EU-Müdigkeit unter jungen Serben:Wo Europa keine verlockende Alternative ist

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Ein Mann trägt eine serbische Fahne bei einer Anti-EU-Demonstration im April 2013 in Belgrad. (Foto: REUTERS)

Hunderttausende junge Serben suchen ihr Glück im Ausland. Wer zurück bleibt, weiß kaum etwas über Europa. Die Vorurteile der Jugend nutzen nationalistische Gruppen, um Anhänger zu rekrutieren. Serbiens Weg in die EU wird lang und steinig.

Ein Gastbeitrag von Danijela Božović

Es war einmal in einem Land... Moment, ich glaube nicht an Märchen. Noch einmal von vorne. Wer heutzutage in Serbien aufwächst, vor allem außerhalb von Belgrad, sieht sich mit sehr deprimierenden Aussichten konfrontiert. Eine hohe Jugendarbeitslosigkeit (etwa 50 Prozent), kaum Chancen, auf dem Arbeitsmarkt Fuß zu fassen sowie ein schlechtes Bildungs- und Gesundheitssystem wecken bei vielen jungen Menschen in Serbien den Wunsch, ihr Land zu verlassen.

Gut ausgebildete junge Serben erwägen, im Ausland nach Jobs zu suchen. Zwar gibt es keine aussagekräftigen Daten darüber, wie viele junge Menschen Serbien in den letzten 20 Jahren verlassen haben, doch Schätzungen gehen davon aus, dass es etwa 300 000 waren. Dabei sind nur 0,02 Prozent aller staatlicher Ausgaben für die Belange der Jugend vorgesehen. Im Haushalt des serbischen Ministeriums für Jugend und Sport stehen nur fünf Prozent der Ausgaben für die Jugend bereit, wohingegen 95 Prozent für den Bereich Sport vorgesehen sind. Daran erkennt man, dass serbische Politiker die Jugend nicht als "gesellschaftliche Ressource" ansehen.

Doch sind Veränderungen überhaupt möglich? ... Hm, ich habe daran meine Zweifel. Wir hatten gerade vorgezogene Parlamentswahlen. 20 Prozent der Wahlberechtigten sind junge Menschen und Vertreter aller Parteien haben ihnen viele Versprechungen gemacht. Doch wo sind die jungen Menschen in den Wahlkampagnen und den Programmen der politischen Parteien repräsentiert? Was ist mit ihren Erwartungen?

Eine aktuelle Umfrage hat ergeben, dass junge Menschen in Serbien vor allem über die schlechte wirtschaftliche Lage, teure Ausbildung, Gewalt und Kriminalität sowie fehlende internationale Unterstützung besorgt sind. Nach Ansicht der jungen Menschen sollte sich die neue serbische Regierung vorrangig darum kümmern, die Jugendarbeitslosigkeit abzubauen und die wirtschaftliche Entwicklung zu fördern. Zugleich denken 75 Prozent der Jungen, dass sich nach den Wahlen nichts ändern wird. Den Glauben an eine bessere Zukunft haben zu viele verloren.

Gesellschaftliche Reformen? Bisher Fehlanzeige

Die von der serbischen Fortschrittspartei geführte Koalition unter ihrem Vorsitzenden Aleksandar Vučić hat sich von Ultranationalisten zu Befürwortern einer EU-Mitgliedschaft gewandelt. Bei den Wahlen hat sie die große Mehrheit der Sitze im Parlament gewonnen. Doch wird die neue Regierung Reformen durchführen? Ich glaube das nicht. Ich kann mich nicht erinnern, dass in den vergangenen zwei Jahren irgendein ernsthaftes Wirtschaftsprogramm in Serbien umgesetzt wurde. Große Reformvorhaben im Bereich des Arbeitsmarktes, der Privatisierung und des Insolvenzrechts wurden immer abgelehnt.

Das Einzige, was erfolgt ist, waren Festnahmen: Die Polizei hat den Milliardär Miroslav Miskolic sowie einige frühere Minister festgenommen. Sie glauben wohl, dass derartige Festnahmen die Menschen glücklich machen und dass sie ihr politisches Ansehen stärken - nach den Wahlen haben sie nun Darko Saric, einen mutmaßlichen Drogenbaron, festgenommen.

Die Neuwahl wurde mit der Begründung angesetzt, dass für das Reformpaket, das auf dem Weg zur EU-Mitgliedschaft umgesetzt werden muss, größtmögliche Legitimation vorhanden sein muss. Der Hauptgrund war jedoch das Streben der Partei nach mehr Macht. Ich hoffe und vertraue darauf, dass die EU aus früheren Erweiterungen gelernt hat. Während des gesamten serbischen Assoziierungsprozesses sollte die EU strikt darauf achten, dass die Umsetzung des EU-Rechts tatsächlich eingehalten wird.

Doch halt, was ist mit der EU? Hat irgendjemand die EU im Wahlkampf erwähnt? Wie könnten zukünftige Generationen junger Menschen von der EU-Mitgliedschaft profitieren? Warum ist sie wichtig? Serbien hat den Heranführungsprozess mit der EU begonnen, und das soll es nun sein? So ist es leider! Das Thema europäische Integration hat im Wahlkampf überhaupt keine Rolle gespielt. Davor waren alle EU-Themen hochpolitisch und man konnte nichts über die EU hören oder lesen, ohne dass das Kosovo, wirtschaftliche Krisen, etc. erwähnt wurden.

