Flüchtlinge:Das Wagnis des Helfens

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Reste eines Absperrbandes hängen über einem Weichensignal, an dem der Zug mit dem Attentäter zum Stehen kam. (Foto: dpa)

Per Video beschimpfte der Attentäter von Würzburg das Land, das ihm geholfen hatte. Die naive Vorstellung hat Risse bekommen, dass aus Flüchtlingen gute Bürger werden, wenn man ihnen genug Gutes tut.

Kommentar von Matthias Drobinski

Auf der Internetseite des Ochsenfurter Helferkreises hält der Teddybär ein Kuschelherz in den Pfoten; man kann sich durch die Bilder vom Sommerfest klicken, wo dunkelhaarige Jungs gemeinsam mit weißhaarigen Frauen und Männern lachen. In dieses Idyll ist die Axt des jungen Afghanen gefahren, der, bevor er loszog zu töten, im Kinderzimmer seiner Pflegefamilie per Video das Land beschimpfte, das ihm geholfen hatte. Die naive Vorstellung hat Risse bekommen, dass aus Flüchtlingen gute Bürger werden, wenn man ihnen nur genug Gutes tut. Misstrauen und Angst drohen nun die schier unglaubliche Hilfsbereitschaft von Millionen Deutschen zu vergiften.

Die Bluttat des Jungen aus der Fremde macht auf brutale Weise klar: Wer hilft, gibt etwas, ohne zu wissen, ob er es je zurückbekommt. Das Gute, das er tut, kann wirkungslos verpuffen, missbraucht werden, sich sogar ins Gegenteil verkehren: Es gibt auch den Fluch der guten Tat. Wer sich aufs Helfen einlässt, riskiert, am Ende hilflos dazustehen, beschämt und gedemütigt, der Häme derer ausgesetzt, die immer schon wussten, dass am besten jeder an sich selber denkt. Die Nächstenliebe ist ein ungedeckter Scheck; nirgendwo steht, dass der ausgeraubte Reisende sich je beim barmherzigen Samariter bedankt hätte. Die Bayern sagen zum Dankeschön "Vergelt's Gott" - dahinter steht die Weisheit, dass der wahre Lohn des Altruismus nicht vor dem Jenseits zu erwarten ist.

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Ihre Entgegnung: Die Gesellschaft zu teilen sei genau das, was radikale Organisationen wie der Islamische Staat erreichen wollen. Den Opfern geht es inzwischen besser.

Das gilt auch für die Helfer der Neuangekommenen, umso mehr, je intensiver sie sich auf die Flüchtlinge einlassen. Sie erleben, dass jemand Kleiderspenden missbraucht, um einen Kleinhandel aufzuziehen, ein anderer den Deutschkurs abbricht, weil Lernen mühsam ist. Es prallen Lebenseinstellungen und Traditionen aufeinander, reaktionär fromme Analphabeten und linksliberale Lehrer müssen miteinander auskommen. Menschen, die im Bürgerkrieg das Überleben gelernt haben, treffen auf andere Menschen, die Sinn und Beschäftigung suchen, jetzt, wo die Kinder aus dem Haus sind. Und manchmal sind die Traumata und die Aggressionen, die Gewalt- und Selbstmordfantasien durch keine Hilfe oder Zuneigung zu besiegen, stehen die Helfer hilflos vor der Gewalt.

Engagement kann scheitern. Doch ohne es ist der Staat seelenlos

Helfen hilft manchmal nichts - diese Erkenntnis ist die nächste Realismusstufe ein Jahr nach der großen Willkommenseuphorie. Zu diesem Realismus gehört aber auch zu sehen: Eine menschliche Gesellschaft ist nur möglich, wenn es genügend Menschen gibt, die sich auf dieses Wagnis einlassen, obwohl sie wissen, dass Helfen manchmal nicht hilft. Es braucht der Staat Bürger, die riskieren, enttäuscht zu werden und blamiert dazustehen, diffamiert als "Gutmenschen" von denen, die im Namen des gruppenbezogenen Egoismus reden. Er braucht Menschen, die sich freiwillig für andere einsetzen. Die Regierung kann dies nicht verordnen. Aber ein Staat ohne dieses Engagement ist ein trauriges und seelenloses Gebilde. Denn Hilfe kann scheitern - doch viel häufiger hilft sie irgendwie und macht Empfänger wie Geber zufrieden, manchmal gar glücklich.

Bundesinnenminister Thomas de Maizière hat nach der verstörenden Tat im Regionalzug die vielen Flüchtlingshelfer geradezu beschworen, weiterzumachen und sich nicht erschüttern zu lassen. Er weiß, welcher Schatz da für den Staat verloren zu gehen droht, sollte das Gift der Angst die Hilfsbereitschaft im Land lähmen. "Machen Sie bitte weiter so!" Der Satz des Innenministers ist gut und wichtig. Er sollte aber auch Folgen haben: Ein Land, dass in den Helfern einen Schatz sieht, sollte ihnen auch helfen. Es sollte sicherstellen, dass sie begleitet werden, stabilisiert, betreut und weitergebildet. Gerade für den Fall, dass das Wagnis in schmerzhafter Enttäuschung endet.

© SZ vom 22.07.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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