Angriffe in Afrika:Drohnentod aus Deutschland

US-Drohne

Eine Predator-Drohne wird in Kalifornien gewartet

(Foto: Effrain Lopez/dpa)

Angriffe amerikanischer Drohnen in Afrika werden von Ramstein aus dirigiert und in Stuttgart verantwortet. Unschuldige Menschen sterben. Salman Abdullahi velor seinen Vater durch den Krieg, der aus Deutschland kommt.

Von John Goetz, Hans Leyendecker, Frederik Obermaier, Bastian Obermayer und Niklas Schenck

Salman Abdullahi, wie klingt der Tod? Er schürzt seine Lippen und macht ein leises, tiefes Geräusch, ein gebrummtes, langes U. Vielleicht eher so: UUUUUH.

Drohnen.

Meistens kann Salman Abdullahi (Name von der Redaktion geändert) sie nur hören, irgendwo weit oben, am Himmel über Somalia, aber er kann sie nicht sehen. Abdullahi, 34, ist Ziegenhirte - ein Nomade, der nie ein Klassenzimmer betreten hat und keine Zeitung lesen kann, aber auch er hatte davon gehört, was diese Dinger anrichten können. Er hatte sich nur keine Vorstellung davon machen können. Bis zu jenem Tag im Februar 2012, an dem sein Vater nicht mehr nach Hause kam.

An diesem Tag stehen Salman Abdullahi und sein Vater, Maxamed Abdullahi, 50, wie gewöhnlich bei Sonnenaufgang auf, beten, trinken gemeinsam ihren Tee. Sehr schwarz, sehr stark, so, wie sie ihn mögen. Vater und Sohn leben in der Großfamilie, sie haben ihre Hütten aus Ästen und Gräsern direkt nebeneinander gebaut, und drumherum einen Zaun, der sie vor wilden Tieren schützen soll. Hinter dem Zaun ist nur Savanne. Keine anderen Häuser, keine Straßen, keine Nachbarn. Nur ein paar Bäume und dürres Gras. Und wenn das Gras nicht bald besser wird, wenn der Regen einfach nicht kommen mag, werden sie ihre Häuser abbauen und mit den 15 Kamelen und den neun Ziegen weiterziehen. Als der Tee ausgetrunken ist, besprechen sie kurz den Tag. "Geh du mit den Ziegen", sagt der Vater, "und pass auf, dass du sie alle wieder zurückbringst, es sind Löwen in der Gegend." Sie haben schon zu viele Ziegen verloren durch die Dürre im Jahr zuvor. Salman nickt. "Dann sehen wir uns heute Abend", sagt der Vater, und macht sich mit den Kamelen auf den Weg.

Am Himmel über ihnen patrouillieren in diesen Tagen Kampfdrohnen der US-Air Force. Noch beobachten sie nur, was unter ihnen geschieht, und schicken diese Bilder auf eine lange Reise: Über Satellit werden die Daten an amerikanische Stützpunkte weltweit übertragen, auch nach Deutschland.

Dort landen sie auf mannshohen Monitoren in einem riesigen Kampfeinsatzraum der rheinland-pfälzischen US-Basis Ramstein. Der Stützpunkt ist der größte US-Militärflugplatz außerhalb Amerikas, die Drehscheibe für die Kriege in Afghanistan und im Irak, und seit gut zwei Jahren steht dort auch das Air and Space Operations Center, kurz AOC. Ein beiger Flachbau ohne Fenster, dafür mit Stahltor und Stacheldraht. Hochsicherheitsbereich innerhalb der hochgesicherten Airbase. 5000 Quadratmeter modernste Technik, 1500 Computer für 650 Soldaten. Das AOC ist die Steuerzentrale des US-Luftkriegs in Afrika, von hier wird der Kampf gegen islamistische Terror-Milizen gelenkt.

Angriffe in Afrika: Eine Panorama-Grafik des Kampfoperationsraums in Ramstein - gefertigt nach Architektenbildern.

Eine Panorama-Grafik des Kampfoperationsraums in Ramstein - gefertigt nach Architektenbildern.

