CPJ-Preis für Pressefreiheit:Die letzten Berichterstatter aus Raqqa

Lesezeit: 5 min

Nur wenige Bilder dringen aus Raqqa: Dieses Foto zeigt Kämpfer des sogenannten Islamischen Staates im Jahr 2014. (Foto: AP)

Eine Gruppe syrischer Aktivisten dokumentiert das Leben in der IS-Zentrale - obwohl Kopfgeld auf sie ausgesetzt ist. Der Westen soll die Menschen in ihrer Heimatstadt nicht vergessen.

Von Karin Janker, New York

Als Abdalaziz Alhamza an diesem Abend auf die Bühne im großen Ballsaal des Waldorf-Astoria in New York steigt, erlebt er das wie einen kleinen Sieg. Zumindest an einer Front. "Der Preis schenkt uns Aufmerksamkeit", sagt er hinterher. Aufmerksamkeit, die er und seine Leute dringend brauchen.

Auf Alhamza sind in diesem Moment mehrere Kameras sowie die Augen aller Medienmacher und Journalisten im Saal gerichtet, die stehend Beifall klatschen, als er mit einer syrischen Flagge über den Schultern ans Rednerpult tritt, um den Preis für Pressefreiheit des Committee to Protect Journalists (CPJ) entgegenzunehmen.

Der 24-jährige Alhamza gehört zu der syrischen Aktivistengruppe "Raqqa is being slaughtered silently" (RBSS), die in diesem Jahr vom CPJ ausgezeichnet wird. Übersetzen lässt sich der Name mit "Raqqa wird gerade leise abgeschlachtet" - die englische Formulierung betont die Gegenwärtigkeit des Mordens.

Auch an diesem Abend in New York, an dem Vertreter von Nachrichtenagenturen, Fernsehsendern, Zeitungen und Online-Medien Alhamza und seinen Kollegen applaudieren, geht das Schlachten in Syrien weiter. Und das ist die andere Front, an der Alhamza streitet, in der Hoffnung auf Frieden für sein Land: "Wir werden Waffen mit Gedanken besiegen."

Seit Gründung der Kampagne im April 2014 setzt sich RBSS nicht nur dafür ein, dass westliche Medien Informationen aus Raqqa erhalten, sondern auch für die Aufklärung der dortigen Bevölkerung. Zwei Fronten, eine nach innen, die andere nach außen, in diesem ohnehin frontenreichen Krieg, der Raqqa zum Ziel der jüngsten Bombenangriffe aus Russland und Paris gemacht hat. RBSS will das Ausland ebenso erreichen wie die Menschen in Raqqa, doch die Bedingungen für ihre Arbeit sind mehr als schwierig.

"Es gibt keine Zuflucht für diese Menschen"

Die rund zwei Dutzend Mitglieder von RBSS sind keine ausgebildeten Journalisten, sondern engagierte Bewohner von Raqqa. Sie sind die letzten, die aus jener Stadt berichten, die der sogenannte Islamische Staat (IS) zu seiner Hauptstadt ernannt hat. Die RBSS-Informanten in der Stadt liefern anonym Nachrichten und Bilder, die auch große Medienhäuser weltweit als Quelle für ihre Berichterstattung nutzen. Die New York Times zitiert RBSS als eine der wenigen verlässlichen Quellen aus IS-Gebiet. Überprüfbar sind Informationen aus Syrien längst nicht mehr. Auch der IS verbreitet Propaganda über das Internet.

Neben RBSS hat zudem die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte, die von Großbritannien aus arbeitet, ein Netz aus Informanten in Syrien. Westliche Journalisten waren schon lange nicht mehr in Raqqa. Zu gefährlich wäre der Einsatz in der IS-Hochburg. Insgesamt wurden in Syrien seit 2011 nach CPJ-Informationen bislang 86 Journalisten getötet, 48 davon offenbar durch Assads Regierungstruppen. Die Aktivisten von RBSS arbeiten unter Lebensgefahr, betont auch Laudator David Remnick, bevor er Alhamza den Preis überreicht: "Es gibt keine Zuflucht für diese Menschen, ihr Zuhause ist die absolute Hölle."

Terrormiliz Islamischer Staat
:Öl, Lösegeld, Ablasshandel

30 000 Ausländer sollen in den Reihen des IS kämpfen, seit 2014 herrscht die Terrormiliz über Gebiete in Syrien und im Irak. Daran haben auch die Angriffe aus der Luft nichts geändert.

Von Sonja Zekri

Abdalaziz Alhamza hat RBSS mitgegründet, inzwischen lebt er in Deutschland. Er ist eines von vier Mitgliedern der Gruppe, die außerhalb Syriens operieren, sie erhalten von den anderen via Internet Informationen und Bilder aus der Stadt. Auch am Abend der Preisverleihung hat Alhamza ständig das Handy in der Hand, immer wieder leuchten auf dem Display eingehende Benachrichtigungen auf. Das Smartphone ist für die RBSS-Aktivisten das wichtigste Instrument, um die Verbrechen in Syrien zu dokumentieren - in der Hoffnung, dass die Medien im Westen die Menschen dort nicht vergessen.

"Wir lieben unser Zuhause und haben Ziele und träumen davon, eine Familie zu haben und glücklich zu leben. Erst die Situation in unserem Heimatland zwang uns, zu Berichterstattern zu werden", sagt Alhamza in seiner Dankesrede. Er befürchte, dass seine Stadt zermalmt werde zwischen dem verbrecherischen Assad-Regime und den Grausamkeiten des IS.

