Europas neue Politiker:Junge Wilde gegen das Establishment

Europas neue Politiker: Emmanuel Macron (rechts) und Sebastian Kurz sind beide der Heldenkategorie zuzurechnen. Und doch unterscheiden sie sich. (Fotos: Getty, dpa, Collage: SZ)

Emmanuel Macron (rechts) und Sebastian Kurz sind beide der Heldenkategorie zuzurechnen. Und doch unterscheiden sie sich. (Fotos: Getty, dpa, Collage: SZ)

Sebastian Kurz und Emmanuel Macron stehen für eine neue Generation von Siegertypen. Beide inszenieren sich als Erneuerer. Die Gefahr ist nur, dass sie sich an der Macht berauschen.

Von Stefan Ulrich

Was unterscheidet den Helden vom Star? Ein Held tötet Drachen. Daher sind Emmanuel Macron, 39, und Sebastian Kurz, 31, der Heldenkategorie zuzurechnen. Beide haben, im Alleingang, ein verkrustetes, affärengeplagtes und trotzdem scheinbar übermächtiges Parteiensystem samt dessen Altpolitikern besiegt.

Macron gründete dazu seine Bewegung En Marche; Kurz machte die Österreichische Volkspartei zu seiner persönlichen Bewegungspartei. Der Franzose, der seit Mai als Präsident im Élysée-Palast regiert, und der Österreicher, der am Freitag den Auftrag zur Regierungsbildung bekam - sie sind die Sieger des Politjahres 2017 und zugleich Vertreter eines jungen, männlichen Politikertypus', der derzeit in vielen Ländern die Paläste der Macht stürmt.

Der Italiener Matteo Renzi, 42, gehört ebenso dazu wie der Kanadier Justin Trudeau, 45. Und Christian Lindner, 38, möchte sich auch gern in dieser Liga sehen. Die neuen Polit-Heroen geben sich kühn und lässig-selbstbewusst bis an die Grenze zur Arroganz. Sie sind gut aussehend, charismatisch und von einer adretten Virilität, was sie von Machtpolitikern wie dem schlüpfrigen Silvio Berlusconi, dem brutalen Wladimir Putin oder dem vulgären Donald Trump unterscheidet.

Die jungen Wilden im Business-Anzug fordern das Establishment heraus, inszenieren sich als Erneuerer und wecken die Hoffnung, sie könnten die Wut vieler Menschen auf "das System" besänftigen und den Vormarsch der völkischen Rechtspopulisten stoppen. Vor allem von Macron und Kurz wird das erwartet. Immerhin hat der Franzose die nationalistische Kandidatin Marine Le Pen bei der Präsidentschaftswahl deklassiert, während der Österreicher es schaffte, die rechtspopulistische FPÖ auf Abstand zu halten.

Dennoch ist es falsch, Macron und Kurz gleichzusetzen. Gewiss, die Verpackungen ihrer Politik sind ähnlich. Die Inhalte sind es nicht. Das zeigt sich gerade im Kampf gegen den Rechtspopulismus. Macron hat den Gegner besiegt, indem er ihn mit hohem Risiko frontal angriff. Ausgerechnet im verdrossenen, scheinbar europamüden Frankreich führte er eine vehement proeuropäische Kampagne. Somit hat er nun vom Wähler ein Mandat für eine sehr europafreundliche Politik. Prompt gehen von Paris die kraftvollsten Initiativen für eine Stärkung der EU aus.

Ist Kurz ein Populist?

Auch Kurz ist kein Europagegner. Er verhält sich jedoch ambivalent. Zu mittelosteuropäischen Nationalisten wie dem ungarischen Premier Viktor Orbán, der gegen die Europäische Union agitiert, pflegt er engen Kontakt. Vor allem aber ist der Österreicher bereit, mit der EU-skeptischen FPÖ zu koalieren. Kurz hat die Freiheitlichen weniger bekämpft denn kopiert. Nun ist fraglich, ob er als Kanzler Europa voranbringen kann.

Auch sonst trennt die Helden viel. Macron warb im Wahlkampf für ein umfassendes Programm zur Erneuerung Frankreichs, das er nun zielstrebig umsetzt - von der Arbeitsmarktreform über die Berufsbildung bis hin zur Polizei. Wie es bislang aussieht, hält er, was er verspricht. Dies gilt auch für Programmpunkte, die bei vielen Franzosen unpopulär sind, wie die Lockerung des Kündigungsschutzes. In Macrons flotter Verpackung steckt Substanz.

Kurz dagegen hat sich im Wahlkampf auf das Thema Flüchtlinge fokussiert und tat teilweise so, als hingen die meisten Probleme des Landes irgendwie mit der Einwanderung zusammen. Das war erfolgreich, doch dadurch kamen andere Themen wie die Wirtschaftspolitik zu kurz. Als Kanzler muss er noch beweisen, was seine fesche Verpackung enthält. Die Bürger werden mehr erwarten als die Abwehr von Flüchtlingen.

Die Gefahr ist, dass sich die Heroen an der Macht berauschen

Ist Kurz also ein Populist, während Macron Realpolitiker ist? Populisten im engeren Sinne behaupten, sie seien die einzigen Interpreten des wahren Volkswillens, alle anderen mehr oder weniger Volksverräter. So spricht weder Kurz noch Macron.

Im weiteren Sinne populistisch agiert allerdings auch, wer Zwischeninstanzen einer Demokratie - Parteien und Institutionen - übergeht, um sich direkt auf du und du ans Volk zu wenden. Dazu neigt besonders Macron. Seine Statur als französischer Präsident, charismatischer Politiker und großer Redner erleichtert ihm das. Und in Zeiten, da ein blockiertes, reformunfähiges System wie zuletzt die französische Republik aufgerüttelt werden muss, bedarf es wohl manchmal solcher Helden.

Die Gefahr ist nur, dass sich die Heroen an der Macht berauschen, dem Narzissmus verfallen und die Institutionen auf Dauer beschädigen. Wenige Mächtige besitzen die Weisheit eines Lucius Quinctius Cincinnatus. Als das antike Rom einst in größter Gefahr war, setzte ihn der Senat als Alleinherrscher ein. Cincinnatus rettete die Stadt. Danach legte er sofort das Amt des Diktators nieder und zog sich zur Arbeit auf seine Felder zurück.

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