Anschlag in Stockholm:Schweden macht sich keine Illusionen

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Nach dem Anschlag wehen in Stockholm schwedische Fahnen auf Halbmast. (Foto: dpa)

Vielen Deutschen galt das Land lange als Idyll. Dort sieht man die Lage aber schon lange nüchtern. Das dürfte auch nach dem Anschlag so bleiben.

Von Thomas Steinfeld

Schweden, so heißt es jetzt, komme nun dort an, wo sich andere Staaten, Frankreich zum Beispiel, Deutschland oder Großbritannien, längst befänden: in der Wirklichkeit nämlich. In diesem Satz verbirgt sich ein erhebliches Maß an Herablassung. Sie ist nicht gerechtfertigt.

Die schnelle und gründliche Reaktion der Behörden nach dem Anschlag am Freitag offenbart, dass man gewusst haben muss, mit welchen Taten zu rechnen sei. Es gibt in Schweden eine lange und blutige Geschichte der politischen Gewalt: angefangen vom Mord an Olof Palme bis zu dem Umstand, dass in Stockholm, nicht weit vom jetzigen Tatort, im Jahr 2010 schon einmal ein terroristischer Anschlag hätte stattfinden sollen. Damals sprengte sich der Täter selbst in die Luft, ohne dass andere Menschen zu Schaden gekommen wären.

Vor allem in Deutschland wurde Schweden gerne verklärt

Dass es, vor allem außerhalb Schwedens, die Vorstellung gibt, man habe es mit einem ungewöhnlich friedfertigen, ja idyllischen Staat zu tun, der sich immer noch Illusionen über den Stand der Moral mache, hat einen besonderen Grund: Das Hervortreten Schwedens als neutrales und besonders der politischen Moral verpflichtetes Land nach dem Zweiten Weltkrieg begründete eine einzigartige Stellung in der Welt, die zuweilen zu Verklärungen führte - an die man vermutlich im Ausland, vor allem in Deutschland, mehr glaubte als in Schweden selbst.

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Der mutmaßliche Täter ist ein 39-Jähriger aus Usbekistan, sieben weitere Personen wurden befragt. Die Ermittler haben alle Opfer identifiziert, zwei sind keine Schweden.

Während des Kalten Krieges war Schweden, obwohl tatsächlich dem Westen zugehörig, eine der wenigen Instanzen der Vermittlung zwischen den Blöcken. Zu dieser Laufbahn als besonders friedliebender Nation gehörten eine starke Repräsentanz Schwedens in internationalen Institutionen, ein deutliches Engagement in der Entwicklungspolitik und ein generöser Umgang mit Flüchtlingen. Dass dieser politischen Haltung allerdings nicht nur eine moralische Überzeugung zugrunde lag, sondern auch eine pragmatische Haltung den Möglichkeiten des Landes in der internationalen Politik gegenüber, blieb am allerwenigsten den Schweden selbst verborgen.

Der politische Konsens liegt immer noch in der sozialdemokratischen Mitte

Diese besondere Rolle Schwedens gibt es nicht mehr. Die politischen Voraussetzungen dafür fehlen heute. Es dauerte eine Weile, bis sich diese Erkenntnis durchsetzte, und als sie kam, wurde sie ungeschickt und abrupt umgesetzt: in die Wiedereinführung der Grenzkontrollen im Herbst 2015. Der pragmatische und liberale Umgang mit den Flüchtlingen, die sich bereits innerhalb Schwedens befanden, wurde deshalb aber nicht ausgesetzt.

Und auf Dauer, so erwies sich in den vergangenen Monaten, werden auch die rechtspopulistischen "Schwedendemokraten" nur eine von vielen Parteien seien, während der politische Konsens sich in einer mehr oder minder sozialdemokratischen Mitte befindet. Als die schwedischen Konservativen in den vergangenen Monaten versuchten, am rechten Rand des politischen Spektrums Stimmen zu gewinnen, wurden sie dafür bitter bestraft.

Die ersten Reaktionen schwedischer Politiker nach dem Anschlag von Stockholm weisen in dieselbe Richtung: Man macht sich wenig Illusionen über die Lage, in der man sich befindet, sieht darin aber keinen Grund, sich grundlegend zu ändern.

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