CDU:Merkels Gespür für die richtige Dramaturgie

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Die große Abrechnung bleibt aus. So geschickt wie entschlossen zieht die CDU-Chefin den Parteitag noch einmal auf ihre Seite - vielleicht ein letztes Mal.

Von Stefan Braun, Berlin

Am Ende darf Angela Merkel entspannt ins Publikum winken. Man könnte fast sagen: Sie kann nach ziemlich exakt einer Stunde lässig in die Halle lächeln. Die tausend Delegierten beklatschen ihren Auftritt. Sie stehen dazu auf, und weil sie gerade dabei sind, hören sie mit ihren Ovationen minutenlang nicht mehr auf.

Nun ist das bei der CDU üblich, und deshalb wirkt es wie immer. Nicht wie immer ist allerdings, was die Kanzlerin dann tut. Sie schreitet unter dem Beifall der Leute am gesamten Führungspersonal vorbei, bis sie bei Jens Spahn landet. Dem Jens Spahn, der sie in den vergangenen Monaten deutlich kritisiert hat und künftig Minister in ihrem Kabinett sein wird.

Merkel gibt ihm - nur ihm - die Hand. Sie schaut ihm in die Augen. Sie sagt ein paar Worte, die keiner hören kann. Und obwohl das beinahe nett aussieht, hat diese Geste noch eine zweite Bedeutung: Hier zeigt die Kanzlerin, wer Chefin ist im Hause. Eine sehr seltene und sehr männliche Geste für Deutschlands Kanzlerin.

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Nicht schlecht, nicht ohne Chuzpe jedenfalls nach all dem, was in den vergangenen Wochen so los war. Mit gescheiterten Jamaika-Sondierungen, mühsamen Koalitionsverhandlungen und jeder Menge Zweifel an der CDU-Vorsitzenden. Rund lief da nichts, Baustellen gab es viele. Vor allem aber hatte sich Kritik breit gemacht, weil die Flüchtlingskrise und ihre Folgen sehr vielen bis heute in den Kleidern hängen.

Denn die CDU lebt nicht nur in einer neuen Welt der Globalisierung und Digitalisierung. Sie muss plötzlich ertragen, was sie nie ertragen wollte: eine Welt, in der sich eine Partei rechts von ihr etabliert hat. Die AfD hat für die CDU manches verändert. Vor allem zwingt sie die Christdemokraten, neu über sich selbst nachzudenken.

Da passt es, dass sie dieses Mal hier gelandet sind. In der Station im Stadtteil Kreuzberg, einem ehemaligen Straßenbahndepot mit viel Umbau-Charme, in dem das sonst übliche Publikum gerne viel von Aufbruch redet und dazu laute Musik hört.

Auf der Bühne dominiert das Wort "neu"

Politisch im Gedächtnis ist diese Halle allerdings vor allem, weil die FDP von hier aus den Neuanfang suchte. Damals, im Herbst 2013, lag sie im Keller. Debakelös ihr Zustand, katastrophal ihre Perspektive. Zu behaupten, dass die Christdemokraten in einem ähnlichen Zustand sein könnten, wäre zwar gemein und stark übertrieben. Aber dass es hier irgendwie auch um Aufbruch und Neuanfang geht, entspricht nicht nur der Stimmung einiger, die Merkel zuletzt kritisiert haben. Es ist die Rhetorik, mit der die CDU-Führung heute selbst antritt.

Auf der großen blauen Bühne dominiert das Wort "neu": "Ein neuer Aufbruch für Europa. Eine neue Dynamik für Deutschland. Ein neuer Zusammenhalt für unser Land." Der Dreiklang soll also der neue Start sein.

Was natürlich Fragen aufwirft, bei einer Partei, die seit mehr als zwölf Jahren an der Macht ist. Merkel kriegt es hin, kein einziges Wort über sich und die eigene Verantwortung für den Wunsch nach Erneuerung zu verlieren. Stattdessen spricht sie davon, sich immer wieder neu zu erfinden. Sie nennt das anders. Sie sagt: "Wir sind nie fertig. Unsere programmatische Arbeit ist nie abgeschlossen."

Merkel klingt entschlossen und bleibt doch vage. Sie mahnt, dass die CDU auf Dauer nur erfolgreich bleiben könne, "wenn wir aus unserer Programmatik die Antworten auf die neuen Herausforderungen dieser unruhigen Zeit geben". Es gehe also im Kern um die Frage, "wie wir das Wohlstandsversprechen erneuern können". So richtig das alles erscheint, so offen bleibt die CDU-Vorsitzende bei der Frage, was das konkret bedeutet.

Das heißt nicht, dass sie darauf gar keine Antwort geben würde. Es ist nur die gleiche wie seit Jahren. Vielleicht sogar Jahrzehnten. Wie bei der Gründung der CDU sei Basis für alles "das Bekenntnis zum christlichen Menschenbild". Die CDU presse niemanden in ein ideologisches Weltbild. Sie schaffe die Voraussetzungen dafür, dass jeder das Beste aus seinem Leben machen könne. Schöne Sätze, immer und gerade für einen Christdemokraten. Nur konkret?