(Foto: NDR/Panorama)

Aber auch die militärische Verantwortung für diese Mission liegt in Deutschland, etwas weiter südlich, in den "Kelley Baracks", der Stuttgarter US-Kaserne. Dort ist seit Herbst 2007 der Hauptsitz des Afrika-Kommandos der USA untergebracht, kurz: Africom. Sämtliche Aktionen von US-Militäreinheiten in Afrika unterstehen ihrer Kontrolle - das bestätigt ein Sprecher der US-Armee ausdrücklich. Nach Recherchen von SZ und NDR bedeutet "Kontrolle" in diesem Fall: Über jeden US-Drohnenangriff über Afrika, über jede einzelne dieser gezielten Tötungen, wird in Stuttgart entschieden.

Man kann sich darüber wundern, dass von deutschem Boden aus ein Krieg gesteuert wird, der völkerrechtlich mindestens höchst problematisch ist. Oder dass von deutschem Boden Exekutionen geplant werden, die nach deutschem Recht schlicht verboten sind.

Es gibt Strafrechtler, die der Meinung sind, es müsste gegen die von Deutschland aus involvierten US-Soldaten wegen Mord ermittelt werden. Es gibt Verfassungsrechtler, die der Bundesregierung vorwerfen, die deutsche Verfassung zu brechen und sich an Völkerrechtsverbrechen mitschuldig zu machen. Es gibt andererseits den Generalbundesanwalt, der erklärt, für die deutsche Regierung ergebe sich "weder aus dem Völkerstrafrecht noch aus dem allgemeinen Strafrecht die Verpflichtung, Drohneneinsätze der USA aus Deutschland zu unterbinden". Deutschland sei "juristisch gesprochen", weder "Beschützer- noch Überwachungsgarant dafür, mögliche völkerrechtswidrige Verbrechen der Amerikaner zu verhindern".

Und dann gibt es noch die deutsche Bundesregierung, die all das einfach ignoriert. Die ungerührt ausrichten lässt, ihr lägen "keine eigenen gesicherten Erkenntnisse zu von US-Streitkräften in der Bundesrepublik Deutschland angeblich geplanten oder geführten Einsätzen vor". Ihr lägen "keine Anhaltspunkte" dafür vor, dass sich die USA auf deutschem Staatsgebiet völkerrechtswidrig verhalten hätten.

Die Bundesregierung verhält sich wie ein kleiner Junge beim Versteckspielen, der darauf beharrt, den dicken Freund, der sich hinter einem viel zu dünnen Baum versteckt, nicht sehen zu können.

Was für ein Witz.

Es gibt sogar einen deutschen Africom-Verbindungsoffizier bei der Bundeswehr. Eine seiner Aufgaben lautet: "Sicherstellung des Informationsaustauschs einschließlich der Pflege der bestehenden Informationsbeziehungen." Redet er dort mit niemandem? Redet niemand mit ihm? Kann es wirklich sein, dass er weniger weiß, als man mit zwei Minuten Internetsuche erfährt?

Kann jemand dem Mann helfen?

Oder der Bundesregierung?

Fest steht: In Deutschland stationierte US-Einheiten lenken und steuern die routinemäßigen Exekutionen von mutmaßlichen Terroristen in Afrika, sie sind von Anfang bis zum Ende involviert, in jeden Schritt eines Ablaufs, den die Amerikaner "kill chain" nennen: Tötungskette.

Wer soll getötet werden? Aus Stuttgart kommen Vorschläge

Am Anfang steht immer die Frage, wen man eliminieren soll. Wer stellt eine so große, so unmittelbare Gefahr für Amerika dar, dass nur sein Tod als Lösung infrage kommt? Die Vorschläge kommen von US-Geheimdienstlern - unter anderem aus Stuttgart, das zeigen detaillierte Stellenbeschreibungen des Africom. Darin sucht das Militär zum Beispiel einen "All Source Analyst", einen Spezialisten, zu dessen Aufgaben es ausdrücklich gehört, "Ziele zu nominieren". Dieser Schritt ist der Beginn eines "Nominierungsprozesses", der erst auf dem Schreibtisch von US-Präsident Barack Obama abgeschlossen wird. Jeden Dienstag werden dem Präsidenten die Vorschläge vorgelegt, in diesem Fall vom Africom und der Special-Operations-Abteilung. Sobald Obama das Hinrichtungsdokument unterschreibt, ist die Zielperson zum Abschuss freigegeben.

