EU-Flüchtlingspolitik:So soll die neue EU-Asylpolitik aussehen

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Eine Übersichtskarte für Flüchtlinge im Camp am griechisch-mazedonischen Grenzübergang Idomeni (Foto: AFP)
  • Die EU-Kommission hat Vorschläge für eine neue Asylpolitik der Europäischen Union vorgelegt.
  • Der Gesetzentwurf enthält Forderungen an die Türkei in Bezug auf die Visafreiheit, neue Dublin-Regeln und er will die Grenzkontrollen im Schengen-Raum verlängern.
  • Die EU-Mitgliedstaaten müssen nun über den Gesetzentwurf beraten.

Von Timo Nicolas und Markus C. Schulte von Drach

Die EU-Kommission will die Asylpolitik der Europäischen Union in mehreren Punkten verändern. Das geht aus einem Gesetzentwurf hervor, den Kommissions-Vizepräsident Frans Timmermans und EU-Innenkommissar Dimitris Avramopoulos in Brüssel vorstellten. Er enthält Vorschläge zum Asylverfahren - insbesondere zu den Dublin-Regeln - zu Grenzkontrollen im Schengen-Raum sowie zur Visafreiheit für die Türkei.

Nun müssen die EU-Mitgliedstaaten über den Gesetzentwurf beraten.

Neue Dublin-Regeln

Eigentlich sollten die Dublin-Regeln (Dublin III) der EU dafür sorgen, dass Flüchtlinge nur in dem Mitgliedstaat Asyl beantragen können, den sie zuerst erreichen. Für die allermeisten Migranten waren und sind dies Griechenland und Italien. Diese Länder waren in den vergangenen Jahren allerdings nicht in der Lage, die große Zahl von Flüchtlingen angemessen zu versorgen. Viele wurden deshalb nicht an der Weiterreise in andere EU-Staaten gehindert.

Die Reaktionen sind bekannt: Mittlerweile sind die Grenzen innerhalb Europas für Flüchtlinge weitgehend dicht. Um Länder wie Griechenland und Italien künftig zu entlasten, will die EU-Kommission nun die Dublin-Regeln ändern.

Flüchtlinge sollen wie bisher dort einen Asylantrag stellen, wo sie die EU betreten. Um zu verhindern, das die betreffenden Staaten weiter zu stark belastet werden, will die EU-Kommission aber einen neuen Verteilungsmechanismus einführen. "Wenn es hier keine Solidarität gibt, dann wird es auch in anderen Bereichen keine Solidarität geben", mahnte Vizepräsident der EU-Kommission Timmermans bei der Vorstellung des Gesetzentwurfs, "und das wäre ein großer Schlag gegen das europäische Projekt". Deshalb soll jedes Land nur noch Asylsuchende aufnehmen müssen, bis es zu einem "unverhältnismäßigen Druck" kommt.

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250 000 Euro für verweigerte Flüchtlingsaufnahme

Die Belastbarkeitsgrenze eines EU-Staates wird dem Entwurf zufolge je zur Hälfte über die Bevölkerungsgröße und die Wirtschaftskraft errechnet. Wird die Grenze um 50 Prozent überschritten, sollen Schutzsuchende auf andere EU-Länder verteilt werden. Staaten, die sich weigern, bei dieser Verteilung Asylbewerber aufzunehmen, müssen dem Gesetzentwurf zufolge je Flüchtling und Jahr 250 000 Euro an die Mitgliedstaaten zahlen, die zur Aufnahme bereit sind. Mit anderen Worten: Wer nicht mitmachen will, kann sich freikaufen.

Ebenfalls berücksichtigt werden soll, ob ein Land Flüchtlinge direkt aus Krisengebieten oder Drittstaaten wie der Türkei oder Jordanien aufnimmt. Solche Aufnahmen finden im Rahmen von sogenannten Neuansiedlungsprogrammen (Resettlement) bereits statt. Für solche Programme prüft das UN-Flüchtlingshochkommissariat (UNHCR) in Krisengebieten und Flüchtlingslagern, wer Anspruch auf Asyl hat und besonders schutzbedürftig ist. Die Betroffenen werden dann an ein Aufnahmeland vermittelt. Deutschland etwa hat auf diese Weise bereits 20 000 Syrer aufgenommen.

Vom Tisch ist mit den neuem Gesetzentwurf die Idee eines Asylsystems mit einem festen Verteilungsschlüssel für die einzelnen EU-Mitgliedstaaten.

Grenzkontrollen, die vielerorts im Schengen-Raum wegen der Flüchtlinge eingeführt wurden, sollten der EU-Kommission zufolge bis Mitte November verlängert werden - allerdings nur dort, wo sie derzeit schon stattfinden.

