Wahl in Serbien:Machtvoll nach Europa

Voting begins in Serbian snap elections

Das Kalkül des Vizepremiers: Aleksandar Vučić, der starke Mann Serbiens, will sich mit der vorgezogenen Wahl eine verfassungsgebende Mehrheit im Parlament sichern.

(Foto: dpa)

Mit dem klaren Sieg bei der vorzeitigen Neuwahl in Serbien dehnt der umstrittene Vizepremier Aleksandar Vučić seinen Einfluss im Land weiter aus. Doch die Beitrittsgespräche mit der Europäischen Union zwingen ihn zu wichtigen Reformen - auch bei der Rechtsstaatlichkeit.

Von Florian Hassel

Es war eine Wahl, deren Sieger schon vorher feststand: Aleksandar Vučić, bisher stellvertretender Ministerpräsident Serbiens, Chef der übermächtigen Serbischen Fortschrittspartei (SNS) und der Mann, der am Sonntag die 7,2 Millionen Bürger des EU-Kandidaten Serbien zu einer vorzeitigen Parlaments- und Regierungswahl gerufen hatte. Die SNS konnte mit etwa 50 Prozent ihren Stimmenanteil fast verdoppeln und erreichte vermutlich die absolute Mehrheit, wie erste Hochrechnungen ergaben. Schon vor Bekanntgabe des offiziellen Ergebnisses am Montag musste sich Vučić, der seine Karriere als Propagandaminister unter Autokrat Slobodan Milošević begann, nur fragen, wie groß der Zuwachs seiner Macht ausfallen würde.

Denn es ist keine zwei Jahre her, dass die Serben eine Regierung wählten. Die seit Juli 2012 regierende Koalition aus der nationalistischen SNS und den von Ivica Dačić geführten Sozialdemokraten als Juniorpartner war ein Zweckbündnis auf Zeit. Vučić wurde Vizepremier und Aufseher über die Geheimdienste und überließ Dačić das Amt des Regierungschefs und Innenministers - und unpopuläre Verhandlungen mit Kosovo. Deren Abschluss machte die EU zur Bedingung, um Serbien den EU-Beitritt in Aussicht zu stellen.

Und so arbeitete sich Dačić bei monatelangen Verhandlungen mit Kosovos Regierungschef und EU-Außenkommissarin Catherine Ashton ab. Ein im März 2013 unterschriebener Verhandlungsplan, der bis heute nicht in einen rechtlich bindenden Vertrag gemündet ist, läuft auf eine faktische Anerkennung Kosovos durch Serbien hinaus. Dačić durfte selbst dann weiterverhandeln, als im Februar 2013 seine Kontakte zu steckbrieflich gesuchten mutmaßlichen Mafiabossen ans Tageslicht kamen.

Schon 2008 und 2009 hielten Ermittler auf Video oder Tonband etliche Treffen oder Telefonate des damaligen Innenministers Dačić und seines Bürochefs mit Rodoljub Radulović fest, einem mutmaßlichen Mafiaboss im Clan des weltweit gesuchten Drogenzars Darko Šarić. Es ist bezeichnend für die immer noch wenig an rechtsstaatlichen Kriterien orientierte serbische Politik, dass die Erkenntnis, der Innenminister und Polizeichef pflege enge Mafiakontakte, jahrelang geheim gehalten wurde und keinerlei Folgen hatte.

Als die Überwachungsvideos vor einem Jahr der Presse zugespielt wurden, redete sich Dačić damit heraus, er - der oberste Polizeichef - habe bei seinen Treffen mit dem alten "Freund der Familie" Radulović nicht gewusst, dass dieser steckbrieflich gesucht werde. Selbst nach diesem Skandal passierte nichts, weder in Belgrad noch in Europas Hauptstädten. Die EU und die in der Kosovo-Frage federführende Bundesregierung wollten, dass Dačić die Verhandlungen mit Kosovo zu Ende brachte.

"Kampf gegen Korruption"

Vizepremier Vučić hielt sich im Hintergrund. Stattdessen erhöhten er und die SNS ihre Beliebtheit mit populistischen Initiativen wie dem - bisher ohne messbare Erfolge gebliebenen - "Kampf gegen Korruption" oder der von einem Schauprozess gefolgten Verhaftung des unbeliebten Oligarchen und Milliardär Miroslav Mišković. Schon im Spätsommer 2013 sagten Beobachter in Belgrad voraus, sobald die EU den Beginn für Beitrittsverhandlungen mit Serbien festsetze, werde Vučić seine gestiegene Popularität bei einer vorgezogenen Neuwahl in Wählerstimmen ummünzen wollen. Genauso kam es.

