Flüchtlinge:So will Österreich den Brenner kontrollieren

Police and activists clash at rally against border control betwee

"Gegen Grenzen, Ja zu Europa": Aktivisten demonstrieren gegen die geplanten Grenzkontrollen am Brenner-Grenzübergang zwischen Italien und Österreich.

(Foto: dpa)

Die Grenzkontrollen können jederzeit beginnen - je nach Lage. Auch der Bau eines 370 Meter langen Zauns wird vorbereitet. Welche Folgen hat das für Wirtschaft und Tourismus? Und wie finden das die Italiener?

Von Paul Munzinger und Vivien Timmler

Der Brenner ist das Nadelöhr zwischen Italien und Österreich. Hier muss jeder durch, der von Europas Süden in Europas Norden will, und das werden bald, so die Befürchtung der Regierung in Wien, wieder sehr viele Flüchtlinge wollen. Die Balkanroute ist, unter Federführung Österreichs, abgedichtet worden. Viele Flüchtlinge dürften nun, mit dem Ende des Winters, wieder auf den gefährlichen Weg von Nordafrika aus über das Mittelmeer nach Italien ausweichen. Und von dort weiter nach Norden. Gegen den erwarteten Ansturm will Österreich sich wappnen.

War Kanzler Werner Faymann (SPÖ) noch im Herbst Angela Merkels engster Verbündeter in Europa, hat seine schwarz-rote Koalition die Weichen in der Flüchtlingspolitik längst auf Abschreckung gestellt. Am Mittwoch hat das Parlament mit großer Mehrheit eine weitere Verschärfung des Asylrechts beschlossen, inklusive einer Notstandsverordnung, die es erlaubt, Asylsuchende schon an der Grenze abzuweisen. Dass selbst dieser Kurs vielen Wählern noch zu milde ist, hat sich am Sonntag in aller Deutlichkeit gezeigt. Norbert Hofer, Kandidat der rechtspopulistischen FPÖ, gewann mühelos die erste Runde der Bundespräsidentenwahl. Am Brenner will die angeschlagene Regierung nun beweisen, dass sie noch nicht am Ende ist.

Was also plant Österreich an der Grenze zu Italien, wo der letzte Schlagbaum 1998 abgebaut wurde? Was bedeuten die Pläne für die Wirtschaft? Und was halten eigentlich die Italiener davon?

Was genau hat Österreich am Brenner vor?

Die Zeit des "Durchwinkens" sei in Europa endgültig vorbei, findet der österreichische Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil. Allerdings bezweifelt die Wiener Regierung offenbar, dass diese Botschaft südlich der Alpen so deutlich angekommen ist wie in Österreich. Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser und Kontrollen sind am besten: Beginnen sollen sie abhängig von der Flüchtlingsbewegung, also je nachdem, wie viele Asylsuchende die Grenze überqueren wollen. Das könne jederzeit sein, sagte Tirols Landespolizeidirektor Helmut Tomac am Mittwoch. Im Moment allerdings bestehe keine Notwendigkeit.

Zudem, so Tomac, würden Vorbereitungen für einen 370 Meter langen Zaun getroffen.

Wie die Kontrollen ablaufen sollen, ist schon länger bekannt. Autos müssen, so der Plan, im Grenzgebiet auf Tempo 30 herunterbremsen, damit die Beamten Sichtkontakt haben und Fahrzeuge im Zweifel herauswinken können; neue Leitplanken sind auf österreichischer Seite schon aufgestellt worden. Auch in den Zügen soll kontrolliert werden. Und "im Extremfall", das hat Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil schon vor einiger Zeit gesagt, soll die Grenze ganz dicht gemacht werden. Diese Möglichkeit schwebt also, als leichte Drohung, immer über den Kontrollen.

Dürfen die das überhaupt?

In Ausnahmefällen, das regelt das Schengen-Abkommen, ist die zeitlich begrenzte Wiedereinführung von Grenzkontrollen zulässig. Voraussetzung ist zum Beispiel "eine ernsthafte Bedrohung der öffentlichen Ordnung oder inneren Sicherheit" eines Landes. In der Flüchtlingskrise haben schon mehrere europäische Staaten von dieser Ausnahmeregelung Gebrauch gemacht, darunter Deutschland.

Allerdings prüft die EU-Kommission nach Informationen der österreichischen Nachrichtenagentur APA die geplanten Bauarbeiten auf ihre Notwendigkeit und ihre Verhältnismäßigkeit. Sollte Österreich die Grenze komplett schließen, könnte es sogar zu einem Verfahren wegen eines Verstoßes gegen das Schengen-Abkommen kommen. "Die Grenze am Brenner zu schließen," schrieb EU-Ratspräsident Donald Tusk in einem Gastbeitrag für Spiegel Online, "wäre ein Hieb ins Herz von Schengen".

Kanzlerin Angela Merkel steht einer Schließung des Brenner offenbar weniger skeptisch gegenüber. Bei einem Treffen der Unionsfraktionschefs aus Bund und Ländern vorvergangenen Sonntag in Berlin soll es auch um die Frage gegangen sein, was passiere, wenn eine große Anzahl von Flüchtlingen erneut nach Italien einreise und die Regierung in Rom der Unterbringung und Versorgung nicht nachkomme. Merkels Antwort, so berichtete es der Spiegel: "Dann macht Österreich den Brenner dicht."

