Bundesparteitag:Grüne suchen ihre Stärken

Klausurtagung Grüne

Mit welchen Themen gehen die Grünen wie in die nächsten Jahre: Die Parteivorsitzenden Simone Peter (links) und Cem Özdemir.

(Foto: dpa)

Freiheit, Flüchtlinge, Waffenlieferungen - die Grünen haben sich für ihren Parteitag eine Menge Streitthemen vorgenommen. Auch die Querelen in der Führungsriege werden wohl zur Sprache kommen. Die beiden Vorsitzenden dürften froh sein, dass diesmal nicht gewählt wird.

Von Stefan Braun, Berlin

Es ist im vergangenen Januar passiert. Und die Grünen sind total überrascht worden. Sie hatten - wie Tausende Male in ihrer Geschichte - zu einer Demo geladen. Sie hatten sich natürlich Gedanken gemacht, wie diese zu einem Erfolg werden könnte. Und sie hatten selbstverständlich die Hoffnung, dass sich ein paar tausend Menschen an dem Protestzug gegen Massentierhaltung, Gentechnik und schlechte Lebensmittel beteiligen würden. Aber dass statt der avisierten 10 000 gut 30 000 Menschen kommen würden - damit hatten sie im Traum nicht gerechnet.

Kein Wunder, dass das Konsequenzen hatte. Denn auch ohne schon bereit zu sein für neue Ideen und Wahlkampagnen, kapierte die frisch gekürte Parteispitze, dass ihr da ein Thema für die Zukunft serviert wurde. Über schlechte Tierhaltung, Fleischgroßbetriebe und Gentechnik reden die Grünen seit langem. Aber der enorme Zulauf für diese Demo an einem Samstag in Berlin zeigte ihnen, wie viel Potenzial in diesem Thema steckt.

Beim Thema Gentechnik kaum Konfliktpotenzial

Aus diesem Grund sollte auch der Grünen-Parteitag an diesem Wochenende, der erste der neuen Führung, natürlich ein bisschen vom möglichen Glanz dieses Themas abbekommen. Die Parteiführung um Bundesgeschäftsführer Michael Kellner überlegt nicht ohne Grund seit langem, wie eine wirklich groß angelegte Kampagne dazu aussehen könnte.

Und man verrät kein Geheimnis, wenn man hinzufügt, dass sich Kellner und Co. aus zwei Gründen mit diesem Thema besonders viel und gerne beschäftigen: Erstens gibt es dabei kaum Konfliktpotenzial zwischen Realos und linkem Flügel. Das ist viel wert in Zeiten wie diesen. Immerhin knabbern die Grünen auch ein Jahr nach der Bundestagswahl noch schwer an den Gründen und Konsequenzen ihrer Niederlage - auch mit heftigen Vorwürfen zwischen den Flügeln.

Und zweitens bringt das Thema genau jene Voraussetzungen mit, die man nach Einschätzung der Parteiführung für eine erfolgreiche Kampagne dringend benötigt: Man kann es sehr emotionalisieren, mit scharfer Kritik ebenso wie mit grausigen Bildern. Man hat klare Gegner, die großen Fleischfabriken sind da nur einer von vielen. Außerdem kann man es zu einem Gerechtigkeitsthema machen. Denn bislang ist gesundes Essen in Deutschland ein Luxus. Dazu hat man auch noch kluge Gesichter in den eigenen Reihen, die die Sache besonders glaubwürdig vertreten können. Ein Beispiel ist Christian Meyer, grüner Landwirtschaftsminister in Hannover.

Und dennoch: So sehr das Thema zur Befriedung einer durchgeschüttelten Partei auch dienen kann, die Bundesdelegiertenkonferenz am Wochenende in Hamburg wird es trotz aller klugen Gedanken kaum beherrschen. Zu sehr ringt die Führung wie die Partei insgesamt mit der Frage, wer sie sein möchte nach einem Bundestagswahlkampf, der durch die Veggie-Day-Debatte besserwisserisch-belehrend und durch den schlechten Umgang mit den Pädophilie-Vorwürfen auch noch unsensibel-ignorant wirkte. Deshalb wird diesmal schon der Start in das dreitägige Treffen über das Klima untereinander entscheiden.

Bereits am Freitag wollen die Grünen sich dem Thema Freiheit widmen - was nur eine Chiffre ist für die Frage, wie liberal und tolerant und zugleich wie gestaltend und damit auch Grenzen setzend die Partei in Zukunft in der Gesellschaftspolitik, in der Wirtschaftspolitik, in der Umweltpolitik sein möchte.

