Jens Spahn:Widersacher in der ersten Reihe

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  • Jens Spahn gilt in der CDU als einflussreicher Merkel-Kritiker - nicht ganz zu Unrecht. Im neuen Kabinett soll er dennoch einen Ministerposten bekommen.
  • Der Druck auf Merkel ist schlicht zu groß geworden. Zu viele Konservative und Wirtschaftsliberale in der CDU hatten ihre Hoffnungen in Spahn gesetzt.
  • Jetzt bindet die Kanzlerin ihren Kritiker ein - und sorgt damit auch dafür, dass der Parteitag an diesem Montag harmonisch verlaufen wird.

Von Robert Roßmann, Berlin

Jetzt hat Jens Spahn es also doch noch geschafft, der 37-Jährige soll Bundesgesundheitsminister werden. Lange war er sich selbst nicht sicher - Angela Merkel wäre es durchaus zuzutrauen gewesen, ihn zu übergehen. Die Kanzlerin lässt sich Entscheidungen nur ungern aufzwingen, und sie schart gerne besonders loyale Christdemokraten um sich. Aber jetzt ist der Druck doch zu groß geworden. Wenn Merkel Spahn nicht berücksichtigt hätte, wäre es mit der guten Stimmung in der Partei, die die Nominierung Annegret Kramp-Karrenbauers zur Generalsekretärin ausgelöst hat, gleich wieder vorbei gewesen.

Zu viele Konservative und Wirtschaftsliberale in der CDU hatten ihre Hoffnungen in Spahn gesetzt. Und zu viele Untergliederungen wie die Junge Union oder der Wirtschaftsflügel hatten für ihn getrommelt. Spahn darf jetzt in die erste Reihe aufrücken. Wenn er sich als Gesundheitsminister bewährt, könnte es der Beginn einer noch größeren Karriere werden. Spahn macht keinen Hehl daraus, dass er nichts dagegen hätte, irgendwann ganz oben zu stehen - und dass er sich das auch zutraut.

Der 1,91 Meter große Mann aus dem Münsterland wird gern als "größter Merkel-Kritiker" beschrieben. Derlei Zuschreibungen sind immer etwas holzschnittartig. Spahn steht nicht jeden Morgen mit dem Ziel auf, den sofortigen Rücktritt der Kanzlerin zu fordern. Und im Bundestagswahlkampf war er mit gewaltigem Einsatz nicht nur für sich, sondern auch für Merkels CDU unterwegs. Er trat bei 170 Veranstaltungen außerhalb seines eigenen Wahlkreises auf. Spahn wurde gerne eingeladen, weil er an der Basis viel Zuspruch findet. Bei all diesen Terminen vermied er aber persönliche Kritik an der Kanzlerin. Spahn war deshalb vermutlich sogar einer der besten Wahlkampfhelfer Merkels.

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Trotzdem ist das Attribut "Merkel-Kritiker" nicht falsch. Das zeigt schon ein Blick auf den letzten CDU-Parteitag Ende 2016 in Essen. Damals hatte die Kanzlerin die Delegierten eindringlich gebeten, ihr keine Steine in den Weg zu legen. "Ihr müsst, ihr müsst mir helfen", verlangte sie mit Blick auf den bevorstehenden Wahlkampf. Doch wenige Stunden vor dem Ende des Parteitags sprachen sich die Delegierten gegen Merkels Willen für deutliche Verschärfungen beim Doppelpass aus. Es war eine Rede von Jens Spahn, die dem Antrag zur knappen Mehrheit verhalf.

Sigmar Gabriel, damals noch SPD-Chef, ätzte sofort, entweder habe sich die CDU die falsche Vorsitzende gewählt, oder Frau Merkel die falsche Partei. Merkel war stinksauer. Sie begann sofort nach dem Ende des Parteitags eine Tournee durch die Aufsagerplätze der Fernsehsender - und verkündete dort trotzig, dass sie den Beschluss für falsch halte und dass es in der restlichen Legislaturperiode keine Änderungen beim Doppelpass mehr geben werde. Die Nachricht von dem Dissens zwischen der Vorsitzenden und ihrer Partei verhagelte der CDU die gesamte Berichterstattung über den Parteitag.