In jenen Februartagen 2012 steht auf der "Kill-Liste" unter anderem der mutmaßliche Dschihadist Mohamed Sakr. Er soll seit 2009 eine wichtige Rolle in der afrikanischen Terrorgruppe al-Shabaab innehaben. Nur: Sakr wurde 1985 in England geboren, er ist britischer Staatsbürger. Selbst der Präsident der Vereinigten Staaten, der mächtigste Mann der Welt, kann nicht einfach so einen Briten töten. Oder doch?

Er muss gar nicht. Großbritannien entzieht Sakr im September 2010 die britische Staatsbürgerschaft. Damit ist er vogelfrei.

Nur: Wen man töten will, muss man erst finden. Der US-Geheimdienst jagt Sakr nun schon seit Jahren. Aber jetzt sind ihm die Verfolger endlich nah gekommen. Sie stehen kurz davor, ihn zu erwischen.

Maxamed Abdullahi zählt mit seinen 50 Jahren zu den Älteren seines Clans. Er ist ein hochangesehener Mann: Zu ihm kommen die Leute, wenn es Streit gibt - um das beste Gras oder um Wasser, die essenziellen Dinge des Nomadenlebens. Er sagt, wer recht hat und wer nachgeben muss, und sein Schiedsspruch hat Geltung. Ein anderes Gesetz gibt es nicht hier im Busch.

An diesem Tag muss er weit gehen, bis er frisches Gras für seine Kamele findet, fast eine Stunde. Maxamed Abdullahi ist ein großer, sehniger Mann mit kurzen Haaren und schmalem Kinnbart. Er trägt das lange Gewand der Nomaden und billige schwarze Sandalen "made in China". Vor der Sonne schützt er sich mit einem Turban oder Hut, beim Kamelhüten wickelt er sich meist einfach sein Bettzeug um den Kopf. Dann hat er gleich etwas dabei, um sich zum Mittagsschlaf hinzulegen.

Rund tausend Kilometer von Maxamed Abdullahi und seinen Kamelen wird im "Camp Lemonnier", einem abgetrennten und streng bewachten Teil des Flughafens von Dschibuti, eine bewaffnete Drohne für den Einsatz vorbereitet. Von hier starten zu dieser Zeit die meisten Drohnen, die das US-Afrika-Kommando in Stuttgart für seine Einsätze braucht. Auf den ersten Blick ist das "Camp Lemonnier" eine eher ungeordnete Ansammlung von Baracken, Hangars, Tanklastern, Helikoptern und Flugzeugen. Mittendrin weht eine amerikanische Flagge. Hier arbeiten in jenen Februartagen auch die zivilen Mitarbeiter der Firma Battle Space Flight Services, die im Auftrag des US-Militärs Drohnen wartet und betreibt. Ein rentables Geschäft: Zuletzt bekam die Firma von der Air Force einen Auftrag in Höhe von gut 950 Millionen Dollar.

Es ist früh am Morgen in Dschibuti, als die Techniker die Drohne vom Typ Predator aufs Rollfeld bringen: acht Meter lang, 15 Meter Flügelspannweite, mit den Hellfire-Raketen unter den Flügeln eine Tonne schwer. Rund 25 Stunden kann sie in der Luft bleiben. Der Start verläuft problemlos, und um 6.30 Uhr westeuropäischer Zeit übernimmt ein US-Pilotenteam auf der Cannon Air Force Base im Bundesstaat New Mexico das Steuer.

Die eigentliche Mission beginnt.

