Bundespräsident und die Kreditaffäre:Wulffs Wahrheits-Wurstelei

Christian Wulff räumt in der Affäre um seinen umstrittenen Privatkredit immer nur so viel ein, wie er nicht mehr leugnen kann. Das hat System - bringt den Bundespräsidenten aber immer mehr in Schwierigkeiten. Eine Rekonstruktion.

Oliver Das Gupta

"Ehrlichkeit kann weh tun", sagte Christian Wulff fast auf den Tag genau vor sechs Jahren in einem Interview mit der Augsburger Allgemeinen. Eigentlich ging es um Einschnitte bei der Rente, aber der damalige niedersächsische Ministerpräsident hielt diese Feststellung bewusst allgemein: "Ehrlichkeit kann weh tun."

Bundespräsident Christian Wulff Bettina Kreditaffäre

Unter Druck: Bundespräsident Christian Wulff, hier mit seiner Frau Bettina vor dem Schloss Bellevue in Berlin.

(Foto: dpa)

Womöglich ist es Wulffs persönlicher Schmerzempfindlichkeit geschuldet, dass er vier Jahre später im Niedersächsischen Landtag haarscharf an der Wahrheit vorbei antwortete, als er nach seinen Geschäftsbeziehungen zum Unternehmer Egon Geerkens befragt wurde. Nun ist der heutige Bundespräsident zur Ehrlichkeit gezwungen - und es dürfte ihm so weh tun wie kaum etwas in seiner bisherigen politischen Karriere.

Dass der Grad des Schmerzes inzwischen sehr hoch ist, liegt am Weg zur Wahrheit, für den sich Wulff entschieden hat: Lange konnte er voraussehen, dass der Tag kommt, an dem die Causa öffentlich diskutiert wird. Und trotzdem hat er das getan, was Politiker immer wieder tun: Ignorieren, beschönigen, scheibchenweise einräumen, was nicht länger zu dementieren ist. Und dann: Aussitzen. Manchmal klappt das. Manchmal nicht.

Im Fall des Bundespräsidenten verblüfft die Salamitaktik in besonderem Maße: Wulff hätte schon als Ministerpräsident 2010 reinen Tisch machen können. Das wäre vielleicht schmerzlich gewesen - aber mit absehbarem Ende.

Stattdessen wollte Wulff gänzlich schmerzfrei bleiben. Auf eine Art und Weise, die man getrost Vertuschung nennen darf. Die Diskussion um einen Kredit wurde erst durch Wulffs Wahrheits-Wurstelei zu einer Affäre - und durch die Hartnäckigkeit von Journalisten:

[] Dezember 2009: Ministerpräsident Wulff fliegt mit Familie über Weihnachten in der Business-Class eines Air-Berlin-Flugzeuges - für den Preis der Economy-Class. Er kennt Airline-Chef Joachim Hunold persönlich, der Manager segnet das kostenlose Upgrading ab. Wulffs Reiseziel: Florida. Genauer: die Villa der Eheleute Geerkens. Wulffs Sonderkonditionen bei Air Berlin werden bekannt. Er räumt Fehler ein, zahlt das Geld, das er gespart hatte, nach. Mehr als 3000 Euro.

[] Februar 2010: Im Niedersächsischen Landtag fragen die Grünen den Landesvater, ob er geschäftliche Beziehungen zum Unternehmer Geerkens pflege. Wulffs Antwort: Nein. Den Kredit über eine halbe Million Euro, der über Geerkens Frau Edith läuft, verschweigt Wulff. Wenig später nimmt er einen Kredit bei der BW-Bank auf und zahlt damit das Darlehen bei Geerkens zurück. Heute beteuert Wulff, er habe schon im Dezember 2009 mit der BW-Bank gesprochen.

[] Dezember 2010: In Niedersachsen raunt man, Wulff habe sein Eigenheim in Großburgwedel zu besonders günstigen Konditionen von einem befreundeten Unternehmer erworben. Der Spiegel reagiert auf das Gerücht und beantragt beim Amtsgericht Burgwedel Einsicht ins Grundbuch - doch die Behörde sperrt sich. Das Magazin beschwert sich beim Oberlandesgericht Celle, schließlich gibt es ein entsprechendes Verfassungsgerichtsurteil, welches Journalisten unter Umständen das Recht auf Grundbucheinsicht einräumt.