Was die Italiener sagen - und welche für Wirtschaft und Tourismus zu erwarten sind

Was sagen die Italiener?

Auf dem Brenner protestierten am Sonntag 250 Menschen gegen die geplanten Grenzkontrollen. Und auch in Rom blicken sie mit großer Sorge nach Österreich. "Die Schließung des Brenners wäre ein schwerer Schaden für die Wirtschaft und für den Transport, aber auch für die EU, weil der Brenner ein Symbol für europäische Integration ist", sagte Italiens Verkehrsminister Graziano Delrio. "Wir vertrauen darauf, dass es ein Umdenken geben wird." Südtirol dürfe kein zweites Idomeni werden, warnte kürzlich der CSU-Europapolitiker Manfred Weber.

Police and activists clash at rally against border control betwee

In Brenner prallten am Sonntag Polizisten auf Aktivisten, die unter dme Motto "Open the Borders" gegen die Pläne der österreichischen Regierung protestierten. Dabei kam es zu Handgreiflichkeiten, ein Italiener wurde festgenommen, die Polizei setzte Pfefferspray ein.

(Foto: dpa)

Aus Sicht von Italiens Regierungschef Matteo Renzi gibt es nichts, was die Schließung des Brenners rechtfertige - bisher verzeichne man keinen Anstieg der Flüchtlingszahlen auf der Route über Italien. Renzi sprach von "Alarmismus" und warb für Vertrauen in die italienischen Behörden: "Die Migrationssituation wird kontrolliert und überwacht". Außenminister Paolo Gentiloni sagte der Wiener Zeitung Die Presse: "Von einer 'Invasion' sind wir weit entfernt.

Mittel- bis langfristig setzt Renzi auf einen Pakt mit den nordafrikanischen Staaten. Die sollen dafür sorgen, dass die Flüchtlinge sich gar nicht erst auf die gefährliche Überfahrt machen, so wie es die EU im Südosten mit der Türkei vereinbart hat. Das Problem: Präsident Recep Tayyip in Ankara mag ein zweifelhafter Vertragspartner sein - verglichen mit den Despoten, mit denen es die EU in Ägypten oder dem Sudan zu tun bekäme, wirkt er geradezu integer. Und in Libyen, dem Land, wo die meisten Schlepperboote starten, gibt es noch nicht einmal eine Regierung.

Was für Auswirkungen hat das für Touristen?

Für Urlauber werden sich die Wartezeiten an der Grenze wohl deutlich verlängern. Berechnungen des Ifo-Instituts zeigen, dass eine nicht-kontrollierte Grenze 20 Minuten schneller zu passieren ist als eine Grenze zu einem Land mit Kontrollen. Das hält Touristen - gerade bei spontanen oder kurzen Trips - in der Regel vom Reisen ab. Der ADAC warnte vor Wartezeiten von bis zu zwei Stunden während der Sommerferien.

Welche Unternehmen sind besonders betroffen?

Besonders hart treffen die Kontrollen die Logistikunternehmen, da aufgrund der Verzögerungen die Frachtpreise steigen. Für eine halbe bis eineinhalb Stunden Stau fallen pro Grenzübertritt und Lkw etwa hundert Euro an, rechnet der Chef des Logistikunternehmens Dachser, Bernhard Simon, vor. Auf die gesamte Logistikbranche gerechnet könnten die Staus pro Tag eine Million Euro kosten, sagt der Leiter der Bundessparte Transport und Verkehr bei der Wirtschaftskammer Österreich, Alexander Klacska.

Es droht zudem ein Dominoeffekt: Wenn sich pro Tag Hunderte Lkw verspäten, können viele Waren nicht rechtzeitig umgeladen werden. Häufig gibt es aber keine Lager mehr, der Warenbestand liegt quasi auf den Ladeflächen der Lastwagen. Viele Produktionsabläufe, beispielsweise in der Autoindustrie, wären davon sofort beeinträchtigt. Kleine Firmen könnten durch die geschlossene Grenze ganz von dem Export in andere Länder abgebracht werden. Auch bestimmte "just in time"-Lieferungen können durch die Grenzkontrollen nicht mehr garantiert werden.

Was bedeutet das für die Wirtschaftsleistung?

Nach Einschätzung des Ifo-Instituts wirken Personenkontrollen auf die Wirtschaft wie ein Zoll: Die Exporte und Importe von Waren fallen niedriger aus, es wird also weniger gehandelt als zuvor. Auch die Preise für viele Waren könnten steigen, weil Logistikunternehmen und Hersteller ihre Kosten auf die Konsumenten umlegen.

Bei flächendeckenden Kontrollen im Schengen-Raum sinke die Wirtschaftsleistung um mehr als 100 Milliarden Euro pro Jahr, warnt die französische Denkfabrik France Stratégie; das entspricht dem Umsatz des drittgrößten deutschen Unternehmens. Die Wissenschaftler des Ifo-Instituts beziffern den Schaden für die ganze EU geringer, nämlich auf 30 bis 65 Milliarden Euro pro Jahr. Wie viel die Grenzkontrollen ausschließlich am Brenner ausrichten würden, ist hingegen nicht zu beziffern.

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