Live zugeschaltet: der AOC-Kampfeinsatzraum in Ramstein. Hier wird auf der Data Wall, einem riesengroßen LCD-Bildschirm, jedes einzelne Flugzeug und jede US-Drohne angezeigt, die in Afrika in die Luft gehen. Nahezu in Echtzeit gehen auch die Bilder der Bordkameras ein - zur sofortigen Auswertung durch die Analysten. Über einen verschlüsselten Internet-Chat ist das Militär in Ramstein mit anderen Beteiligten verbunden, wie dem Startteam in Dschibuti, dem Kommando in Stuttgart und denen, die am Ende der Befehlskette in einem klimatisierten Container in New Mexico sitzen: den Piloten.

In diesem Fall liegt der Joystick in der Hand einer Frau, einer US-Soldatin vom Rang eines Captain. Sie ist eine erfahrene Pilotin und hat sogar exakt diese Drohne schon zweimal geflogen. Im Normalfall besteht eine Crew aus sechs Leuten: Der Pilot fliegt - und betätigt am Ende den Feuer-Knopf. Der "Sensor Operator" ist eine Art Co-Pilot, der die Bordkameras bedient und möglicherweise Bilder sichtet, die zeitgleich von anderen Drohnen kommen. Der "Mission Coordinator" hält Kontakt zu den beteiligten Einheiten und Geheimdiensten - also auch nach Deutschland. Und für jede Position gibt es einen Ersatzmann. Anstrengende Jobs: Die Crews arbeiten in Schichten von elfeinhalb Stunden, und in den Containern ist es eng, es sind zu viele Leute auf zu wenig Raum. Vor allem zu viele Männer. Es stinkt nach Schweiß, nach Zigaretten und nach Fürzen.

Die Crew der Pilotin beobachtet an diesem Tag ein "bewegliches Zielobjekt" - das bedeutet: Es geht um Menschen.

Um acht Uhr westeuropäischer Zeit, elf Uhr somalischer Zeit, fliegt die Drohne stabil in 5,5 Kilometer Höhe. Die Waffen an Bord sind einsatzfähig, die Ziellaser kalibriert. Alles bereit für den Abschuss.

Das Ziel: Mohamed Sakr. Er soll sich in der Nähe von Mogadischu aufhalten.

Die Gegend, in der Maxamed Abdullahi schließlich Gras für seine Kamele findet, liegt in der Region Unter-Shabeelle - benannt nach dem Shabeelle-Fluss. Der Indische Ozean ist nah, die Hauptstadt Mogadischu 60 Kilometer entfernt. Früher galt die Region als Brotkorb des Landes, aber bewaffnete Konflikte und wiederkehrende Dürren haben Spuren hinterlassen, und vor allem: Hunger. Seit 2008 ist die Region weitgehend in der Hand der islamistischen Al-Shabaab-Milizen, die am Horn von Afrika einen Gottesstaat errichten wollen.

Maxamed Abdullahi will mit den Dschihadisten nichts zu tun haben. Er ist ein gläubiger Muslim, das schon, und er hat als einer der wenigen hier sogar die Koranschule besucht - aber der Eifer und die Wut dieser Menschen sind ihm fremd. Außerdem stehen immer wieder Al-Shabaab-Kämpfer vor seiner Hütte und verlangen Tribut: Ziegen und Kamele. Als hätten er und seine Familie nicht schon ohnehin mit dem Überleben zu kämpfen. Aber die Islamisten haben Waffen. Sie gehen nie ohne Tribut.

Angriffe in Afrika: Salman Abdullahi

Salman Abdullahi

(Foto: Niklas Schenck)

Am späten Vormittag macht Abdullahi sich seine erste Mahlzeit zurecht, Hirsebrei mit frischer Kamelmilch. Nach dem Essen legt er sich meist in den Schatten eines Baums, um zu schlafen. An das seltsam tief brummende Geräusch der Drohnen, die irgendwo dort oben vorbeiziehen, hat er sich längst gewöhnt. Es ist Alltag in Somalia.

Einer, den es zu dieser Zeit schon getroffen hat, ist Bilal Berjawi, ein Freund jenes Mohamed Sakr, dem die US-Kräfte gerade auf der Spur sind. Berjawi und Sakr kannten sich, seit sie zwölf waren. Beide wachsen in London auf, als Freunde, einer mit libanesischen, der andere mit ägyptischen Eltern. Sie wenden sich gleichzeitig dem radikalen Islam zu, heiraten beide somalische Frauen und verlassen 2009 beide London - um in Somalia bei der al-Shabaab zu kämpfen. Ende Januar bringt Berjawis Frau in einem Londoner Krankenhaus sein Kind zur Welt, und begeht den Fehler, ihren Mann anzurufen. Bilal Berjawi geht ans Telefon. Wenige Stunden später ist er tot, getötet von einer US-Drohne.

In den Wochen danach arbeitet man im Stuttgarter Afrika-Kommando daran, auch Mohamed Sakr zum Märtyrer zu machen.

Aber wie kommt man auf die Spur eines Mannes, der irgendwo in Somalia untergetaucht ist? Über abgefangene Mails oder Telefonate, wie bei dem Londoner Dschihadisten Bilal Berjawi, über Agenten vor Ort oder über Partner wie den Bundesnachrichtendienst. BND-Agenten tauchen regelmäßig in deutschen Asylbewerberheimen auf, wo sie beispielsweise geflohene Somalier über die Lage in ihrem Heimatstaat befragen. Vielleicht erzählt jemand ja von zwei Gotteskriegern, die gerade aus London in Somalia angekommen waren?

Was auch immer die BND-Leute erfahren, geben sie routinemäßig weiter an ihre amerikanischen Kollegen. Sofern nicht sowieso ein US-Agent mit im Raum sitzt, auch das passiert. Und jedes noch so kleine Detail kann für die Zielfindung der Amerikaner, das "Targeting", entscheidend sein, jeder noch so kleine Hinweis aus Deutschland kann das Puzzle der Analysten vervollständigen und den Feuerbefehl auslösen - der bei Afrika-Einsätzen aus Deutschland erfolgt, aus dem Africom-Hauptquartier in Stuttgart-Möhringen.

Man kann sich zwischendurch auch mal fragen, warum das eigentlich so ist? Warum liegt das Hauptquartier für den US-Afrika-Einsatz in Deutschland, und nicht, nur zum Beispiel, in Afrika?

Bundesregierung bittet USA, Afrika-Kommando in Stuttgart nicht groß zu verkünden

Die Antwort muss wohl lauten: Weil sich eine Reihe von afrikanischen Ländern verweigert haben. Mindestens zwölf Staaten lehnten die US-Bitte ab, das Africom-Hauptquartier - oder auch nur eine Regionalstelle - aufzunehmen. Zu allgegenwärtig war schon damals die Kritik an Amerikas Krieg gegen den Terror. In Deutschland macht man sich schnell und freiwillig zum Komplizen: Als die Entscheidung gefallen ist, dass das Africom nach Stuttgart kann, bittet ein deutscher Regierungsbeamter die Amerikaner, die Sache erst mal nicht zu groß zu fahren. "Das würde nur Anlass zu Schlagzeilen in der Presse geben und zu einer unnötigen öffentlichen Debatte führen", so wird der Deutsche in einem internen US-Dokument zitiert.

Klar: Warum sollte man so etwas öffentlich diskutieren, wenn man es auch hinter verschlossenen Türen entscheiden kann? Ein erstaunliches Demokratieverständnis. Zumal die Amerikaner nicht bestreiten, dass der Drohneneinsatz in Afrika aus Deutschland gesteuert wird. Sie lenken höchstens ab. Bei seinem Deutschlandbesuch im Juni erklärt US-Präsident Barack Obama: "Ich kann jedoch bekräftigen, dass wir Deutschland nicht als Ausgangspunkt für unbemannte Drohnen verwenden, die dann auch Teil unserer Aktivitäten im Bereich der Terrorismusbekämpfung sind. Ich weiß, dass es einige Berichte in Deutschland darüber gegeben hat, dass das eventuell der Fall sei. Es ist nicht so."

