller ist Mitverfasser des "Blockadebuches" mit Erinnerungen an die Belagerung. Vor dem Bundestag sagte er, er habe den Deutschen lange nicht verzeihen können, "dass sie den Tod so vieler Menschen in Kauf genommen haben".

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Außen saßen die deutschen Soldaten, innen krepierten die russischen Zivilisten: Bilder von der Blockade von Leningrad, bei der im Zweiten Weltkrieg Hunderttausende umkamen.

Zu Beginn der Belagerung wurde die Stadt täglich bombardiert, die Infrastruktur brach komplett zusammen, es gab weder Wasser noch Strom. "Es gab Brände, wir hatten kein Wasser mehr, also brannten die Gebäude tagelang", erzählte Granin. Doch auch ohne die Brände sei der Wassermangel ein großes Problem gewesen: "Wo sollte man Wasser herbekommen? Leute brachten in Eimern Schnee nach Hause. Aber wie sollte man ihn schmelzen? Es gab keinen Brennstoff." Also hätten die Menschen das Parkett aus ihren Häusern gerissen, um Feuer zu machen.

Am schlimmsten jedoch sei der Hunger gewesen. "Der Tod war jemand, der schweigend seine Arbeit tat in diesem Krieg", sagte Granin in seiner knapp 40-minütigen Rede.

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Vor 69 Jahren befreite die Rote Armee Auschwitz-Birkenau. Überlebende des Nazi-Terrors haben in dem Vernichtungslager ihrer getöteten Mithäftlinge gedacht. Auch der Bundestag erinnert heute an die Opfer des Nationalsozialismus - in einer Gedenkstunde mit dem russischen Schriftsteller Daniil Granin.

Gauck richtet versöhnliche Worte an Putin

Zuvor hatte Bundespräsident Joachim Gauck eine versöhnliche Botschaft an Russlands Präsidenten Wladimir Putin gesenet. "Ich kann nur mit tiefer Trauer und mit Scham an den Vernichtungskrieg Nazi-Deutschlands gegen die Sowjetunion denken", schrieb Gauck in dem am Montag veröffentlichten Brief.

Die mehr als zweijährige Belagerung Leningrads sei Teil der "verbrecherischen Kriegsführung" gewesen, "welche die nationalsozialistische Führung gerade im Kampf gegen die Sowjetunion ganz bewusst betrieb".

Daniil Granin (l.) mit Bundespräsident Joachim Gauck und Bundeskanzlerin Angela Merkel bei der Veranstaltung zum Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus (Foto: dpa)

Deutschland sei sich seiner geschichtlichen Verantwortung für das Leid bewusst, das den Leningradern angetan worden sei, schrieb Gauck. Der Zweite Weltkrieg habe tiefe Wunden im Verhältnis zwischen Deutschland und Russland hinterlassen. Deshalb sei jeder Schritt der deutsch-russischen Versöhnung besonders hoch einzuschätzen.

Gauck wird auch wegen seiner Vergangenheit als DDR-Bürger ein distanziertes Verhältnis zu Russland nachgesagt. Ein Staatsbesuch ist seit langem in der Planung, ein Termin steht aber noch nicht fest.

Gedenken auch in Russland

Putin trat am Jahrestag auf dem Gedenkfriedhof Piskarjowskoje auf. "Es ist unsere Pflicht, an die damaligen Bewohner und ihren Sieg über den Faschismus zu erinnern", sagte er. Er empfinde "große Dankbarkeit" gegenüber den Verteidigern von Leningrad.

An einem Massengrab auf dem Friedhof legte Putin einen Kranz für die Opfer sowie Blumen für seinen Bruder Viktor nieder. Dieser war 1940 geboren und 1942 in der belagerten in der Stadt am Finnischen Meerbusen gestorben. Putin kam 1952 zur Welt. In Piskarjowskoje sind etwa eine halbe Million Tote beerdigt. In der zweitgrößten Stadt Russlands leben den Behörden zufolge noch mehr als 100.000 "Blokadniki", wie die Opfer sich selbst nennen.

© Süddeutsche.de/AFP/dpa - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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