Konkret wird die Kanzlerin dort, wo sie Wahlergebnisse und die eigenen Leute loben kann. Das macht sie perfekt, wie so oft in den vergangenen Jahren. Sie lobt den Wahlsieg im Saarland vor einem Jahr. Sie preist den Sieger von Schleswig-Holstein im April 2017, sie feiert den Sieger von Nordrhein-Westfalen zwei Wochen später. So kann man das auch machen. "Sturmfest und erdverwachsen", wie die Kanzlerin dazu sagt.

Und einigermaßen konkret wird die Kanzlerin bei der Frage, wie sie das Wahlergebnis bewertet. "Vielschichtig" nämlich sei das, immerhin sei es gelungen, die mit Abstand stärkste Partei zu bleiben. Allerdings entspreche das Ergebnis keinesfalls den eigenen Ansprüchen. "Wir alle haben gekämpft und wir alle waren enttäuscht."

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Bei der Suche nach Gründen freilich fällt das Wort Flüchtlingspolitik nur am Rande. Merkel spricht lieber über das "Unbehagen" der Menschen. Ein Unbehagen gegenüber der Fähigkeit staatlicher Institutionen. Ein Unbehagen über die Digitalisierung und eines über die Krisen draußen in der Welt. Und sie spricht von den Schlussfolgerungen, die die Partei in den nächsten Monaten und Jahren programmatisch ziehen müsse. Schneller, einfacher, flotter kann man die zentralen Fragen kaum mehr an die neue Generalsekretärin delegieren.

Ohne dass Merkel es so ausdrücken würde - hier zeigt sich, wie froh sie ist und sein muss, mit Annegret Kramp-Karrenbauer eine neue und beliebte Generalsekretärin zu bekommen. Programmatik ist und bleibt nicht ihre Stärke. Das müssen andere machen.

Leidenschaftlich wird sie dort, wo sie es immer gewesen ist: Beim Kampf gegen den Antisemitismus, bei der Abwehr von Hass und Hetze, die die AfD inzwischen fast jeden Tag im Parlament verbreitet. "Zusammenhalt heißt Engagement. Im Gegensatz zu Hass und Hetze", sagt Merkel und verweist auf die Millionen Menschen, die sich in Deutschland engagieren. "Denen zu helfen, das ist unser Auftrag." Merkel bietet keine große Botschaft, sie bietet einen Anspruch. Und der heißt Verantwortung. Das Wort nimmt sie ohnehin oft in den Mund, bei dieser Rede aber besonders häufig. Und sie verweist dabei auf das Bild, das die Politik zuletzt abgebeben hat. "Keiner soll sich Illusionen machen", erklärt die Kanzlerin. "Das alles war und ist wirklich kein Ruhmesblatt."

Die Kritiker entfalten so gut wie keine Wirkung

Damit meint sie freilich kaum die eigene Partei und sehr viel mehr die anderen Parteien. "Die CDU wusste immer, was es heißt, diesem Land zu dienen. Das ist Markenkern der CDU." An der Stelle muss sie nicht lange warten - der Beifall ist groß. "Jetzt können sich hier alle einmal sehr zufrieden selbst beklatschen."

Merkel hat es, so sieht es aus, wieder einmal, vielleicht ein letztes Mal geschafft. Sie hat den Parteitag auf ihre Seite gezogen, bevor er überhaupt losging. Sie hat mit Jens Spahns Berufung getan, was sie halt tun musste. Und sie hat ziemlich viel Glück, weil nach ihr zwar eine erkleckliche Zahl an Kritikern auftreten, aber so gut wie keine Wirkung entfalten.

Denn Merkel hat als Kanzlerin nicht nur den Schutz des Amtes. Sie hat wieder einmal das Gespür für Dramaturgie bewiesen. Ein Parteitag abzuhalten, bevor die SPD über den Vertrag entscheidet, hat sie von Anfang an beschützt vor der großen Abrechnung. Die CDU, wie sie selbst seit Jahrzehnten denkt und fühlt, hätte gar nicht anders können, als an ihrer Seite zu bleiben.

So gesehen passte es, dass dieser Parteitag mit einer Geste des inneren Friedens startete. Er begann nicht mit ein paar üblichen Grußworten, sondern mit einer ökumenischen Morgenandacht. Die führt nicht nur alle für ein paar Minuten zusammen. Dazu trug ein Posaunenchor eine sehr fröhliche Interpretation des Liedes "Lobet den Herrn" vor - bevor die rund tausend Delegierten eine Strophe selbst sangen.

So ist es eben bei den Christdemokraten. Auch in der Station zu Berlin. Da sage noch einer, die CDU bleibe sich nicht treu.

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