Ein Ratschlag guter Krisen-PR lautet: Bestreite Vorwürfe, die niemand erhoben hat. Nun: Obamas englischer Ausdruck für "Ausgangspunkt" lautet "launching point" - was in der Militärsprache für den Ort steht, an dem eine Drohne in die Luft gebracht wird. Tatsächlich heben die Drohnen für den US-Krieg in Afrika nicht in Deutschland ab. Natürlich nicht. Das hatte aber auch niemand behauptet.

Das Ergebnis der Recherchen von SZ und NDR, auf die Obama sich bezog, lautete: Die USA steuern den Drohnenkrieg in Afrika aus Deutschland. Und das wiederum hatte Obama selbst indirekt längst bestätigt: In einem öffentlichen Brief an den Kongress hatte er im Juni 2012 geschrieben, "das US-Militär" habe "in Somalia konkrete Maßnahmen gegen Al-Qaida-Mitglieder ergriffen, darunter solche, die auch Mitglieder der al-Shabaab sind".

Alle Aktionen des US-Militärs in Afrika aber unterstehen dem Africom. Auch die von Barack Obama erwähnten Angriffe wurden also aus Deutschland gesteuert.

Noch einmal: Der Brief Obamas ist öffentlich, er steht im Internet, es ist kein Geheimdokument. Jeder, der wissen will, was das Afrika-Kommando von Deutschland aus so tut, kann das erfahren - auch die Bundesregierung.

Man muss nur wollen.

Mittlerweile folgt die in Dschibuti gestartete US-Drohne dem beweglichen Ziel gute eineinhalb Stunden, geflogen von der Tausende Kilometer weiter in einem Container in New Mexico sitzenden Pilotin. Es ist jetzt neun Uhr westeuropäischer Zeit. Für die Crew ist es ein "Routinekampfeinsatz", so steht es im Einsatzprotokoll. Dort steht auch, dass die Drohne im Folgenden an Höhe verliert, und von der Pilotin aufs Meer manövriert wird, wo sie abstürzt.

Im Absturzbericht ist über die Drohne festgehalten: sieben Jahre alt, fast 17.000 Flugstunden, 900 Landungen, ein ausgetauschter Motor. Der Schaden: 4,2 Millionen Dollar.

Interessanter wäre: Wie oft sie getötet hat bis zu diesem 21. Februar 2012.

Drei Tage später bringt eine andere Drohne den Auftrag zu Ende. Über diesen Flug ist weniger bekannt. Es ist der 24. Februar. Als Salman Abdullahi an diesem Tag mit den Ziegen nach Hause kommt, hat die Dämmerung schon eingesetzt. Der Vater ist noch nicht wieder da. Allerdings geht er manchmal mit den Kamelen so weit, dass er erst nach Mitternacht zurück ist.

Aber dann kommt eines seiner Kamele zurück, ohne ihn, und wenig später noch eines. Und noch eines. Langsam wird Salman Abdullahi nervös. Am Abend ziehen er und seine Geschwister los, um den Vater zu suchen. Aber sie finden ihn nicht. Sie legen sich schlafen, und hoffen, dass der Vater am nächsten Morgen zu Hause ist.

Die diensthabenden Piloten, die an diesem Tag nach Schichtende wie immer aus dem Krieg zurück in ihre Wohnzimmer fahren, haben einen guten Tag hinter sich: Ihre Hellfire-Raketen haben rund 60 Kilometer von Mogadischu zwei Autos in die Luft gejagt. In einem stirbt Mohamed Sakr, der mutmaßliche Al-Shabaab-Kämpfer. Hingerichtet nach Dienstanweisung, nach klaren, formalen Kriterien. Auch in Ramstein, das weiß man von anderen Afrika-Einsätzen, steht vor den Monitoren ein Militärjurist, der Fragen stellt wie: Ist das Ziel sicher identifiziert? Sind die Mittel angebracht? Ist der geschätzte Kollateralschaden vertretbar im Rahmen der Mission? Erst wenn er hinter allen Punkten Häkchen setzen kann, wird gefeuert. Ein Vorgehen, das nur innerhalb der Logik des US-Drohnenkriegs schlüssig ist - bedenkt man, dass nur wenig später eine völkerrechtswidrige Exekution stattfindet.