Aktivisten getötet, Sympathisanten verhaftet

RBSS gründete sich ursprünglich, um gegen Machthaber Baschar al-Assad zu protestieren. Als der IS immer stärker wurde, richtete sich der Kampf auch gegen die Propaganda der Dschihadis - und die Arbeit wurde sehr viel gefährlicher. Der IS betrachtet die Aktivisten als seine direkten Feinde und hat ein Kopfgeld auf sie ausgelobt.

Alhamza berichtet, dass täglich Hackerangriffe auf die RBSS-Webseite stattfinden, zwei ihrer Mitglieder wurden in den vergangenen Monaten von IS-Kämpfern gefangen genommen und getötet, weil bei ihnen Videomaterial mit dem RBSS-Logo gefunden wurde. Mehrere Zivilisten wurden verhaftet, bloß weil sie bei einem Beitrag von RBSS auf "Gefällt mir" geklickt hatten.

Die Aktivisten machen dennoch weiter und dokumentieren notfalls mit Tonspuren, wenn Filmen zu gefährlich ist. Neben den Informationen, die sie aus Syrien hinaus in die Welt senden, versuchen sie mit Graffiti und Plakaten die Bevölkerung von Raqqa vor der islamistischen Propaganda zu warnen und sie in ihrem Widerstand zu ermutigen.

An dieser inneren Front wird die Arbeit immer schwieriger. Der IS überwacht die Straßen Raqqas und hat überall Spitzel und Überwachungskameras installiert. Viele frühere Bekannte seien bereits zum IS übergelaufen, berichten die Aktivisten. Ein Preis wie der des CPJ ändert an dieser realen Bedrohung wenig.

"Ich spreche hier für Millionen Syrer", sagt Alhamza am Abend der Preisverleihung in New York. "Ich nehme den Preis entgegen für jene, deren Stimmen zum Schweigen gebracht wurden, und für die, die leiden, um ein freies und demokratisches Land aufzubauen. Sie brauchen nicht nur einen Preis, sie brauchen Ihre Hilfe."

YouTube

Die SZ-Redaktion hat diesen Artikel mit einem Inhalt von YouTube angereichert

Um Ihre Daten zu schützen, wurde er nicht ohne Ihre Zustimmung geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir Inhalte von YouTube angezeigt werden. Damit werden personenbezogene Daten an den Betreiber des Portals zur Nutzungsanalyse übermittelt. Mehr Informationen und eine Widerrufsmöglichkeit finden Sie untersz.de/datenschutz.

Im Publikum, das an dieser Stelle ein wenig hilflos klatscht, sitzt Alhamzas Freund und Mitstreiter Abu Mohammed. Er arbeitet ebenfalls für RBSS und lebt dank eines Visums inzwischen in Europa. In Sicherheit. Mit seiner Familie in Syrien ist der 27-Jährige laufend in Kontakt, er sorgt sich um sie und wünschte, sie wäre ebenfalls an einem sicheren Ort.

Die jüngsten Bombenangriffe von französischer und russischer Seite, sagt er, haben den IS wenig beeindruckt. Es stimme nicht, dass hochrangige IS-Mitglieder Raqqa bereits verlassen hätten, wie Medien zunächst berichteten. Wunschdenken sei das. Stattdessen werde die Lage vor allem für Frauen und Kinder in der Stadt immer schwieriger.

Da alle Schulen geschlossen sind, strolchen die Kinder den ganzen Tag durch die Straßen. Ein gefundenes Fressen für IS-Kämpfer, die sie ansprechen und in ihre Moscheen schicken, sagt Abu Mohammed. Moscheen, in denen ein liberaler Islam gelehrt werde, gebe es längst nicht mehr in Raqqa.

"Unislamisches" Verhalten wird sofort gemeldet

Frauen bewegen sich wie schwarze Schatten durch die Stadt, erzählt er. Wenn sie überhaupt das Haus verlassen, verhüllen schwarze Tücher Gesicht und Körper, sogar die Schuhe müssten neuerdings schwarz sein, und ihre Hände stecken in schwarzen Handschuhen.

Eine Frau, die ohne männliche Begleitung unterwegs ist, laufe Gefahr, im Gefängnis zu landen, wenn sie verraten wird. Besonders gefährlich sind laut Abu Mohammed die Al-Khansa-Brigaden, weibliche IS-Kämpferinnen, die im Schutz ihrer schwarzen Schleier spionieren und sofort Meldung erstatten, wenn sie "unislamisches" Verhalten im Sinne ihrer Doktrin feststellen.

RBSS-Mitglieder, die verraten werden, schnappt der IS und exekutiert sie öffentlich. Ihr erstes Opfer hatte die Kampagne bereits im Mai 2014 zu beklagen, nur einen Monat nachdem sie ihre Arbeit aufgenommen hatte. Zuletzt fiel Ibrahim Abdul Quader den Terroristen in die Hände. Der 20-Jährige unterstützte RBSS von seinem Versteck im Südosten der Türkei aus. Dort wurde er vor wenigen Wochen von seinen Mördern gefunden und geköpft.

Abdalaziz Alhamza erinnert am Ende seiner Rede an ihn und die anderen Opfer. Er sagt, er widme den Preis den getöteten Aktivisten und seiner Heimatstadt Raqqa. Er weiß, dass sie vermutlich nicht die letzten Toten gewesen sein werden.

Plattform X

Die SZ-Redaktion hat diesen Artikel mit einem Inhalt von X Corp. angereichert

Um Ihre Daten zu schützen, wurde er nicht ohne Ihre Zustimmung geladen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir Inhalte von X Corp. angezeigt werden. Damit werden personenbezogene Daten an den Betreiber des Portals zur Nutzungsanalyse übermittelt. Mehr Informationen und eine Widerrufsmöglichkeit finden Sie untersz.de/datenschutz.

© SZ.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: