Deutschlands Protest wegen NSA-Affäre:Empört, aber kraftlos

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Die Deutschen sind erschüttert angesichts der Praktiken der US-Geheimdienste. Doch wie macht man den Amerikanern die Verärgerung deutlich und wie erreicht man Fortschritte, ohne das ohnehin schon belastete Verhältnis zu sehr zu beschädigen? Immerhin: Ein paar halbgare Ansätze gibt es.

Von Oliver Klasen

Frank-Walter Steinmeier weiß, wie es sich anfühlt, wenn die Beziehungen "zu unseren amerikanischen Freunden" nicht in einem optimalen Zustand sind. Anfang 2003 war Steinmeier Kanzleramtsminister unter Gerhard Schröder. Der hatte sich bei einer Wahlkampfrede auf dem Marktplatz von Goslar festgelegt: "Deutschland wird sich unter meiner Führung an einer militärischen Intervention im Irak nicht beteiligen." Sein Land werde auch im UN-Sicherheitsrat dagegen stimmen. Der größtmögliche Affront für die US-Regierung.

Donald Rumsfeld, der damalige US-Verteidigungsminister, nannte später Deutschland und Frankreich, die nicht am Irak-Krieg teilnehmen wollten, "old Europe" - das Wort "old" dabei mit abschätzigem Tonfall gesprochen. Die erregte Replik des deutschen Außenministers Joschka Fischer folgte kurz darauf: "Excuse me, I am not convinced" ("Entschuldigen Sie, Ich bin nicht überzeugt) - diese Worte schleuderte Fischer Rumsfeld auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2003 entgegen.

Angesichts der NSA-Spähaffäre sieht sich Steinmeier an diese Zeit erinnert. Der SPD-Fraktionsvorsitzende sieht das deutsch-amerikanische Verhältnis in der schwersten Krise seit zehn Jahren. "Die kommenden Monate werden schwer, sehr schwer sogar! Viel ist zu klären. Und das wird uns auf beiden Seiten viel abverlangen", sagte er der Bild am Sonntag.

Zugleich rief Steinmeier, der zu Zeiten der großen Koalition zwischen 2005 und 2009 Außenminister war, beide Seiten zur Vernunft auf: "Ich plädiere dafür, das Gemeinsame nicht aus dem Blick zu verlieren und gemeinsame Zukunft nicht im kurzsichtigen Blick auf die aktuellen Konflikte über Bord zu werfen."

Doch wie kann das gelingen? Wie kann die Bundesregierung den USA unmissverständlich klarmachen, dass die Spähpraktiken der NSA gegenüber deutschen Politikern und Unternehmen künftig nicht mehr geduldet werden? Welchen Sinn haben neue Verträge mit der US-Regierung? Gibt es eine Möglichkeit, sich wirkungsvoll gegen die Spionage aus den USA zu schützen? Gäbe es nicht sogar eine Möglichkeit, die Regierung in Washington irgendwie zu bestrafen? Und wie schafft man es dabei, das Verhältnis zu einem der wichtigsten Bündnispartner Deutschlands nicht irreparabel zu ruinieren?

Ziemlich viele Fragen, auf die es bislang nur sehr vage Antworten gibt. Immerhin mehrere Ansätze werden in Berlin zurzeit verfolgt.