Krisenmanagement aus dem Orient

[] Januar 2011: Das Oberlandesgericht Celle kassiert den Burgwedeler Beschluss teilweise - das Magazin erhält allerdings nur wenige Zeilen aus dem Grundbuch. Angaben zum Verkäufer des Hauses und zum Verkaufspreis werden zurückgehalten. Begründung: "Privatsphäre der betroffenen Eigentümer". Der Spiegel beschwert sich nun beim Bundesgerichtshof (BGH).

Wohnhaus der Familie Wulff

Wulffs Haus in Großburgwedel: Das Darlehen, das der Bundespräsident bekam, ist äußerst selten.

(Foto: dpa)

[] August 2011: Der BGH weist das Grundbuchamt Wedel an, dem Magazin Einsicht zu gestatten. Wulff ist inzwischen Bundespräsident.

[] Oktober 2011: Spiegel-Redakteure können das Grundbuch studieren. Nun ist klar: Wulff hat die Immobilie nicht von einem befreundeten Unternehmer gekauft, das Gerücht war falsch. Doch durch das juristische Gefecht um die Grundbucheinsicht ist die Bild-Zeitung auf die Causa aufmerksam geworden. Das Boulevardblatt will nun von Wulff wissen, wer den Kauf finanziert hat.

[] 12. Dezember 2011: Kurz vor Mitternacht sickert durch, was Bild am nächsten Tag berichten wird: Wulff habe sich eine halbe Million Euro von Edith Geerkens geliehen, um den Kauf seines Hauses zu finanzieren. Wulff überrascht der Bericht im Ausland. Er befindet sich mit Ehefrau Bettina auf einer Reise durch die Golfstaaten Die sonnigen Fotomotive der Reise verschwinden bald aus den Medien - Wulff und seine Mitarbeiter müssen im Orient Krisenmanagement leisten.

[] 13. Dezember 2011: Das Bundespräsidialamt bestätigt, dass sich Wulff 500.000 Euro von der Unternehmersgattin geliehen hatte, widerspricht aber dem Vorwurf, er habe die Unwahrheit gesagt: Die Anfrage vom Januar 2010 über mögliche Geschäftsbeziehungen zu Egon Geerkens habe Wulff "korrekt beantwortet", beteuert Sprecher Olaf Glaeseker. "Es bestand eine Vereinbarung mit Frau Edith Geerkens zu einem Darlehen aus ihrem Privatvermögen." Die Opposition im Bundestag fordert von Wulff volle Aufklärung. Doch der Präsident ist noch im arabischen Raum unterwegs. Dafür lässt sich Egon Geerkens von Journalisten befragen und nimmt Wulff in Schutz: Wulffs Darlehen stamme von seiner Frau, beteuert er in der Süddeutschen Zeitung.

[] 14. Dezember 2011: Die CDU-Vorsitzende Angela Merkel steht hinter ihrem langjährigen Parteifreund Wulff - lässt sie über den Regierungssprecher ausrichten: "Die Bundeskanzlerin hat volles Vertrauen in die Person und in die Amtsführung von Christian Wulff", sagt Steffen Seibert. Die Stellungnahme wird als Wink an Wulff gewertet, selbst aktiv zu werden - und die Sache aus der Welt zu schaffen. Mehr kann die Kanzlerin für ihn gerade nicht tun, sie drücken andere Sorgen. Die Grünen wollen, dass der Ältestenrat des Landtages in Hannover einen möglichen Verstoß gegen das Minister-Gesetz prüft.