In Deutschland würden die Kontrollen sonst bereits am 12. Mai enden. Berlin und weitere EU-Staaten haben auf eine Verlängerung gedrängt, obwohl die Zahl der Schutzsuchenden zuletzt deutlich gesunken ist.

Die Grenzkontrollen, die innerhalb des Schengen-Raumes eigentlich nicht mehr vorgesehen sind, können den geltenden Regeln zufolge vorübergehend und aus besonderen Anlässen vorgenommen werden. Damit die Binnengrenzen in Zukunft wieder ungehindert passiert werden können, soll Griechenland die Verlängerung der Kontrollen nutzen, um die Schengen-Außengrenze besser zu schützen. Griechenland habe bereits deutliche Fortschritte erzielt, sagte EU-Innenkommissar Avramopoulos. "Aber nicht alle Mängel konnten bisher behoben werden."

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Die Grenzkontrollen können jederzeit beginnen - je nach Lage. Auch der Bau eines 370 Meter langen Zauns wird vorbereitet. Welche Folgen hat das für Wirtschaft und Tourismus? Und wie finden das die Italiener?

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Außerdem sollen Flüchtlinge nicht mehr über die Balkanroute reisen können. Es handele sich "um außerordentliche, zeitlich begrenzte Maßnahmen, mit denen wir so schnell wie möglich zur Normalität von Schengen zurückommen wollen", sagte Avramopoulos.

Die Kosten der Grenzkontrollen für die europäische Wirtschaft hat die EU-Kommission auf fünf bis 18 Milliarden Euro pro Jahr geschätzt.

Die EU-Kommission schlägt wie erwartet vor, dass türkische Staatsbürger ohne Visum für 90 Tage in den Schengen-Raum einreisen dürfen. Dass die lang geplante Visafreiheit schon Ende Juni kommen soll, ist für Ankara der wichtigste Teil des Abkommens mit der EU in der Flüchtlingskrise.

Der Vorschlag erfolgt aber unter Vorbehalt: Bisher hat die Türkei 65 der notwendigen 72 Kriterien für die Visafreiheit vollständig erfüllt. Weil sie trotz des enormen Tempos der vergangenen Wochen also in Verzug ist, will man der Regierung in Ankara noch mehr Zeit einräumen. Mitte Juni soll ein weiterer Bericht der Kommission folgen. Den Gesetzesvorschlag präsentiert die Kommission trotzdem schon heute, damit die EU-Staaten und das Europaparlament mit Beratungen darüber beginnen können, denn die Zeit drängt.

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Die geplanten Erleichterungen bei der Einreise sind eine Bedingung des zwischen der EU und der Türkei ausgehandelten Flüchtlingsabkommens. Fünf von 72 Voraussetzungen müsse die Türkei aber noch erfüllen.

In dem Entwurf der Kommission ist auf Betreiben der französischen und deutschen Regierung eine Art Notbremse vorgesehen, um die Visafreiheit rasch wieder aussetzen zu können. Bei einem "bedeutenden und plötzlichen Anstieg" von Asylanträgen oder von unrechtmäßigen Aufenthalten - etwa wenn türkische Touristen länger im Land bleiben als erlaubt - soll das visafreie Reisen schnell und mit wenigen Hürden gestoppt werden können. Außerdem verknüpft der Vorschlag die Visafreiheit für Türken direkt mit dem Erfolg der EU-Türkei Vereinbarung aus dem März

Flüchtlingsabkommen mit der Türkei

Damals hat Ankara zugesagt, Flüchtlinge aus Griechenland zurückzunehmen, die über die Türkei gekommen sind, wenn die EU dafür bis zu 72 000 Schutzsuchende aus der Türkei aufnehmen würde.

Offenbar haben sich die EU und die Türkei nun auf ein Verfahren zur Auswahl von Flüchtlingen verständigt, die direkt in EU-Länder umgesiedelt werden sollen. Wie die Bild-Zeitung berichtet, haben beide Seiten eine "Standard-Prozedur" vereinbart, nach der vorerst nur Syrer in der EU aufgenommen werden sollen, die vor dem 29. November 2015 in der Türkei Schutz gesucht haben. Bevorzugt werden Mädchen und Frauen in Gefahr, Überlebende von Gewalt und Folter sowie Behinderte. Ihr EU-Zielland dürfen sie sich nicht selbst aussuchen. Flüchtlinge, die zuvor schon in die EU eingereist sind oder es versucht haben, werden nicht berücksichtigt, berichtet die Zeitung.

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