Bundeswehr in Afghanistan:Zu wenig Stiefel auf dem Boden

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Die Berichterstattung über Afghanistan hat wenig mit der Realität der Soldaten zu tun. Ein Besuch im Lager der Bundeswehr.

Tobias Matern, Kundus

Die Transall C-160 dreht ab, der Anflug wird abgebrochen. In der Nähe des Flughafens hat sich ein Selbstmordattentäter in die Luft gesprengt. Eine Stunde später kommt die Maschine doch in Kundus an.

Ein Isaf-Soldat der Bundeswehr beobachtet waehrend einer Patrouille von einem Einsatzfahrzeug aus eine Gruppe afghanischer Männer. (Foto: Foto: AP (Archivbild von 2008))

Schwerbewaffnete Soldaten sichern das Areal. Es sind 44 Grad im Schatten. Vorbei an Ruinen, Autowracks und der neuen Polizeischule, die von den Deutschen gebaut wird, führt der Weg ins Feldlager der Bundeswehr, wo zusätzlich zu den 927 Soldaten auch zivile Aufbauhelfer leben.

Der Norden Afghanistans, vor allem der Raum um Kundus, ist in den vergangenen Monaten mehr und mehr zum Brennpunkt geworden. Nato-Kommandeur Stanley McChrystal befürchtet, dass die Taliban nach der Offensive der Amerikaner im Süden des Landes vermehrt in die Region ausweichen werden.

Etwa 40 Anschläge haben Extremisten in diesem Jahr bereits in Kundus verübt, ein bis zwei primitiv gebaute Raketen fliegen pro Woche auf das deutsche Lager. Jüngst beteiligten sich 300 Bundeswehrsoldaten an einer Offensive gegen die Taliban, die offiziell unter Führung der afghanischen Armee stand, was Beobachter allerdings bezweifeln.

Die Gefahr ist längst nicht gebannt. Im Gegenteil - die Sicherheitslage bleibt angespannt, auch wenn ein Großteil der zivilen Aufbauprojekte weiterläuft. Vor der Präsidentschaftswahl in der kommenden Woche bemühen sich die Taliban mit aller Macht um spektakuläre Attacken. In der Nacht zu Mittwoch töteten sie einen lokalen Polizeichef 15 Kilometer vom deutschen Lager entfernt. Er war der Bruder des Gouverneurs von Kundus.

Spricht man mit den Menschen in der Gegend, sagen sie meist so etwas wie der Mann, der sich als Ahmed vorstellt: "Die Deutschen machen hier gute Arbeit." Die Taliban seien allerdings weder verbannt noch nachhaltig geschwächt - trotz der kürzlich erfolgten Operation.

In einigen Dörfern tauchen erneut Drohbriefe an die Bevölkerung auf. Alle, die mit den ausländischen Soldaten zu tun hätten, bekämen die Kehle durchgeschnitten, heißt es darin. "Die Operation war erfolgreich, aber die Taliban stoßen wieder in manche Gebiete vor", ist bei der Bundeswehr dazu zu hören.

Es sei nicht genügend Personal vorhanden, um das Terrain umfassend zu halten. Auch die afghanischen Sicherheitskräfte haben längst nicht genug "Stiefel auf dem Boden", wie es hier heißt. Will heißen: Sind die Extremisten aus einem Gebiet vertrieben oder getötet, kommen bald neue Kämpfer nach.

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Fast zehn Jahre nach den Terroranschlägen in New York und dem Einmarsch der USA in Afghanistan fragt sich die internationale Gemeinschaft noch immer, wie es am Hindukusch weiter gehen soll. Seit Jahrzehnten muss das Land mit Krieg und Armut leben. Die Geschichte in Bildern.

Für die Soldaten ist ein zentrales Problem, zu erkennen, wer Feind und wer Freund ist. "Sie sind teuflisch, sie tragen das hier genauso wie ich", sagt Ahmed über die Extremisten und fährt sich über seinen langen, grauen Bart. Die Region um Kundus ist eine Hochburg der Paschtunen. Aus dem Volksstamm rekrutieren die Taliban ihre Kämpfer.

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Etliche Militante haben noch Familienkontakte in den Süden des Landes - wo amerikanische und britische Soldaten einen verlustreichen Kampf gegen die Islamisten führen. Von dort aus sickern nun vermehrt Kämpfer in den Norden ein.

Im Lager ist die Stimmung angespannt, aber nicht gedrückt. Ein junger Soldat, der seit fünf Monaten im Einsatz ist, sagt: "Die Lage ist im Laufe der Zeit immer mehr eskaliert." Die afghanische Bevölkerung sei im Umgang mit den Deutschen zwar freundlich - "in machen Dörfern wird uns aber auch ins Gesicht gesagt: "Wir unterstützen die Aufständischen und nicht euch", erzählt der Soldat, der aus Sicherheitsgründen um Anonymität bittet.

Vom Feldlager aus kann man die Gebiete sehen, aus denen die Raketen abgefeuert werden. Die Extremisten kommen mit einem kleinen Truck, feuern von der Ladefläche und verschwinden wieder. Verletzte oder Tote gab es im deutschen Lager noch nicht, aber die Spuren der Einschläge sind erkennbar.

Etwa in der Kantine, in der an diesem Tag Hausmannskost auf dem Speiseplan steht: Roulade, Rotkohl und Klöße, dazu gibt es Karottensalat. In der Nähe der Küche erinnert ein mehrere Zentimeter großes Loch an einen Raketeneinschlag, an der gegenüberliegenden Seite tritt die Isolierung hervor. Im Raum war zum Zeitpunkt des Angriff niemand mehr.

110 Euro Zulage erhalten die 4000 Soldaten am Tag für ihren gefährlichen Einsatz in Afghanistan - egal ob Logistiker, Kfz-Mechaniker oder Kämpfer, der sich auf Patrouillen in Lebensgefahr begibt. "Es ist immer ein mulmiges Gefühl, aber ich habe keine Angst", sagt ein Bundeswehrsoldat, der dafür zuständig ist, Kampfmittel zu beseitigen.

Er ist einer der ersten, der das Lager verlassen muss, wenn es kritisch wird. Seine Aufgabe ist es etwa, die tückischen, meist primitiv gebauten Sprengfallen zu entschärfen. Die Extremisten platzieren sie bevorzugt am Straßenrand und zünden die Ladung, wenn ein Konvoi der Bundeswehr daran vorbeifährt.

"Ich kann mich nur durch meine Professionalität schützen", sagt der Soldat. Fast täglich verlässt er das Feldlager, manchmal muss er eine ganze Woche draußen verbringen. "Jeder Zweifel kann einem in diesem Job das Leben kosten."

Es ist sein erster Einsatz in Afghanistan, vergangenes Jahr war er im Kosovo. "Die Lage hier in Kundus ist wesentlich angespannter, man weiß zwar nie, wann es eskaliert, man weiß aber, dass es eskalieren wird", sagt der Soldat. In Deutschland betrieben die Medien allerdings eine Panikmache: "Die Öffentlichkeit scheint das, was wir hier machen, wie am Live-Ticker zu verfolgen. Manchmal weiß das ganze Land, dass es Tote oder Verletzte gibt, bevor wir und die Familien zu Hause darüber informiert wurden."

Die vermittelte Realität habe mit der Lage in Kundus nicht viel zu tun. "Hier haben wir ein ganz anderes Empfinden, wir leben mit der Gefahr, machen so gut es geht unsere Arbeit", sagt der junge Mann. Einen kurzen Moment überlegt er, bevor er anfügt: "Uns bleibt auch gar nichts anderes übrig."

© SZ vom 13.08.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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