[] 15. Dezember 2011: Wulff ist wieder in Berlin. Nun erklärt sich der Präsident schriftlich zu seiner umstrittenen Aussage vor dem Niedersächsischen Landtag - und übt sich in Demut: "Ich erkenne an, dass hier ein falscher Eindruck entstehen konnte. Ich bedauere das." Er habe bei der Beantwortung der parlamentarischen Anfrage keine Veranlassung gesehen, den privaten Darlehensvertrag mit Geerkens Frau zu erwähnen. "Es wäre besser gewesen, wenn ich auf die Anfrage der niedersächsischen Abgeordneten im Landtag über die konkreten Fragen hinaus auch diesen privaten Vertrag mit Frau Geerkens erwähnt hätte, denn in der Sache hatte und habe ich nichts zu verbergen", versichert das Staatsoberhaupt. Wulff will nun Transparenz demonstrieren: Als Privatperson beauftragt er eine Anwaltskanzlei, für Journalisten die Einsicht in Unterlagen seines Kreditvertrags zu organisieren.

[] 16. Dezember 2011: Die Affäre ist für Wulff alles andere als ausgestanden. Spiegel-Journalisten reden drei Mal mit Egon Geerkens für ihre nächste Titelgeschichte. Der Stoff ist so brisant, dass das Magazin ihn schon am Freitag publiziert. Denn Unternehmer Geerkens ist redefreudig. Seine Aussagen legen den Verdacht nahe, dass das Darlehen für Wulff doch nicht von seiner Frau stammt, sondern von ihm: Er selbst habe mit dem Politiker verhandelt und habe auch überlegt, "wie das Geschäft abgewickelt werden könnte", zitiert ihn das Magazin. Es folgen weitere, eindeutige Äußerungen, die die Darstellung Wulffs entscheidend in Frage stellen: Das Darlehen sei über ein Konto seiner Frau gezahlt worden, für das er aber eine Vollmacht habe, erklärt Geerkens weiter. Für den Kredit sei ein anonymer Bundesbankscheck an Wulff übermittelt worden. Die Geheimnistuerei begründet Geerkens so: "Wir sind beide bekannt in Osnabrück. Und ich wollte nicht, dass irgendein Bank-Azubi sieht, dass so viel Geld von mir an Wulff fließt." Eilig lässt der Präsident widersprechen: Wulff bleibe dabei, das Geld kam von Edith Geerkens, insistiert sein Anwalt.

Der Worst Case wird durchgespielt

Ernennungsurkunden an Richter des Bundesverfassungsgerichts durch Wulff

Christian Wulff wollte die Affäre schmerzfrei durchstehen. Das ist ihm nicht gelungen.

(Foto: dapd)

[] 17. Dezember 2011: Journalisten registrieren, dass außergewöhnlich wenige Politiker aus dem schwarz-gelben Lager dem Präsidenten öffentlich zur Seite springen. Oppositionsvertreter erhöhen öffentlich den Druck auf Wulff, im Regierungslager spricht man hinter vorgehaltener Hand von "Instinktlosigkeit" und spielt mit Schaudern den Worst Case durch. Der FDP-Abgeordnete Erwin Lotter fordert Wulff zum Rücktritt auf, das sei "ein Gebot des Anstands und der Verantwortung". Der Staatsrechtler Hans Herbert von Arnim diagnostiziert gar einen Rechtsbruch. Wulff habe gegen das niedersächsische Ministergesetz verstoßen, sagt von Arnim der Welt. Denn das Gesetz und der dazugehörige Erlass verbiete die Annahme von verbilligten Krediten. "Ein Bezug zum Amt", so von Arnim, "ist bei dem Darlehen von Frau Geerkens aus meiner Sicht gegeben." Außerdem habe Wulff den Unternehmer Geerkes dreimal auf Reisen mitgenommen. Der Unternehmer habe zwar selbst gezahlt, aber für den Juristen liegt die Begünstigung trotzdem auf der Hand: Denn nach "objektiven Kriterien" habe Geerkens nicht in diese Delegationen gepasst. Wulff selbst spult derweil sein Weihnachtsprogramm ab - und äußerst sich in gewundenen Sätzen zu seiner Kreditaffäre: "Man muss selber wissen, was man macht", sagt Wulff etwa in Wittenberg nach der Aufzeichnung einer ZDF-Weihnachtssendung. Er könne sich weiter wunderbar mit den Bürgern unterhalten. "Das ist eigentlich das Wichtige, das Wesentliche, dass man die Dinge bewertet (...) und dann auch unterscheidet, wo ist etwas real und wo ist etwas mit sehr viel Staub aufwirbeln verbunden", sagt Wulff.

[] 18. Dezember 2011: Wulff geht in die Offensive - via Bild-Zeitung. Das Massenblatt hatte die Affäre ins Rollen gebracht, nun darf es vorab melden, bei welchen Wirtschaftsgrößen Wulff sonst noch geurlaubt hat. Während seiner Amtszeit als niedersächsischer Ministerpräsident habe er insgesamt sechs Mal die Räumlichkeiten von befreundeten Unternehmern privat genutzt. Unter anderem sei die Familie Wulff 2003 und 2004 zwei Mal zu Gast bei der befreundeten Unternehmerfamilie Geerkens in Spanien gewesen. 2008 habe das Ehepaar Wulff dann die Flitterwochen auf dem italienischen Anwesen des Unternehmers Wolf-Dieter Baumgartl verbracht, der seit 2006 Aufsichtsratschef der Talanx-Versicherungsgruppe ist, schreibt die Zeitung. Der FDP-Bundestagsabgeordnete Patrick Kurth zweifelt an Wulffs Eignung für das Amt des Bundespräsidenten und hält "persönliche Konsequenzen" für denkbar. Wulff selbst zeigt, dass er nicht gedenkt, vorzeitig aus seinem Amt zu scheiden: Als er die Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche nach einem Festgottesdienst verlässt, ruft ihm ein Passant zu, er solle nicht zurücktreten. Wulff antwortet: "Nein, das machen wir nicht."

[] 19. Dezember 2011: Am Wochenende werde es "kritisch genug" hatte Wulff vor Mitarbeitern gesagt, nun ist es überstanden. Inzwischen solidarisieren sich mehr und mehr Politiker von CDU, CSU und FDP mit dem Präsidenten. Bundeskanzlerin Angela Merkel bleibe bei ihrer Unterstützung für Wulff, versichert Vize- Regierungssprecher Georg Streiter: "Der Bundespräsident tut erkennbar alles, um die an ihn herangetragenen Fragen zu beantworten." Das reiche nicht, sagt Grünen-Geschäftsführerin Steffi Lemke. Und SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles wirft Bundespräsident Christian Wulff ein "merkwürdiges Amtsverständnis" vor. Es könne nicht sein, dass sich Wulff nur durch seine Anwälte zu der Kredit-Affäre äußere, sagte Nahles. "Ich denke, die deutsche Öffentlichkeit hat ein bisschen mehr als eine Weihnachtsansprache verdient."

Dass die Affäre damit abgeschlossen ist, hofft der Präsident und mit ihm das schwarz-gelbe Regierungslager. Nur "nicht noch so ein Ding", heißt es hinter vorgehaltener Hand. Bleibt es dabei, dürfte Christian Wulff den Fall Geerkens im Amt überstehen, wenn auch ramponiert. Vielleicht kann man in Wulffs Umgang mit dem Fall "kein juristisches Fehlverhalten erkennen", wie es Unionsfraktionsgeschäftsführer Peter Altmaier gebetsmühlenartig wiederholt. Aber die Frage ist, wie glaubwürdig ein Präsident ist, der erst dann die volle Wahrheit sagt, wenn er durch die Presse dazu genötigt wird.

"Ehrlichkeit kann weh tun", hatte Christian Wulff in dem Interview vor sechs Jahren gesagt, nun schmerzt sie besonders. Er wurde damals auch dazu befragt, was er von der Mitnahmementalität seines niedersächsischen Amtsvorgängers Gerhard Schröder hält. Der Privatmann Schröder engagierte sich nach seiner Kanzlerschaft bekanntlich für eine Tochter von Gazprom, die den Bau der Ostsee-Pipeline übernahm - ein Projekt, das der Politiker Schröder angeschoben hatte.

Wulff sagte: "Moral lässt sich nur begrenzt verordnen". Wo Wulff recht hat, hat er recht.

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