Alkohol und Kirche:Der Saufteufel

Lesezeit: 5 min

Alkohol in der Fastenzeit: Auch nach kirchlichen Maßstäben war das Verhalten von Margot Käßmann nicht in Ordnung. Dabei hat die Figur des "versoffenen Pastors" durchaus Tradition.

Johan Schloemann

Die Häme ist schwer zu unterdrücken: Die Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland, die in der Afghanistan-Debatte als strenge Moralapostelin wahrgenommen wurde, setzt sich am Samstag nach Aschermittwoch sturzbetrunken ans Steuer ihres Dienstwagens und fährt über Rot.

Allerdings muss erst einmal im Sinne der protestantischen Laienpriesterschaft betont werden, dass nach christlichem Verständnis wir alle Sünder sind und daher auch geistlichen Amtsträgern die Vergebung ihrer Sünden gewährt werden kann. "Wer unter euch ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein" - das schadenfrohe Zeigen auf die Verfehlungen des anderen, das eigene Vollkommenheit unterstellt, ist pharisäisch.

Entsprechend hat gerade die hannoversche Landesbischöfin Margot Käßmann, die geschieden ist und krebskrank war, ihre menschlichen Schwächen und Anfechtungen immer wieder offen ausgestellt.

Der automatische Impuls, nach dem Fehltritt den Rücktritt zu fordern, gehört insofern zunächst nicht der kirchlichen, sondern der politischen Sphäre an, wo man von öffentlichen Führungspersönlichkeiten "Konsequenzen" verlangt - ein Reflex, der sich in diesem Fall gewiss dadurch noch verstärkt hat, dass Käßmann häufig selbst mehr im Stil einer politischen als einer religiösen Führungsfigur aufgetreten ist.

Nicht zuletzt diesem eher politisch-medialen Selbstverständnis ist es wohl geschuldet, dass sie nun so prompt von ihrem Amt zurückgetreten ist, anstatt erst einmal ein paar Tage abseits der Bild-Zeitung zu beten, die Bibel zu lesen und sich selbst zu prüfen.

Verkneifen wir uns also die naheliegenden Witze - aus tiefem Glas schrei' ich zu Dir oder so etwas. Gleichwohl ist die folgenreiche Alkoholfahrt von Hannover auch nach kirchlichen Maßstäben eine krasse Erschütterung eines hohen moralischen Anspruchs.

Käßmanns Vollrausch fällt in die Fastenzeit. Das Fasten vor Ostern ist - das scheint vielen Kommentatoren entgangen zu sein - den Protestanten zwar gar nicht als Pflicht auferlegt; so heißt es in Luthers und Melanchthons Apologie zum Artikel 15 der Augsburgischen Konfession: "Gott will, dass wir allzeit nüchtern und mäßig leben, und wie die Erfahrung gibt, so helfen dazu nicht viele Fasttage."

Fasten als antikapitalistische Askese

Aber die Kirche, der Käßmann bis Mittwoch vorstand, hat sich das Fasten, also eine typische Praxis altgläubiger Werkgerechtigkeit, in den letzten Jahren immer mehr zu eigen gemacht - vom Wunsch getragen, die Ent-Ritualisierung im Protestantismus auszugleichen und ein Bedürfnis nach lebensreformerischer Sinnsuche und antikapitalistischer Askese zu befriedigen.

Daran nun musste sich eine EKD-Ratsvorsitzende in der Passionszeit messen lassen. Käßmann wurde am Samstag spätabends von der Polizei angehalten: da war schon seit Mittwoch Fastenzeit. Und am verkaterten Morgen nach dem Vergehen, also am Sonntag, der im Kirchenjahr Invokavit heißt und die Versuchung zum Bösen zum Thema hat, wurde offiziell die diesjährige Fastenaktion der evangelischen Kirche eröffnet: "7 Wochen ohne".

Die mitteilsame Bischöfin hat zudem in der Fastenzeit des vergangenen Jahres dem Online-Sportmagazin achim-achilles.de, das mit Spiegel Online kooperiert, ein Interview gegeben, in dem sie sagte: "Fasten bringt eine Chance für einen neuen Blick auf das Leben und unsere Welt mit sich. Es geht um eine Konzentration auf das, was wirklich wichtig ist im Leben." Auf die Nachfrage des Magazins "Worauf verzichten Sie gerade?" antwortete sie: "Ich verzichte auf Alkohol." Nun ja.

Geist statt Alkohol

Alkohol und Religion haben seit jeher ein ambivalentes Verhältnis. Einerseits hängen Kult und Rausch, Gottesdienst und Fest, Spiritualität und Spiritus religionsgeschichtlich in vielen Kulturen zusammen. Andererseits gibt es auch eine traditionelle Assoziation von Heiligkeit und Abstinenz, ob im alten China, bei Zarathustra oder im Islam.

Im Christentum jedoch ist dieser Widerspruch nie bis zum Letzten ausgetragen. So warnt im Neuen Testament der Apostel Paulus in seinen Briefen an die verlotterten Städte der Mittelmeerwelt zornig vor den "Werken des Fleisches", zu denen die Trunkenheit gehört, die von der wahren Inspiration des Glaubens zu unterscheiden sei: "Und saufet euch nicht voll Wein, daraus ein unordentlich Wesen folgt, sondern werdet voll Geistes", heißt es im Epheserbrief.