  • Die Bundesregierung will den USA die Zusage abtrotzen, künftig auf Spionage zu verzichten. Spitzenbeamte aus dem Kanzleramt hatten in dieser Woche in Washington darüber verhandelt und offenbar machen die Gespräche über ein No-Spy-Abkommen tatsächlich kleine Fortschritte. So berichtet der Spiegel, dass die Amerikaner bereit seien, auf Industriespionage zu verzichten und dies in der Vereinbarung schriftlich festzuhalten. Das ist allerdings eine Zusage, die die US-Regierung leicht machen könne, weil in diesem Bereich ohnehin keine größeren Aktivitäten liefen. Schwieriger sind zwei andere Wünsche der Kanzleramts-Vertreter: Demnach soll die NSA auf die "technische Spionage auf deutschem Boden" verzichten und sich außerdem verpflichten, die Überwachung von Staats- und Regierungschefs zu unterlassen. Susan Rice, die Sicherheitsberaterin Obamas, hat sich dazu bisher nicht klar geäußert. Der Grund ist, dass die USA einen Präzedenzfall fürchten, auf den sich auch andere Staaten berufen könnten und der es ihnen nicht mehr erlauben würde, kritische Operationen zu tätigen.
  • Zusätzlich zu einem Abkommen zwischen den beiden Regierungen ist eine engere Kooperation der Geheimdienste geplant. Anfang der Woche, so schreibt der Spiegel, wollen die Chefs von Bundesnachrichtendienst und Verfassungsschutz, Gerhard Schindler und Hans-Georg Maaßen, in Washington mit US-Geheimdienstvertretern darüber sprechen. Caitlin Hayden, die Sprecherin des Nationalen Sicherheitsrates, sagte, die USA seien offen für Diskussionen mit engen Verbündeten und Partnern über eine bessere Koordination der geheimdienstlichen Aktivitäten. Diese Diskussion wird in Deutschland allerdings auch mit Bedenken gesehen: Eine engere Kooperation, gar eine formelle Aufnahme in den Club der "Five Eyes", der aus den Geheimdiensten der USA, Großbritanniens, Kanadas, Neuseelands und Australiens besteht, würde im Zweifel auch bedeuten, dass die deutschen Dienste sich mit fragwürdigen Praktiken der US-Dienste, wie etwa gezielten Tötungen durch Drohnen, gemein machen müssten.
  • Sich gegen Angriffe der US-Dienste mit technischen Mitteln zu schützen, gilt hingegen als fast aussichtslos. Die deutsche Spionageabwehr sieht keine Möglichkeiten, Lauschangriffe ausländischer Geheimdienste zu unterbinden. "Das Abhören aus den Botschaften und anderen Gebäuden heraus kann die Spionageabwehr nicht verhindern", sagte Burkhard Even der Welt am Sonntag. Der Chef der deutschen Spionageabwehr sagte weiter: "Inwieweit und zu welchem Zweck vorhandene Technik in den Botschaftsgebäuden tatsächlich genutzt wird, ist praktisch nicht feststellbar." Für Verfassungsschutzpräsident Maaßen ist Berlin "die europäische Hauptstadt der Agenten." Nach seiner Einschätzung gibt es in kaum einer anderen Stadt mehr Spione. Die deutsche Spionageabwehr gegen die USA einzusetzen, funktioniert auch deshalb nicht, weil der BND in großen Teilen abhängig ist von den Erkenntnissen der US-Dienste. Das gilt laut Spiegel insbesondere bei Informationen über den islamistischen Terrorismus. So sei es mit Hilfe der Amerikaner gelungen, mehrere Anschläge auf deutschem Boden zu verhindern. Außerdem stelle die NSA den Deutschen sogar ihre Spähsoftware X-Keyscore zur Verfügung.
  • Eine sehr stumpfe Waffe sind offenbar auch die Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen mit den USA. Wenn Deutschland sich hier verweigern würde, könnte das der hiesigen, sehr exportabhängigen Wirtschaft schaden. Das Münchner Ifo-Institut hatte in einer Studie Anfang Oktober ausgerechnet, dass von einem Gelingen des Freihandelsabkommens bis zu 160.000 Arbeitsplätze abhängen.
  • Schließlich hat Innenminister Hans-Peter Friedrich noch einen weiteren Ansatz in die Diskussion eingebracht: Er will ein IT-Sicherheitsgesetz in den Koalitionsvertrag aufnehmen, wie die Welt am Sonntag berichtet. "Die Internetanbieter sollen künftig in einem IT-Sicherheitsgesetz verpflichtet werden, Datenverkehre in Europa ausschließlich über europäische Netze zu leiten", sagte der CSU-Politiker. Bisher wird der Internetverkehr oft über Umwege abgewickelt, so dass selbst eine E-Mail von und nach Deutschland über ausländische Leitungen verschickt wird. Laut Washington Post können so etwa Mails des Anbieters Google trotz Verschlüsselung durch die NSA teilweise im Klartext gelesen werden. Wenn es nach Friedrich geht, soll das der Vergangenheit angehören - eine Forderung, die selbst wenn sie am Ende im Koalitionsvertrag stünde, nicht mehr ist als eine unverbindliche Absichtserklärung.

Nachdem all diese Ansätze also nur halbgare Ergebnisse versprechen, wird es in nun sehr auf das Handeln der Kanzlerin ankommen. Sie, ihre Mitarbeiter und Minister müssen so deutliche Worte an Washington richten, dass sich die Amerikaner auf einige vertragliche Regelungen in Sachen Geheimdienstarbeit einlassen. Zugleich muss Merkel dafür sorgen, dass die Atmosphäre mit der US-Regierung trotz aller Kritik und Enttäuschungen auf einem sachlichen Niveau bleibt.

Bisher sieht es allerdings nicht so aus, als würde die Kanzlerin rasch aktiv in dieser Angelegenheit. Am Samstag, beim Landesparteitag der CDU in ihrer Heimat Mecklenburg-Vorpommern, sagte sie zur NSA-Affäre: nichts.

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