Die Militärjuristen bitten die Piloten oft, noch ein letztes Mal auf den Bildschirm zu schauen, bevor sie die Rakete loslassen. Es könne ja, so erklärt es einer, in letzter Sekunde "die sprichwörtliche Busladung voller Nonnen" neben dem Ziel auftauchen.

Aber da war nur ein Kameltreiber.

Als Maxamed Abdullahi auch am nächsten Morgen nicht zurück ist, brechen Salman und seine Geschwister erneut auf, um ihn zu suchen. Unterwegs erfahren sie von einem Bombenanschlag, aber noch bringen sie diese Nachricht nicht in Verbindung mit dem vermissten Vater. Dann treffen sie eine Frau, die ihre Kamelmilch in die Stadt bringt, um sie zu verkaufen. Sie erzählt, am Anschlagsort liege die Leiche eines Zivilisten. Die eigenen Toten bringen die Al-Shabaab-Leute immer gleich weg, sie werden als Märtyrer feierlich begraben. Zivilisten lassen sie liegen, oft tagelang.

Salman Abdullahi und seine Clan-Angehörigen folgen der Wegbeschreibung der Milchverkäuferin, und stoßen am Anschlagsort auf die Kadaver von ein paar toten Kamelen, und auf die zerrissene Leiche eines Mannes: Der Oberkörper liegt wie hingeworfen auf einem Baum, den Rest darunter. Nur das Gesicht ist einigermaßen unversehrt. Salman Abdullahi erkennt seinen Vater sofort. Starr vor Schock und unfähig, den Körper des Vaters anzufassen, sieht er zu, wie andere aus seinem Clan die Leichenteile aufsammeln, in einen Karren legen, zudecken und nach Hause bringen. Ein richtiges Begräbnis haben ihnen die Al-Shabaab-Milizen verboten, so heben sie hastig ein Grab aus und beerdigen Maxamed Abdullahi. Getötet von den Amerikanern bei einem von Deutschland aus gesteuerten Angriff, liegen gelassen von den Kämpfern der Al-Shabaab-Miliz.

Maxamed Abdullahi hinterlässt seinem Sohn kein einziges Foto von sich. Er hat nie eine Kamera besessen, und er hat sich auch nie fotografieren lassen. Fotos bringen Unglück, so denken viele Somalier. Und doch gibt es eine digitale Erinnerung: Auf den Videoaufzeichnungen der Bordkamera muss kurz vor dem Einschlag der Hellfire-Rakete ein großer, schmaler Nomade zu sehen sein, gehüllt in traditionelle somalische Gewänder, das Bettzeug um den Kopf gewunden, schwarze Billig-Sandalen an den Füßen. Aufgenommen einen Moment vor seinem Tod. Es ist das einzige Bildnis, das von Maxamed Abdullahi bleiben wird, abgespeichert im digitalen Archiv des US-Militärs, vielleicht auch auf einem mittlerweile aussortierten Computer, jedenfalls irgendwo in Ramstein. In Deutschland.

Wenn das Richtmikrofon der Drohne angestellt war, ist auf diesen Aufnahmen sogar zu hören, was dort unten passiert ist. Die Explosion, Schmerzensschreie, die Stille danach. Was auch immer. Wenn der Co-Pilot auf Wärmebildkamera geschaltet hat, konnte die Besatzung zusehen, wie sich die Temperaturen nach dem Anschlag verändert haben. Wie die Körper der Menschen immer kälter wurden.

Mitarbeit: Christian Fuchs, Antonius Kempmann, Abdalle Ahmed Mumin, Tanjev Schultz, Jan Strozyk, Tobias Zick

Die ARD sendet diesen Donnerstag einen Themenabend zur Serie "Der geheime Krieg": Um 21:45 Uhr berichtet das Magazin "Panorama" über Deutschlands Rolle im amerikanischen Drohnenkrieg. Zuschauer können den Film auch im Social-TV schauen und direkt mitdiskutieren. Dann folgt die Talkshow "Beckmann", um 0:00 Uhr schließlich der Dokumentarfilm "Schmutzige Kriege".

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