Schweiz:"Unvorstellbar"

Ein prominenter Schweizer Bischof zeigt einen Priester wegen sexueller Belästigung an - und ein Dorf ist in Aufruhr

Von Charlotte Theile, Zürich

Wann immer die Rede vom Bischof von Chur ist, kann man sich sicher sein: Es gibt Ärger. Der Schweizer Vitus Huonder steht für eine extrem konservative Auslegung der katholischen Lehre - und gerät regelmäßig in Streit mit Menschen, die sich über seine Kreuzzüge gegen Abtreibung, homosexuelle Menschen oder Priesterinnen ärgern. In dieser Woche allerdings drang eine ungewöhnliche Meldung aus dem Bistum: Vitus Huonder hatte einen Priester wegen einer "mutmaßlich strafbaren Handlung gegen die sexuelle Integrität einer erwachsenen Person" angezeigt. Die kleine Gemeinde im Bündner Bergdörfchen Sedrun, in dem der Beschuldigte seit gut einem Jahr predigt, bemerkte erst einmal nur: Der Pfarrer ist weg. An Pfingsten ließ er sich vertreten. Erst Mitte der Woche erfuhren die Gläubigen, dass ihr Priester in Untersuchungshaft sitzt. Seither fragen sich die 1400 Einwohner des abgelegenen Dörfchens, was um Himmels willen passiert sein könnte. Der aus Nigeria stammende Prediger hatte einen derart unauffälligen Eindruck gemacht, dass viele nun vermuten: Der mutmaßliche "Vorfall" stamme aus einer anderen Zeit, vielleicht aus Ostwestfalen, wo der Theologe zuvor gewirkt hatte. Im Ort habe man nichts gehört, nicht mal ein Gerücht. "Und glauben Sie mir, hier verbreitet sich so etwas schnell", sagt eine Kirchgängerin.

Ein Priester aus Nigeria ist in dem Bergdorf keine große Sache. Gerade für die kleinen Gemeinden sei es schwierig, Theologen zu finden, berichtet der Präsident der Pfarrei, Arthur Caduff. Ausländische Gemeindevorsteher seien im Bündner Land inzwischen eher die Regel als die Ausnahme. Wenn es etwas gegeben habe, was auffällig am Pfarrer in Sedrun gewesen sei, dann wohl dessen konservative, oft komplizierte Predigten.

Beim Bistum bemüht man sich derweil um Schadensbegrenzung. Sprecher Guiseppe Gracia sieht in der Anzeige schlicht einen regelkonformen Vorgang. In den Richtlinien der Schweizer Bischofskonferenz zum Umgang mit "sexuellen Übergriffen im kirchlichen Umfeld" sei klar festgelegt, dass "ein weltliches Strafverfahren" angestrebt werden müsse. Daran habe sich Vitus Huonder gehalten - übrigens nicht zum ersten Mal. In den letzten sieben Jahren hatte der Bischof zweimal Strafanzeige gegen Kirchenleute gestellt. Dass es nun bei diesem Priester zu einem solchen Vorfall komme, sei überraschend. In Paderborn, wo der Theologe in einem konservativen Gebetskreis gewirkt hatte, habe man den Mann empfohlen, so Gracia. Zudem habe eine "Unbedenklichkeitserklärung" seines Heimatbischofs und ein Führungszeugnis aus Deutschland vorgelegen.

In der Boulevardzeitung Blick klagt unterdessen eine "enge Vertraute", die den Priester aus Deutschland kennt: "Jemand möchte (...) seinen Ruf zerstören. Für mich ist es unvorstellbar, dass er jemand sexuell belästigt haben soll." Andererseits: Dass Freunde und Familie solche Vorwürfe für abwegig halten, ist üblich.

Die Justiz in Graubünden nimmt die Anschuldigungen ernst. Sie hat den Priester für drei Monate in Untersuchungshaft genommen. Zudem stellen die Ermittler in Chur klar: Die Vorwürfe gegen den Geistlichen beziehen sich auf seine Zeit in den Bündner Bergen.

Auf die Gemeinde Sedrun dürfte ein Sturm zukommen.

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