"Es war alles nur Marketing, keine einzige Reform ist umgesetzt worden"

Kaum hatten Europas Staats- und Regierungschefs den Beginn der Beitrittsgespräche mit Serbien für Januar 2014 gebilligt, ließ Vučić eine vorgezogene Neuwahl für den 16. März ausschreiben. Der Wahlkampf war inhaltsleer - abgesehen von allgegenwärtigen Fernsehberichten über Vučić und weiteren den Medien zugespielten Details über die Mafiakontakte von Noch-Regierungschef Dačić. So berichtete die Tageszeitung Blic Ende Februar, der mutmaßliche Mafiaboss Radulović habe noch Ende Mai 2010 im Belgrader Hotel Prestige mit über 350 Gästen die Hochzeit eines seiner Kinder gefeiert, und sich zuvor von Serbiens oberster Polizeiführung, sprich: Ivica Dačić zusichern lassen, er werde nicht verhaftet, wenn er am Tag nach der Hochzeit das Land wieder verlasse. Mit solchen Enthüllungen, die Vučić zugeschrieben werden, sollte offenbar die Popularität Dačić' und seiner Sozialdemokraten ein paar Prozentpunkte gedrückt werden.

Das Kalkül ging auf: Bei der Wahl am Sonntag kam Vučić' SNS nach Angaben der Wahlforschungsgruppe Cesid auf etwa 50 Prozent der Stimmen. Dačić' Sozialdemokraten erreichten mit 15 Prozent Platz Zwei. Serbiens Demokraten, gespalten in die Demokratische Partei und die vom früheren Präsidenten Boris Tadić gegründete Neue Demokratische Partei, landeten weit abgeschlagen dahinter.

Der genaue Ausgang der Wahl wird am Montag zeigen, ob Vučić sein Ziel, eine absolute Mehrheit, tatsächlich erreicht hat. Offen ist auch, mit wem Vučić eine Koalition schmiedet, die mehr als zwei Drittel der Abgeordneten zusammenbringt: Nur dann könnte Vučić die Verfassung und den Artikel ändern, der Kosovo als festen Bestandteil Serbiens festschreibt. Eine Reihe europäischer Politiker soll die Änderung dieses Artikels und eine vollwertige Anerkennung eines Staates Kosovo zur Bedingung für Serbiens Aufnahme in die EU machen.

Vučić rechtfertigte die vorgezogene Wahl damit, dass eine neue Regierung endlich Reformen verabschieden könne, die Serbien dringend braucht, wenn es einen Staatsbankrott vermeiden, seine sklerotische Wirtschaft ans Laufen bringen und die Arbeitslosigkeit von 29 Prozent verringern will. Serbiens Probleme ähneln denen Griechenlands: ein aufgeblasener, korrupter Staatsapparat und ruinöse Vergünstigungen, Hunderte verlustbringender, von Parteifunktionären dominierte Staatsfirmen, eine erstickende Bürokratie, überholte Arbeitsgesetze, staatskontrollierte Medien und ein veraltetes Bildungssystem.

Freilich machten sowohl serbische Reformer wie ausländische Experten bereits in den vergangenen Jahren etliche Reformvorschläge. Schon die Koalitionsregierung Vučić-Dačić hatte eine große Mehrheit im serbischen Parlament, verabschiedete aber in 21 Monaten nicht eine große Reform. Ein September 2013 ins Kabinett geholter Reformer, Saša Radulović, warf nach Blockade sämtlicher Reformen durch Vučić Ende Januar entnervt das Handtuch. "Es war alles nur Marketing, keine einzige Reform ist umgesetzt worden. Und es sollte auch keine umgesetzt werden", sagte Radulović der Süddeutschen Zeitung.

Nach der Wahl aber muss Vučić nun Farbe bekennen - und das nicht nur, weil er nun selber das Amt des Premierministers übernehmen dürfte. Da Serbiens Verschuldung bei Haushaltsdefiziten von sieben Prozent rasant gestiegen ist und Vučić' Versuche scheiterten, billige Kredite in Russland oder den Vereinigten Arabischen Emiraten zu bekommen, bleibt Serbien nur der Internationale Währungsfonds. Der wird jedoch auf die unpopulären Reformen bestehen. Und bei den angelaufenen Beitrittsverhandlungen mit der EU stehen die Themen Rechtsstaatlichkeit oder Justiz im Vordergrund - Vučić' Bilanz ist hier bisher bescheiden.

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