Bundestag will Atomausstieg beschließen:Ein historischer Sieg - aber für wen?

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Der Bundestag schreibt heute Geschichte und beendet einen jahrzehntelangen Kampf: Eine große Koalition aus Union, FDP, SPD und Grünen will den Atomausstieg bis zum Jahr 2022 beschließen. Doch der Streit über die Energiepolitik geht weiter. Und die Grünen versuchen mit ungewöhnlichen PR-Maßnahmen, den Ausstieg für sich zu reklamieren.

Mit einem parteiübergreifenden Beschluss wollen Regierung und Opposition heute den Atomausstieg bis zum Jahr 2022 besiegeln. Während Union, FDP, SPD und Grüne dem sofortigen Aus für acht Kernkraftwerke und der schrittweisen Abschaltung der neun verbleibenden Anlagen mehrheitlich zustimmen wollen, lehnt die Linke die Pläne als zu wenig ambitioniert ab.

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Zuerst eine Verlängerung der Atomlaufzeiten, nach der Katastrophe von Fukushima dann die Kehrtwende: Wie namhafte Vertreter von CDU, CSU und FDP zunächst gegen den Atomausstieg wetterten - und nun das schnelle Abschalten der deutschen Meiler preisen.

Es geht jetzt darum, sich den Ausstieg möglichst auf die eigene Fahne zu schreiben. SPD und Grüne sprechen von einem "Festtag für Rot-Grün". Kanzlerin Angela Merkel (CDU) beuge sich damit endgültig dem Druck und kehre zum rot-grünen Ausstiegsbeschluss von 2001 zurück. Noch im Herbst hatten Union und FDP die Laufzeiten um durchschnittlich zwölf Jahre verlängert, was Atomkraft bis mindestens 2035 bedeutet hätte. Nach der Atomkatastrophe von Fukushima-1 hatte sich Merkel zu einer Kehrtwende in der Atompolitik entschlossen.

Während für den Atomausstieg eine breite Mehrheit zu erwarten ist, wollen SPD und Grüne die Gesetze zur Energiewende mehrheitlich nicht mittragen. Sie halten das Ziel von Union und FDP, den Ökostrom-Anteil von derzeit rund 19 Prozent bis 2020 auf 35 Prozent zu steigern, für zu gering. Sie fordern 40 Prozent Ökostrom bis 2020. Insgesamt steht ein Paket mit acht Gesetzen zur Abstimmung.

Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) bezeichnete den Atomausstieg und das Erneuerbare-Energien-Gesetz im Sender HR-Info als "das größte Modernisierungs-, Innovations-, und Investitionsprojekt für Deutschland seit langem". Beim Ausbau erneuerbarer Energien setzt Röttgen auch auf die Stromkonzerne: "Allein der Wettbewerbsfähigkeit und der Kapitalintensität wegen wird es auch größerer Unternehmen bedürfen, die sich beteiligen - aber es wird eben auch bunter vielfältiger, dezentraler werden." Zum umstrittenen Ausbau von Hochspannungstrassen ist aus Röttgens Sicht die Bürgerbeteiligung wichtig. "Man muss mit dem, was man vorhat die Bürger überzeugen - denn eine dezentrale Energieversorgung ist auf Leitungssysteme, auf intelligente Leitungen angewiesen."

Bundesverbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) geht davon aus, dass auf die Kunden "allenfalls moderate Preissteigerungen" zukommen werden. "Außerdem können die Stromverbraucher aus einem immer größer werdenden Angebot wählen: Wenn ein Versorger die Preise erhöht, steht es jedem Kunden frei, zu einem günstigeren Anbieter zu wechseln. Ich kann den Verbrauchern nur raten, von der Möglichkeit des Wechsels auch Gebrauch zu machen", sagte sie der Passauer Neuen Presse.

Die deutsche Wirtschaft wirft der Bundesregierung vor, den Ausstieg aus der Atomenergie überstürzt zu betreiben. Wenige Tage nach Beginn des von Kanzlerin Angela Merkel (CDU) ausgerufenen dreimonatigen Atommoratoriums seien die wesentlichen Entscheidungen des Ausstiegs schon festgelegt gewesen, "einschließlich des sofortigen Abschaltens von acht Kernkraftwerken", kritisierte der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie (BDI), Hans-Peter Keitel, in einem Gespräch mit der dpa. "Es gab am Ende keine offene Entscheidungssituation mehr", sagte der BDI-Präsident.

Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) bekräftigte seine Warnung vor den Risiken der Energiewende. Sein Präsident Hans Heinrich Driftmann sagte der Neuen Osnabrücker Zeitung, viele Unternehmen sorgten sich, ob die Versorgung mit Energie hierzulande wirklich gesichert sei. Tausende Kilometer neue Netze, neue Gaskraftwerke, neue Speicher müssten erst einmal gebaut werden. "Ob das alles klappt, wird sich zeigen", sagte Driftmann.

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Die FDP dringt jedenfalls auf einen schnelleren Ausbau der Stromleitungen. "Derzeit brauchen wir neun bis zehn Jahre, bis eine Stromleitung fertig ist, das muss halbiert werden", forderte Fraktionschef Rainer Brüderle im ZDF. In Deutschland fehlten mehr als 4000 Kilometer Stromleitungen. Zudem würden neue Gaskraftwerke gebraucht, um den Ausstieg aus der Atomenergie zu stemmen. Knapp vier Monate nach der Reaktorkatastrophe von Fukushima-Daiichi soll der Bundestag ein Paket von acht Gesetzen verabschieden, was den Atomausstieg bis zum Jahr 2022 einschließt.

Der Bundestag entscheidet über den Atomausstieg. (Foto: dpa)

Grünen-Fraktionschefin Renate Künast kündigte in der Neuen Osnabrücker Zeitung an, ihre Partei werde nach dem Bundestagsbeschluss zur Energiewende "nicht locker lassen". Der Kampf gegen die Atomkraft ende erst, wenn der letzte Meiler abgeschaltet sei. "Ohne die Grünen gäbe es keinen Atomausstieg", sagte Künast.

Auch mit ungewöhnlichen Mitteln versuchen die Grünen den Atomausstieg als ihren Erfolg reklamieren, zum Beispiel mit großformatigen Anzeigen in Zeitungen. Mit einem großen grünen Kreuz werden dabei Schwarzweißbilder der acht Atommeiler Biblis A und B, Brunsbüttel, Isar 1, Krümmel, Neckarwestheim 1, Philippsburg 1 und Unterweser durchgestrichen. "Wir schalten ab", lautet der darunter stehende Slogan.

Der zweite Grünen-Fraktionschef Jürgen Trittin erteilte Spekulationen über eine mögliche schwarz-grüne Annäherung im Bund als Folge des Atomausstiegs erneut eine klare Absage. Es sei das "strategische Ziel" der Grünen, bei der Bundestagswahl 2013 die Union aus der Regierung zu verjagen: "Die sollen weg, rückstandsfrei", sagte er der Frankfurter Rundschau.

Bayerns Umweltminister Markus Söder (CSU) verspricht sich vom Atomausstieg mehr Wettbewerb durch eine Einschränkung der Markmacht der großen Energiekonzerne. "Künftig werden die Kommunen ein starker Energiewettbewerber, auch Genossenschaftsmodelle mit Bürgern sind dabei gut vorstellbar", sagte er der Augsburger Allgemeinen.

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