Jüngste Forschungen haben ergeben, dass der größte Widerstand gegen die EU-Integration von der jungen Bevölkerung kommt. Warum unterstützen die jungen Serben die europäische Integration nicht? Meiner Meinung nach liegt der Grund für die große Zahl junger Euroskeptiker in Serbien darin, dass diese Generation den Großteil ihres Lebens in einem Land verbracht hat, das die Übergangsphase abgeschlossen hat und in dem sie sich nicht mehr an den Krieg erinnern.

Mehr als 7 5 Prozent der jungen Menschen in Serbien haben zudem das Land noch nie verlassen. Dafür gibt es viele Gründe. Bis 2010 waren Reisen nach Westeuropa wegen der EU-Visumsbeschränkungen sehr mühsam, teuer und, besonders für junge Männer, unmöglich. Seitdem Serbien das Visumerleichterungsabkommen mit der EU unterzeichnet hat, sind die bürokratischen Hürden gesunken. Gleichwohl können sich viele junge Serben schlicht nicht leisten, ins Ausland zu reisen.

Zugleich glauben junge Serben nicht daran, dass ihnen die EU eine bessere Zukunft bietet. Also steigt die Zahl junger Nationalisten. Sie werden manipuliert und ausgebeutet, da die meisten nationalistischen Parteien und Gruppen ihre Unterstützer unter den unter 25-Jährigen rekrutieren. Auf den Bildern und Videos der jüngsten Aufstände nach der Schwulenparade und der Versammlung zugunsten des Kriegsverbrechers Ratko Mladic waren in den ersten Reihen vor allem junge Menschen zu sehen.

Für die negative Haltung der jungen Menschen gegenüber der EU gibt es viele Gründe - die Haltung der EU zum Kosovo, die Angst vor Souveränitätsverlust sowie die schlechte Wirtschaftslage in einigen Mitgliedstaaten. Auch die Frage, wie die EU angesichts ihrer eigenen Krise Serbien unterstützen könnte, wird gestellt. Junge Menschen bilden sich ihre Meinung auf Basis von Medienberichten und Meinungen ihres Umfeldes - Fakten fehlen da häufig.

Jungen Serben fehlt das Grundwissen über die EU

Vor diesem Hintergrund lässt sich ein Hauptgrund für die europakritische Haltung der jungen serbischen Bevölkerung ausmachen: Über die Europäische Union werden viele Stereotype und Klischees verbreitet und in den Medien werden zu wenig einfache, richtige und positive Informationen verbreitet. Berichte über die EU sind absolut uninteressant, langweilig und in bürokratischer Sprache verfasst.

Im letzten Jahr habe ich in eine, Schüler-Workshop zum Thema EU ein kleines Experiment gemacht: Ich habe ihnen einen Zeitungsartikel über den serbischen EU-Heranführungsprozess gegeben. Ihre Aufgabe bestand darin, alle Wörter in dem Artikel zu markieren, die sie nicht verstehen. Es war kaum zu glauben, aber im Durchschnitt wurde jedes dritte Wort markiert.

Es war auch sehr aufschlussreich und zugleich deprimierend zu sehen, dass sie nicht wussten, was uns der Prozess der EU-Integration bereits gebracht hat und was für Chancen und Möglichkeiten sie jetzt, als junge Menschen vor den Toren der EU haben. Ich habe ihnen lang und breit für sie interessante Themen erklärt, wie etwa die EU-Programme für Jugendliche, die sie jetzt schon nutzen können.

Sie haben mich gefragt, warum man darüber nichts in Zeitungen oder im Fernsehen erfährt. Hierfür hatte ich keine leichte Erklärung parat. Doch Fakt ist, dass sich mit derartigen Nachrichten keine Zeitungen verkaufen lassen. Im Ergebnis fühlen sich junge Serben von der EU isoliert, sie wissen nicht, was sie als Teil der EU erwarten können, wie sich die Aufnahme auf ihr tägliches Leben auswirkt und wie sie als europäische Bürger leben würden.

Wir wissen nur, dass viele Herausforderungen auf dem langen Weg zur vollen EU-Mitgliedschaft vor uns liegen. Zugleich liegt die noch viel längere Strecke vor Serbien, einen systematischen und strategischen Ansatz für den Umgang mit seiner Jugend zu finden und zu etablieren. Wir können es uns nicht erlauben, eine weitere junge Generation zu verlieren. Ein kleiner Teil meiner Generation hat sich entschieden zu bleiben und ist jetzt nicht bereit, aufzugeben. Doch wie sieht es morgen aus? Wie lange können wir auf den Weckruf in Serbien warten?

Das Gros der serbischen Bevölkerung ist letzte Woche an die Wahlurnen gegangen, aber das ist auch schon alles. Aber das sollte nicht alles sein. Aus diesem Grund ist es notwendig, dass sich die serbische Gesellschaft, allen voran die jungen Menschen, aber auch die Europäische Union, stärker für die Umsetzung von notwendigen Reformen engagieren.

Dieser Artikel erscheint im Rahmen der Kooperation "Mein Europa" von Süddeutsche.de mit dem Projekt FutureLab Europe der Körber-Stiftung. Bis zur Europawahl Ende Mai werden in der Serie junge Europäer zu Wort kommen - streitbar, provokativ und vielfältig.

Danijela Božović, 29, ist Generalsekretärin der Union of European Federalists in Serbien. Sie hat ihr Studium mit dem Bachelor in Internationalen Beziehungen und dem Master in Europäischer Integration an der Universität von Belgrad abgeschlossen. Zurzeit arbeitet sie als Projektassistentin im Zentrum für Europäischen Integration in Belgrad.

An English version of the text is available at the website of FutureLab Europe.

Übersetzung: Dorothea Jestädt

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