Spahn hat den Vorteil, dass er seine bisherige Karriere weder Merkel noch seinem Landesverband, der nordrhein-westfälischen CDU, zu verdanken hat. Da kann man freier agieren als andere. Spahn sitzt bereits seit 2002 im Bundestag, er wurde immer direkt gewählt, zuletzt mit 51,3 Prozent der Erststimmen. Auch seinen Platz im CDU-Präsidium, dem engsten Führungszirkel, hat er sich selbst erkämpft. Im September 2014 kündigte er in der Süddeutschen Zeitung überraschend seine Kandidatur an. Die NRW-CDU sprach sich für Hermann Gröhe aus, doch Spahn obsiegte. Auch jetzt verdrängt Spahn wieder Gröhe. Für Spahn ist das allerdings nur ausgleichende Gerechtigkeit. Er hatte bereits vor vier Jahren nicht ganz grundlos gehofft, Gesundheitsminister zu werden - schließlich war er der Gesundheitsexperte der CDU und hatte für seine Partei die Koalitionsverhandlungen zu diesem Thema geleitet. Aber Merkel hatte sich dann statt für Spahn für Gröhe entschieden, obwohl der bis dahin nicht durch Expertise in diesem Bereich aufgefallen war.

Spahn war der erste wichtige CDU-Politiker, der Merkels Flüchtlingspolitik kritisierte

Dass Spahn in den vergangenen Jahren so stark geworden ist, dass Merkel jetzt nicht mehr an ihm vorbeikam, liegt aber nicht an der Gesundheits-, sondern vor allem an der Flüchtlingspolitik. Spahn verkörpert viel von dem, was sich ein Teil der CDU-Mitglieder wünscht. In der Union gibt es ja nicht nur das Angela-Merkel-, sondern auch das Sebastian-Kurz-Lager. Die einen verurteilen den österreichischen Kanzler, weil er mit Rechtsradikalen koaliert. Die anderen loben ihn für seine Flüchtlingspolitik und halten den 31-Jährigen für eine Art konservativen Emmanuel Macron - und damit für eine Zukunftshoffnung. Es war kein Zufall, dass Spahn am Abend der österreichischen Nationalratswahl in Wien war und sich mit Kurz hat ablichten lassen. Auch beim Opernball vor gut zwei Wochen hat er sich wieder demonstrativ mit Kurz fotografieren lassen. Die Bilder sind auch Botschaften - schließlich ist Kurz einer der heftigsten Widersacher Merkels in der Flüchtlingspolitik.

Spahn war der erste relevante CDU-Politiker, der öffentlich Zweifel an Merkels Flüchtlingspolitik äußerte. Er hat sich bereits am 13. September 2015, also keine zehn Tage nach der Nacht, in der Merkel entschieden hat, die in Ungarn gestrandeten Flüchtlinge einreisen zu lassen, zu Wort gemeldet. Damals wurde das Verhalten der Kanzlerin noch von einem Großteil der Deutschen begrüßt. Spahn war dagegen alarmiert. Er sagte in einem Interview mit der SZ, die Öffnung der Grenzen für Flüchtlinge aus Ungarn sei zwar in dieser speziellen Situation richtig gewesen. Die Bundesregierung müsse aber sofort handeln, damit die Aufnahme der Flüchtlinge aus Ungarn eine Ausnahme bleibe und nicht Auslöser einer Zuwanderungswelle werde. Spahn warnte damals, die Zustimmung zu Merkels Willkommenspolitik sinke bereits "stündlich". Es sei "sehr gefährlich", dass sich wegen "der beinahe euphorischen Darstellung" in der öffentlichen Debatte große Teile der Bürger mit ihren Sorgen nicht mehr wiederfänden.

Als Spahn das sagte, stand die CDU in den Umfragen bei mehr als 40 Prozent, die AfD lag unter fünf Prozent. Er glaubt, dass ihm die weitere Entwicklung recht gegeben hat.

© SZ vom 26.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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