In gleicher Weise verwahrt sich der Apostel beim Pfingstwunder gegen den Vorwurf der Zaungäste, die lallenden Christen seien "voll des süßen Weins": Nein, nicht betrunken seien sie, sondern der Heilige Geist sei in sie gefahren.

Lesen Sie auf Seite 2, wie Martin Luther es mit dem "Saufteufel" hielt und was Margot Käßmann in Zukunft im Weinberg des Herren tun wird.

Im Video: Nach dem Rücktritt der EKD-Ratsvorsitzenden Käßmann gibt es gemischte Reaktionen auf die Entscheidung der Bischöfin.

Weitere Videos finden Sie hier

Zugleich aber wird das Evangelium inmitten einer Weinkultur verkündet. Das Abendmahl ist ein Trinkritual, das den Kirchenvätern der Spätantike einige Erklärungskunst abverlangte, wenn sie gegen die Besäufnisse der Heiden als Ausdruck spätrömischer Dekadenz wettern wollten.

Jesus ärgert sich am Vorabend der Kreuzigung im Garten Gethsemane über die schlafenden Jünger, die vom letzten Abendmahl kommen und vom Wein schläfrig sind; doch es ist auch der Heiland selbst, der das Gleichnis vom Weinberg erzählt und sich bei der Hochzeit von Kana als wundersamer Weinproduzent betätigt. Allerdings war das eine Hochzeit, und von einer Hochzeitsparty fährt man ja vernünftigerweise auch nicht mit dem Auto nach Hause ...

"Gestraft mit diesem Saufteufel"

Während nun der Katholizismus seine spezielle Doppelmoral mit seinen bierbrauenden Mönchen entwickelte, hat der Protestantismus sein eigenes schwankendes Verhältnis zum Thema.

Martin Luther hat in einer Predigt über den 1. Petrusbrief in drastischen Worten das "Säuleben" seiner Landsleute gegeißelt: So sei "Deutschland ein arm gestraft und geplagtes Land mit diesem Saufteufel, und gar ersäuft in diesem Laster, dass es sein Leib und Leben und dazu Gut und Ehre schändlich verzehret".

Absolute Enthaltsamkeit predigte (und lebte) Luther aber keineswegs; was formelhaft unter dem Etikett "nüchterner Protestantismus" läuft, bezieht sich auf eine Demutshaltung und die Innerlichkeit des Gewissens, verdankt sich aber hinsichtlich des Alkohols eher den calvinistischen und puritanischen Verschärfungen des Protestantismus.

Die reformerischen Erweckungsbewegungen seit dem 18. Jahrhundert gingen immer auch mit Abstinenzbewegungen einher, im protestantischen Norden Europas und von dort mächtig ausstrahlend nach Amerika. Dieser fromme Antialkoholismus, der auch die Arbeiterbewegung erfasste, hat bis heute Spuren in der Gesetzgebung hinterlassen.

Mit solcher Null-Toleranz-Politik aber hat der Protestantismus auch das vom Saufteufel gestellte Versuchungsproblem radikalisiert - und so der Geschichte und Literaturgeschichte den versoffenen Pastor des Nordens geschenkt. Immer wieder taucht diese Figur auf, das schönste literarische Denkmal indes hat ihr wohl Selma Lagerlöf mit ihrem 1891 erschienenen Erstlingsroman "Gösta Berling" gesetzt.

Inspiration den Weines

Der Pastor des Titels "hatte sich derartig dem Trunk ergeben, dass er mehrere Wochen hindurch sein Amt nicht mehr hatte versehen können", und so wird er im ersten Kapitel des Romans seines Amtes im hohen Norden Schwedens enthoben, worauf er sich auf eine vagabundierene Sinn- und Liebessuche begibt (1924 verfilmt mit Greta Garbo).

Während seines letzten Gottesdienstes denkt sich dieser Gösta Berling: "Freilich hatte er getrunken, aber wer hatte ein Recht, ihn deswegen anzuklagen? (...) Seiner Meinung nach war er gerade so ein Pfarrer gewesen, wie sie ihn verdienten. Sie tranken ja alle. Weswegen sollte er der einzige sein, der sich Zwang antat?

Der Mann, der seine Gattin begraben hatte, betrank sich beim Leichenschmaus; der Vater, der sein Kind zur Taufe gebracht hatte, hielt hinterher ein Saufgelage. Die Gemeinde trank auf dem Heimweg von der Kirche, so dass die meisten berauscht waren, wenn sie zu Hause anlangten. Für die war ein versoffener Pfarrer gut genug."

Der Bischof, der Gösta Berling in Lagerlöfs Roman trotzdem wegen seines Trinkens entließ, sah das anders. Und auch für Margot Käßmann war die Kraft des Anspruchs, dass die geistliche Inspiration des Glaubens in einem prominenten Kirchenamt nicht von der fleischlichen Inspiration des Weines ersetzt werden darf, zu stark, zumal sie mit der Gefährdung anderer verbunden war. Nun wird sie an weniger verantwortlicher Stelle im Weinberg des Herrn arbeiten müssen.

© SZ vom 25.02.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: