Brexit:Diese Bewegungen bedrohen die EU

Lesezeit: 3 min

Die Chefin des Front National, Marine Le Pen, und der niederländische Rechtspopulist Geert Wilders wollen über den EU-Austritt abstimmen lassen. (Foto: dpa)
  • Die EU-Kritiker wittern im britischen Referendum eine Chance für eigene nationale Forderungen.
  • Auch viele Niederländer sind unzufrieden mit der Europäischen Union - austreten wollen aber die wenigsten.
  • EU-kritische Kräfte im dänischen Parlament spekulieren auf ein neues britisches Modell, das dann im eigenen Land übernommen werden könnte.
  • Osteuropa bleibt weiter auf Distanz zu Brüssel.

Von Silke Bigalke und Thomas Kirchner

Die Briten gehen, und wenn es schlecht läuft für die Union der Europäer, werden sie nicht die einzigen bleiben. Auch in vielen anderen Ländern hat die Unzufriedenheit mit dem, was in Brüssel geschieht, ein beachtliches Maß erreicht. Die EU-Kritiker sind stark und mächtig geworden, und sie nutzen die Dynamik des britischen Referendums, um nun ähnliches für sich zu fordern.

Die direkte Demokratie ist das perfekte Instrument für sie, denn mit ihrer Hilfe lässt sich ohne allzu großen Aufwand viel Sand ins europäische Getriebe streuen. Dabei kann, muss es aber nicht um weitere Austritte gehen. Möglich wäre auch, bestimmte Vorhaben oder Politikbereiche zu blockieren. Die sich abzeichnende Bewegung könnte zu einer echten Bedrohung für die EU werden, gefährlicher als Euro- oder Flüchtlingskrise. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker warnte unlängst, ein Austritt Großbritanniens könnte anderswo "Lust auf mehr" machen.

Reportage
:"Die haben mir meine Zukunft geklaut"

Martin ist 25 und würde am liebsten jeden Alten schütteln, der für den Brexit gestimmt hat. Jon, 76, hält dagegen: Der Brexit bedeutet Zukunft für die Jungen.

Von Thorsten Denkler

Niederlande

Geert Wilders war der erste, der am Freitagmorgen eben diese Botschaft aussandte. "Bye bye EU", twitterte der Rechtspopulist, "jetzt sind wir dran. Zeit für ein Referendum in den Niederlanden." Wäre er Regierungschef, würde er sich für eine baldige Abstimmung über einen "Nexit" einsetzen. Dazu müsste allerdings die Verfassung geändert werden. Derzeit sind nur "ratgebende" Referenden möglich, die sich auf ein konkretes Gesetz beziehen. Premierminister Mark Rutte lehnte Wilders' Forderung sofort ab. "Ich glaube nicht, dass an einem Referendum großes Interesse besteht", sagte er. Damit liegt er falsch, laut einer Umfrage befürwortet eine Mehrheit der Bürger einen derartigen Schritt.

In den vergangenen Monaten ist klar geworden, wie unzufrieden die Niederländer - Seefahrer und Freihändler wie die Briten - mit Europa sind, wie viele Brexit-Argumente sie teilen. Zum Ausdruck war dieses Gefühl schon 2005 in der Abstimmung über die EU-Verfassung gekommen, und zuletzt mit Macht im März beim Referendum über das Assoziierungsabkommen zwischen der EU und der Ukraine. Die 61 Prozent, die Nein stimmten, wussten, dass sie in Wahrheit ihre Antipathie zum europäischen Projekt bekundeten. Die damaligen Organisatoren, unter anderem das Burgercomité-EU des Publizisten Thierry Baudet, arbeiten schon an Volksabstimmungen zum Thema Euro oder TTIP.

Austreten aus der EU wollen laut Umfragen die wenigsten. Ökonomisch wäre das unsinnig, und im niederländischen Parlament fordert das allein die Fraktion von Wilders. Aber kaum einer mag Europa so (groß) lassen, wie es ist. Was sich in Brüssel ändern sollte, fasste kürzlich Adriaan Schout vom renommierten Clingendael-Institut in der Zeitung Volkskrant zusammen und drückte vermutlich eine Mehrheitsmeinung auch der politischen Elite aus: die EU-Kommission verkleinern und entpolitisieren, das Budget senken, EU-Hilfen kürzen und die Zusammenarbeit auf Bereiche wie Freihandel und Sicherheit beschränken. Das ist nicht die EU, von der man in Berlin oder Paris träumt.

Frankreich

Ins gleiche Horn wie Wilders, mit dem sie eng zusammenarbeitet, stieß Marine Le Pen. Die französische Rechtspopulistin fordert seit Jahren ein Austrittsreferendum in ihrem Land. Möglich wäre dies nur mit Zustimmung des Staatspräsidenten. Falls Le Pen dieses Amt 2017 erobert, was nicht ganz auszuschließen ist, wäre der Weg frei für ein Frexit-Votum.

Dänemark

Dänemark ist Großbritannien als EU-Mitglied am ähnlichsten, hat sich Ausnahmen von den EU-Verträgen ausgehandelt und in drei Referenden gegen mehr Integration gestimmt. Ein Brexit, so die Sorge, könnte Dänemark in Europa isolieren und den Europaskeptikern ein Hebel für den Austritt sein. "Liebe Briten, bitte bleibt", hatte die Tageszeitung Berlingske getitelt. "Als Nation verstehen wir in Dänemark eure Skepsis gegenüber der EU, vielleicht besser als jedes andere Land."

Der liberale Ministerpräsident Lars Løkke Rasmussen bedauerte am Freitag den Brexit und steuerte vorsorglich einer Danexit-Debatte entgegen: "Das britische Abstimmungsergebnis ändert nichts daran, dass Dänemark in der EU zu Hause ist. Die EU ist Dänemarks beste Möglichkeit, die Welt, der wir nun einmal angehören, zu beeinflussen." Oberste Priorität müsse es nun haben, "die dänischen Interessen zu verteidigen". Die EU-kritische Dänische Volkspartei, zweitstärkste Kraft im Parlament, möchte aus dem Brexit Kapital schlagen. Sie geht davon aus, dass für Großbritanniens Beziehungen zur EU ein Modell gefunden wird, das auch Dänemark übernehmen könnte. "Ich bin sicher, dass dies richtig sein kann, richtig gut für beide, Großbritannien und Dänemark", sagte Morten Messerschmidt, der für die Dänische Volkspartei im EU-Parlament sitzt. Der Brexit sei eine "fantastische Möglichkeit" für Dänemark.

Osteuropa

In Osteuropa wird es bei der Distanz bleiben, die einige Regierungen zu "Brüssel" halten. Mit einem "In/Out"-Referendum ist aber selbst im besonders EU-kritischen Tschechien nicht zu rechnen. Auch wenn die Tschechen nun über einen "Czexit" diskutieren werden: Wirtschaftlich können sie sich diesen Schritt so wenig leisten wie Polen, Slowaken, Balten oder Ungarn. Die Partei von Ministerpräsident Viktor Orbán setzt darauf, die EU "von innen" ändern zu können, und nicht einmal die ungarische Rechtsaußen-Partei Jobbik hat den Austritt aus der Union noch im Programm.

© SZ vom 25.06.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite

Brexit-FAQ
:Was sich jetzt alle zum Brexit fragen

Wer hat für den EU-Austritt gestimmt und wer dagegen? Und was wird aus Irland? Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Brexit.

Von Esther Widmann

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: