Bedrohung durch Islamisten in Syrien:Türkisches Parlament stimmt für Militäreinsatz gegen IS

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Anfang der Woche werden nahe der Grenze zu Syrien türkische Panzer stationiert. (Foto: AFP)
  • Das Parlament in Ankara erteilt der Regierung ein Mandat für einen Militäreinsatz gegen die Terrormiliz IS in Syrien und im Irak.
  • Die Stadt Kobanê im syrischen Kurdengebiet an der Grenze zur Türkei droht zu fallen. Kämpfer des IS rückten bis auf einige Hundert Meter an die Stadtgrenze heran.
  • Noch ist unklar, wie genau die Regierung das Mandat nutzen wird. Ankara plädiert für die Einrichtung einer Pufferzone entlang der türkisch-syrischen Grenze.
  • Einige türkische Soldaten bewachen ein in Syrien gelegenes Mausoleum. Die türkische Armee sichert ihnen militärische Unterstützung zu.
  • Der nicht enden wollende Flüchtlingsstrom aus Syrien ist für die Türkei kaum noch zu bewältigen. Außerdem bedroht der Vormarsch der Islamisten in Syrien das Land zunehmend auch selbst.

Türkisches Parlament genehmigt Militäreinsatz gegen IS

Im Kampf gegen die Terrormiliz "Islamischer Staat" (IS) bereitet die Türkei ein stärkeres Engagement vor. Das Parlament in Ankara hat der türkischen Regierung Mandate erteilt, mit Bodentruppen oder anderen militärischen Mitteln gegen den IS in Syrien und im Irak vorzugehen. Die türkische Führung kann nun über Zeitpunkt, Dauer und Ausmaß möglicher "grenzübergreifender Einsätze" in den beiden Nachbarländern entscheiden. Außerdem darf sie Partnerländern erlauben, im Kampf gegen den IS türkische Militärstützpunkte zu nutzen. Das Mandat gilt für ein Jahr.

Mit diesem Beschluss erweitert das Parlament bereits bestehende Mandate für grenzüberschreitende Einsätze. Bislang ist es türkischen Truppen erlaubt, im Kampf gegen die verbotene kurdische Arbeiterpartei PKK in der Region grenzüberschreitend zu operieren sowie im Kampf gegen die Truppen des syrischen Präsidenten Baschar al-Assad.

298 Abgeordnete stimmten für die Resolution, 98 votierten dagegen. Die größte Oppositionspartei, die sozialdemokratische CHP, und die kleinere pro-kurdische Partei HDP hatten angekündigt, dem Mandat nicht zuzustimmen. Ministerpräsident Ahmet Davutoglu von der AKP hatte vor der Abstimmung gesagt: "Heute ist ein Test für die CHP und die HDP. Wir werden sehen, wer für oder gegen IS ist."

Die Lage in der Grenzstadt Kobanê

Die letzte Bastion im syrischen Kurdengebiet, Kobanê, droht zu fallen. Am Donnerstag rückten Kämpfer des "Islamischen Staats" (IS) bis auf einige Hundert Meter an die Stadtgrenze heran, berichtet die Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte. Kurdische Volksschutzeinheiten bereiten sich demnach auf Straßenkämpfe vor.

Schon am Morgen wurde berichtet, dass IS-Anhänger von drei Seiten auf die Stadt vorrücken - trotz des Beschusses von Kampfflugzeugen durch die von den USA geführte Allianz. Der im Arabischen Ain al-Arab genannte Ort an der Grenze zur Türkei ist die letzte Bastion in einer Enklave, die bisher unter Kontrolle syrischer Kurden stand.

Die IS-Terrorgruppe kontrolliert im Norden und Osten Syriens etwa ein Drittel der Fläche des Landes. Sollte sie Kobanê einnehmen, würde sie auch weite Teile der etwa 900 Kilometer langen türkisch-syrischen Grenze beherrschen. Während es den Kurden im Irak - auch dank der Waffen und der Luftunterstützung aus dem Westen - gelungen war, Dörfer vom IS zurückzuerobern, stehen die Extremisten inzwischen seit mehr als zwei Wochen vor Kobanê.