Es wird, zugespitzt, also auch um die Frage gehen, wie viel die Partei noch vom ehemaligen Spitzenkandidaten Jürgen Trittin mit seinem linken, kämpferischen Ansatz haben möchte - und wie viel vom politisch wie wirtschaftlich deutlich liberaleren Winfried Kretschmann. Nachdem ein Realo-Antrag aus Hessen erst für Ärger sorgte, soll nun ein flügelübergreifender Antrag Frieden stiften. Das Ergebnis ist freilich offen.

Wenn Grüne Doppelspitzen sich nicht bremsen können

Damit eng verbunden wird die Frage stehen, wie es der neuen Führung in Partei und Fraktion gelingt, die Delegierten für sich zu gewinnen. Nach wie vor ringen alle Vier auf ihre Weise mit der neuen Rolle und haben es noch nicht geschafft, untereinander Vereinbartes gemeinsam durchzuhalten.

Schon früh im Jahr hatten sich Simone Peter und Cem Özdemir an der Parteispitze sowie Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter als Fraktionsvorsitzende in die Hand versprochen, mit den ewigen Debatten über mögliche rot-rot-grüne oder schwarz-grüne Bündnisse aufzuhören. Ziel sollte es sein, aus sich selbst heraus wieder Themen, Identität und grüne Stärke zu entwickeln, und zwar in Abgrenzung zu allen politischen Konkurrenten, die auch Partner werden können.

Trotzdem konnten sich Einzelne aus der doppelten Doppelspitze immer wieder nicht bremsen, was bei den anderen und in der Partei zu immer größerem Verdruss führte. So gesehen können vor allem Özdemir und Peter froh sein, dass in Hamburg nicht gewählt wird. Ihre Disharmonie hätte sonst zu garstigen Ergebnissen führen können.

Neben der Identitätsdebatte am Freitagabend und der Diskussion über Landwirtschaft und gute Ernährung könnten vor allem zwei Themen noch Aufregung hervorrufen. Das Thema Asyl und Flüchtlinge, bei dem dem Baden-Württemberger Winfried Kretschmann wegen seines Kompromisses mit der Bundesregierung manch harsche Kritik droht.

Um schlimmstes zu verhindern, hat die Parteispitze dazu einen Antrag formuliert, in dem der Namen Kretschmann nicht mehr auftaucht: das wird als Signal und Bitte gelesen, nach den harschen Attacken gegen den Ministerpräsidenten aus dem Südwesten jede persönliche Kritik nun zu beenden. Zu viele von der Basis hatten sich zuvor in der Parteizentrale über die Tonlage der Kritik beschwert - und Besserung gefordert.

Trittin stellt sich voll hinter die gegenwärtige Führung

Kontrovers dürfte es auch zum Abschluss am Sonntag zugehen. Dann wird über die Außenpolitik gesprochen - und das heißt vor allem: Es wird noch einmal darum gerungen werden, ob man die Waffenlieferungen an die Kurden angesichts der Bedrohung durch die Terrormilizen des sogenannten Islamischen Staats falsch findet oder unterstützt oder sogar eine Ausweitung auf schwere Panzer fordert. Zu allen drei Positionen liegen Anträge vor.

Es wäre überraschend, wenn diese Debatte ohne heftige Emotionen auskommen würde. Eine kleine Überraschung bildet dabei, dass die sonst vor allem links blinkende Grüne Jugend in dieser Frage die Position des sonst äußerst kritisch beäugten Parteichefs Özdemir teilt. So gesehen laufen die politischen Frontlinien diesmal vielleicht anders als sonst.

Eine Sorge übrigens, die mancher in der Berliner Führung gehegt haben könnte, hat ihnen Jürgen Trittin vor dem Hamburger Treffen erst mal genommen. Ausgerechnet der Ex-Vormann, der sich zuletzt durch viele interpretierbare Äußerungen an mancher Front schon wieder hörbar einmischte, sagte der Zeitung Die Welt, er stehe voll hinter der gegenwärtigen Führung. Deren Job sei schwierig, an deren Stuhl säge niemand. Im Übrigen habe Winfried Kretschmann als erster Ministerpräsident der Grünen schon jetzt ein Denkmal verdient. Wer Trittin kennt, weiß: Mehr Solidarität ist nicht möglich.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: