Armenien-Resolution:Die Botschaft, die Berlin tatsächlich nach Ankara senden wollte

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Kanzlerin Merkel bei ihrem jüngsten Türkeibesuch im Mai 2016 mit Präsident Recep Tayyip Erdoğan. (Foto: dpa)
  • Ein Spiegel-Bericht über eine angebliche Distanzierung der Bundesregierung von der Armenien-Resolution des Bundestags hat Irritationen ausgelöst.
  • Regierungssprecher Seibert dementiert - und betont erneut, dass die Entscheidung des Parlaments rechtlich nicht bindend ist.
  • Das Lavieren zeigt, wie mühsam und heikel das Berliner Verhältnis zu Ankara geworden ist.

Von Stefan Braun, Berlin

Die deutsch-türkischen Beziehungen, seit Monaten besonders konfliktbeladen und für beide Seiten zugleich enorm wichtig, sind am Freitag um ein abstruses Kapitel reicher geworden. Die Episode um eine angebliche Distanzierung von der Armenien-Resolution, das nachfolgende Dementi der Bundesregierung und die tatsächlich wichtige Botschaft im Anhang des Ganzen zeigen eindrücklich, wie mühsam und heikel für Berlin das Verhältnis zu Ankara geworden ist. Selten musste eine Bundesregierung derart ziseliert ihre Worte wählen, um das komplexe Verhältnis zu Ankara in der Spur zu halten.

Der Streit um die Armenien-Resolution, der Konflikt um Truppenbesuche in der Türkei, dazu die türkischen Verwundungen nach dem Putschversuch und die deutschen Sorgen in Reaktion auf Erdoğans autoritären Kurs - all das hat dazu geführt, dass selbst winzige Veränderungen in der Tonlage oder, wie im jüngsten Fall, die Wiederholung von etwas längst Gesagtem hohe Wellen schlagen.

Die Meldung war kaum in der Welt, da brach eine heftige Debatte los

Am Freitag war es ein Bericht des Spiegel. Das Nachrichtenmagazin meldete am Morgen, die Bundesregierung werde sich von der Armenien-Resolution des Bundestages distanzieren, um den Streit über Truppenbesuche deutscher Abgeordneter bei den eigenen Soldaten in der Türkei zu beenden. Die Resolution handelt von den Massenmorden an Armeniern vor mehr als hundert Jahren. Sie verwendet das Wort Völkermord - wogegen sich Ankara wütend verwahrt.

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Die Spiegel-Meldung war kaum in der Welt, da brach eine heftige Debatte los. Mitglieder der Koalition warnten vor dem Schritt; Vertreter der Opposition sprachen schon von Verrat und Kotau. Das Dementi der Regierung ließ nur wenige Stunden auf sich warten. Dann erklärte der Regierungssprecher, von einer Distanzierung könne keine Rede sein. Die Regierung verteidige das Recht des Parlaments, "seine politischen Auffassungen zum Ausdruck zu bringen, ohne dass diese rechtsverbindlich" seien. Der Sturm fiel in sich zusammen. Und übrig blieb die eine Botschaft, die Berlin tatsächlich nach Ankara senden wollte: dass die Resolution keine rechtliche Wirkung entfaltet.

Diese Feststellung ist weder neu noch eine Wertung allein der Bundesregierung. Auch der Bundestag hat das auf seiner Website so festgehalten. Außerdem waren es die Initiatoren der Resolution selbst, unter ihnen der Parteichef der Grünen, Cem Özdemir, die immer wieder erklärten, es gehe bei der Resolution nicht darum, die aktuelle Führung in Ankara für die Massaker zu Beginn des 20. Jahrhunderts verantwortlich zu machen. Es gehe vielmehr um die eigene deutsche Verantwortung daran sowie um die Hoffnung darauf, auch in der Türkei eine Aufarbeitung anzustoßen.

Für Ankara ist die Frage der rechtlichen Verbindlichkeit keine Petitesse. Seit Langem fürchtet die türkische Führung unter Präsident Erdoğan nicht nur die politischen Folgen, die sich aus einer Anerkennung des Begriffs Völkermord ergeben könnten. Sie fürchtet genauso, dass sich daraus juristische Konsequenzen ableiten könnten, beispielsweise wenn Nachfahren der Opfer vor internationalen Gerichten auf Schadenersatz klagen sollten.

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Dass der Bundesregierung derartige Sorgen nicht fremd sind, zeigen die laufenden Verhandlungen mit der namibischen Regierung. Auch hier geht es um die Anerkennung deutscher Gräueltaten als Völkermord. Und in diesem Fall ist es die Bundesregierung, die es zur Bedingung macht, dass sich aus der Anerkennung keine rechtlichen Ansprüche mehr ableiten.

Ausgerechnet die Irritation könnte das Verhältnis entspannen

Im deutsch-türkischen Verhältnis könnte nun ausgerechnet die kurze Irritation vom Freitag etwas Entspannung bringen. Denn wie zu hören ist, entspricht die Botschaft der Bundesregierung ziemlich genau dem, was Ankara zuletzt gegenüber deutschen Diplomaten als Forderung gestellt hat, um das Besuchsverbot für deutsche Abgeordnete auf dem türkischen Luftwaffenstützpunkt Incirlik wieder aufzuheben.

Sowohl Frank-Walter Steinmeiers Staatssekretär Markus Ederer als auch sein politischer Direktor Andreas Michaelis waren in der Türkei gewesen und hatten nach Berlin gemeldet, dass für Ankara ein solcher Schritt unverzichtbar sei, um die Rückkehr zu normalen Abgeordnetenvisiten möglich zu machen.

Wie schnell es dazu kommen kann, blieb am Freitag offen. Auch wenn die Bundesregierung nun optimistisch ist. Die Probe aufs Exempel steht möglicherweise bald an. Der CDU-Bundestagsabgeordnete Christian von Stetten will bereits am Wochenende die deutschen Soldaten in Incirlik besuchen. Er hält sich derzeit privat in der Türkei auf. Vielleicht wird daraus jetzt eine Dienstreise.

© SZ vom 03.09.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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