Türkei wünscht Sicherheitszone

Wie genau die Türkei nun gegen den IS vorgehen wird, ist noch offen. Kurz vor der Abstimmung im Parlament sagte Verteidigungsminister Ismet Yilmaz nach Angaben der Nachrichtenagentur Anadolu vor Reportern: "Rechnen Sie nicht mit einem Schritt direkt nach der Verabschiedung der Erlaubnis." Hochrangige Regierungsvertreter hatten der Nachrichtenagentur Reuters zufolge geäußert, die Türkei werde zwar ihre Grenzen zu Syrien und dem Irak verteidigen. Vor einigen Tagen ließ Ankara Medienberichten zufolge 35 Panzer in der Region auffahren. Dennoch hieß es in Berichten, dass ein Eingreifen am Boden unwahrscheinlich sei.

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Das Nato-Land dringt auf die Einrichtung einer Pufferzone mit einem Flugverbot entlang der türkisch-syrischen Grenze. Diese soll sich offenbar bis zu 30 Kilometer nach Syrien hinein erstrecken und die umkämpfte Stadt Ain al-Arab (kurdisch: Kobanê) umfassen. Die US-Regierung lehnte bislang allerdings ab und begründete dies mit dem damit verbundenen Aufwand, wie die Washington Post schreibt.

Die USA drängen schon länger auch auf eine türkische Beteiligung im Kampf gegen den IS. Doch erst jetzt zeigt die türkische Regierung sich dazu bereit. Ausschlaggebend dafür sind die anwachsende Bedrohung der Türkei durch den IS und die stetig steigende Zahl der Flüchtlinge aus Syrien.

Türkische Armee sichert Soldaten in Syrien Unterstützung zu

Kritisch könnte die Situation in einer kleinen türkischen Enklave auf syrischem Boden werden. Südlich von Ain al-Arab (kurdisch: Kobane) liegt die Grabstätte Suleiman Schahs, dem Großvater des ersten osmanischen Sultans. Das Mausoleum wird von etwa 30 türkischen Soldaten bewacht. Das Gebiet um die Enklave wird von der IS kontrolliert.

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Die türkische Armee sichert den Soldaten im Falle eine IS-Angriffs sofortige Unterstützung zu. "Vertraut darauf, nur ein Wort von Euch und das türkische Militär wird sofort an Eurer Seite sein", heißt es in einem offenen Brief von Generalstabschef Necat Özel an die Soldaten in Syrien.

Früheren Angaben zufolge bewachten etwa 30 türkische Soldaten das Gelände. Das Nahost-Onlinemagazin Al-Monitor berichtete in dieser Woche ohne Angaben von Quellen, die Wachsoldaten seien im März durch 50 bis 60 kampferprobte Spezialkräfte ersetzt worden. Zuvor hatte der IS die Türkei im März zum Abzug seiner Wachsoldaten aufgefordert. Die Regierung in Ankara lehnte das ab.

Enorme Zahl von Flüchtlingen aus Syrien

Mehr als 1,5 Millionen Menschen sind nach offiziellen Angaben seit Ausbruch des Bürgerkriegs in Syrien vor mehr als drei Jahren in die Türkei geflohen. Der Vormarsch der Islamisten im Norden Syriens verschärft die Situation zusätzlich. Allein innerhalb der vergangenen zwei Wochen sollen erneut mehr als 150 000 Syrer die Grenze zur Türkei überquert haben. Der Flüchtlingsstrom ist für die Türkei inzwischen kaum mehr zu bewältigen. Sie hofft daher auf eine Stabilisierung der Lage in dem Nachbarland.

PKK setzt türkische Regierung unter Druck

Der Vormarsch der IS in den Nachbarländern wird zudem zur Belastung des Verständigungsprozesses mit der verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei PKK. Die Organisation, die von der Türkei, den USA und er EU als Terrorgruppe eingestuft wird, hat der Türkei vorgeworfen, die Terrormiliz zu unterstützen. Der inhaftierte PKK-Chef Abdullah Öcalan teilte mit, sollten die Extremisten in der überwiegend von Kurden bewohnten syrischen Grenzstadt Ain al-Arab ein Massaker verüben, werde die PKK den Friedensprozess mit der türkischen Führung beenden. Öcalan sitzt seit 15 Jahren in der Türkei wegen Hochverrats, Mordes und Bildung einer terroristischen Vereinigung in Haft

© Süddeutsche.de/AFP/dpa/Reuters/gal - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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