Prozess gegen "Autobahn-Schützen":Rasende Wut

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Einschussloch: In einer Autotür fanden Polizisten ein Projektil des Kalibers 22. Was brachte den Schützen dazu, wahllos auf Fahrzeuge zu feuern? (Foto: Fredrik Von Erichsen/dpa)

Es ist eine beispiellose Attentatserie, über die von Montag an in Würzburg vor Gericht verhandelt wird. Mehr als 700 Mal soll ein LKW-Fahrer auf deutschen Autobahnen andere Fahrzeuge beschossen haben - sein Motiv: Ärger über rücksichtslose Fahrer.

Von Hans Holzhaider, Würzburg

Der Albtraum aller Autofahrer: ein Amokschütze auf der Autobahn. Fünf Jahre lang machte ein Phantom die deutschen Fernstraßen unsicher. Besonders auf Autotransporter hatte es der Unbekannte abgesehen. Meistens bemerkten die Fahrer den Schaden erst am Zielort oder bei einer Pause an einer Autobahnraststätte: Einschusslöcher an den auf dem Anhänger transportierten Neufahrzeugen - Sachschäden in Höhe von einigen Hundert bis mehreren Tausend Euro.

Aber zweimal hätte es beinahe Tote gegeben. Am 10. November 2009 war eine Autofahrerin mit ihrem Pkw auf der A 3 bei Würzburg unterwegs, als ein Geschoss in die Frontscheibe ihres Fahrzeugs einschlug. Das Projektil zersplitterte, einzelne Geschosssplitter trafen die Fahrerin in den Hals. Drei Monate später entkamen zwei Insassen eines Kleintransporters nur knapp dem Tod. In der Nähe von Magdeburg durchschlug eine Kugel die Scheibe der Fahrertür und trat durch die Scheibe der Beifahrertür wieder aus. Die Scheiben barsten mit lautem Knall, Fahrer und Beifahrer wurden durch Glassplitter verletzt.

Von Montag an steht in Würzburg der Mann vor Gericht, der für diese beispiellose Serie von Attentaten verantwortlich sein soll: Michael K., 58, von Beruf Kraftfahrer. Er soll zwischen 2008 und 2013 mehr als 700 Mal aus dem fahrenden Lkw heraus auf andere Fahrzeuge geschossen haben, zunächst mit einer selbstgebauten Kleinkaliberwaffe, später mit einer russischen Armeepistole vom Kaliber neun Millimeter.

Ein Racheakt

Sein Motiv: Wut über die rücksichtslose Fahrweise anderer Autofahrer. Weil er selbst ein paar Mal einen Reifenschaden durch herumliegende Nägel hatte, hatte sich Michael K. auch noch eine weitere Vergeltungsmaßnahme ausgedacht. Aus Stahlbändern, die zum Festzurren von Blechrollen beim Lkw-Transport verwendet werden, fertigte er in mühsamer Handarbeit Nagelplättchen, die er auf den Straßen in der Umgebung seines Wohnorts in der Eifel ausstreute.

So einzigartig wie die Taten, die dem Fernfahrer zur Last gelegt werden, war auch die Fahndung nach dem unheimlichen Schützen. Weil der Täter an ganz unterschiedlichen Orten quer durch Deutschland und sogar im benachbarten Ausland zuschlug, übernahm 2012 das Bundeskriminalamt die Ermittlungen. Die Kriminalbeamten fuhren sogar mit einem speziell präparierten Lkw die am meisten betroffenen Strecken ab, aber sie gerieten nie ins Visier des Autobahnschützen. Schließlich installierten sie an sieben Autobahnabschnitten Lesegeräte, mit denen die Kennzeichen der vorbeifahrenden Fahrzeuge erfasst wurden.

Als im April 2013 innerhalb von fünf Tagen sechs Schüsse gemeldet wurden, konnten die Ermittler aus der Masse der erfassten Kennzeichen ein Fahrzeug ermitteln, das im fraglichen Zeitraum an sämtlichen Tatorten vorbeigekommen war. Bei einer Durchsuchung in der Wohnung des Fahrers fanden sie die Tatwaffen und mehrere Hundert Schuss Munition. Kurz nach seiner Festnahme gestand Michael K., dass er der Schütze sei. Auslöser seines Rachefeldzugs sei ein Vorfall gewesen, bei dem ein Autotransporter sein Fahrzeug fast von der Straße abgedrängt habe.

Michael K. galt als besonders zuverlässiger Fahrer

Michael K. stammt aus der ehemaligen DDR, wo er der Anklage zufolge auch schon als Kraftfahrer tätig war. Angeblich wurde er dort wegen Autodiebstahls zu einer Haftstrafe verurteilt, kam jedoch durch eine Amnestie frei und floh über Ungarn in die Bundesrepublik. Er fand eine Anstellung bei einer Spedition in Nordrhein-Westfalen; bei seinem Arbeitgeber galt er als besonders zuverlässiger Fahrer.

Die Schüsse gab Michael K. den Ermittlungen zufolge aus dem fahrenden Lkw heraus ab. Seine Ziele waren entweder Fahrzeuge im Gegenverkehr oder überholende Fahrzeuge. Er habe "mehr oder weniger freihändig" und ohne genaues Anvisieren aus dem Fenster auf der Fahrerseite geschossen, heißt es in der Anklage. Er habe deshalb in Kauf genommen, dass er durch die verschiedensten Einflüsse - Fahrbahnschäden, Windböen, Lenkbewegungen - keine wirkliche Kontrolle über die von ihm abgegebenen Schüsse hatte. Auch die Kleinkalibergeschosse hatten genug Energie, um Karosseriebleche zu durchschlagen und Passagiere zu verletzen.

Insgesamt listet die Anklage 147 Fälle auf, die dem Angeklagten zugeordnet werden können. Die beiden Fälle, in denen die Geschosse in die Fahrerkabinen eindrangen und Menschen verletzt wurden, wertet die Staatsanwaltschaft als versuchten Mord. Auch in drei weiteren Fällen lautet der Tatvorwurf auf versuchten Mord, weil Michael K. aufgrund der besonders unübersichtlichen Verkehrssituation tödliche Verletzungen anderer Verkehrsteilnehmer in Kauf genommen habe. Für den Prozess vor dem Landgericht Würzburg sind neun Verhandlungstage angesetzt.

© SZ vom 09.08.2014 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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