Kolumbien:Airline gerät nach Flugzeugabsturz ins Visier der Ermittler

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  • Das Flugzeug, in dem die Spieler der Fußballmannschaft Chapecoense verunglückt sind, hatte zu wenig Sprit an Bord.
  • Bolivien entzieht der Airline nun die Lizenz.
  • Die Fluggesellschaft operierte zuletzt nur mit einem einzigen Flugzeug. Der Miteigentümer saß selbst im Cockpit.

Von Boris Herrmann und Jens Flottau

Señorita, Lamia 933 hat einen Totalausfall, einen Totalausfall der Elektronik, ohne Treibstoff." Das ist der Notruf, den der Pilot jenes Flugzeuges durchfunkte, das in der Nacht von Montag zu Dienstag in Kolumbien abstürzte. Unter den bisher 71 Toten ist fast die komplette Mannschaft des brasilianischen Erstligisten Chapecoense. Der Mitschnitt wurde von einem kolumbianischen Radiosender veröffentlicht. Demnach hatte der Pilot Miguel Quiroga wenige Augenblicke zuvor bereits "ein Problem mit dem Treibstoff" gemeldet, allerdings keinen Notfall. Nachdem die Señorita im Kontrollturm des Flughafens von Medellín den Piloten zunächst um sieben Minuten vertröstet hatte, weil ein anderes Flugzeug im Landeanflug war, gab sie auf dringende Bitte schließlich die Landebahn frei. Da war es wohl schon zu spät. Quirogas letzte Worte lauten: "Vectores, vectores, Señorita." Er bat damit um eine Navigation in Richtung der Landepiste. Dann brach der Kontakt ab. Auf die Frage aus dem Tower "Lamia 933, wie ist Ihre Position?" kam keine Antwort mehr.

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Es verdichten sich die Hinweise, dass dem Charterflieger der bolivianischen Gesellschaft Lamia schlichtweg das Kerosin ausgegangen ist. Das teilte die kolumbianische Luftfahrtbehörde mit. "Wir können bestätigen, dass die Maschine im Moment des Absturzes keinen Treibstoff mehr hatte", hieß es in der ersten offiziellen Stellungnahme zur Unglücksursache. Endgültigen Aufschluss könne aber nur die Auswertung der Flugschreiber bringen. Die These vom leeren Tank wird offenbar auch von der Aussage einer Stewardess untermauert, die den Absturz überlebt hat. Ein weiteres Indiz ist, dass es am Unglücksort keine Explosion gab. Abstürze wegen Treibstoffmangels sind in der Luftfahrt extrem selten. Der letzte bekannte Unfall, der darauf zurückzuführen ist und bei dem Passagiere ums Leben gekommen sind, hat sich im Jahr 2005 ereignet. Damals war eine ATR 72 der Regionalgesellschaft Tuninter bei Palermo abgestürzt, 16 Menschen starben. Die Lamia-Maschine vom Typ Avro RJ85 war für Kurzstrecken ausgelegt. Die Distanz zwischen Start- und Zielort lag knapp über dem Limit ihrer Reichweite. Vollgetankt kam sie unter normalen Bedingungen 2962 Kilometer weit. Von Santa Cruz nach Medellín sind es 2972 Kilometer.

Internationale Regularien sehen vor, dass jedes Flugzeug genügend Treibstoffreserven an Bord haben muss, um sich am Zielort mindestens 30 Minuten in Warteschleifen halten zu können. Dass auch die Notreserven angegriffen werden, kommt in der Luftfahrt sehr selten vor - vor allem dann, wenn etwa schlechtes Wetter Flugzeuge zu längeren Warteschleifen zwingt. "In diesem Fall hatte die Maschine leider nicht die erforderliche Menge dabei", teilte die kolumbianische Flugaufsicht mit.

Im Zentrum der Untersuchungen steht auch die Frage, ob das Flugzeug überhaupt vollgetankt gestartet war und weshalb der Pilot auf den geplanten Zwischenstopp im bolivianischen Cobija verzichtete. Lamia hat offenbar mindestens einmal zuvor die Strecke von Santa Cruz nach Medellín mit einer Avro geflogen, allerdings laut der Datenbank Aviation Safety Net mit einer Zwischenlandung. Einer der beiden Besitzer der Fluggesellschaft Lamia, Miguel Quiroga, kann dazu nicht mehr befragt werden - er war der Pilot der Absturzmaschine.

Lamia war im Jahr 2009 in Venezuela gegründet worden, hatte dort aber nie den Betrieb aufgenommen. 2015 wurde die Firma nach Bolivien verlegt. Sie operierte zuletzt nur mit einem einzigen Flugzeug, eben jenem, das nun in Kolumbien zerschellte. Zwei weitere werden seit Wochen in der bolivianischen Stadt Cochabamba gewartet.

Hat Brasiliens Fußballverband die dubiose Fluggesellschaft protegiert?

Eine Airline, die nur ein funktionierendes Flugzeug hat und deren Besitzer im Cockpit sitzt - wer vertraut sich der an? Offenbar ausschließlich Fußballmannschaften aus Südamerika. Die venezolanische sowie die argentinische Nationalelf nutzten zuletzt Lamia, die Klubs Blooming und The Strongest aus Bolivien, Olimpia aus Paraguay sowie Atlético Nacional aus Medellín, das Team, das vergeblich auf den Gegner Chapecoense wartete. Eine Ermittlungsspur dürfte auch zum südamerikanischen Fußballverband Conmebol führen, traditionell einer der korruptesten Arme der Fifa. Die Conmebol hat wohl zahlreichen Mannschaften den Dienst der zumindest dubiosen Fluggesellschaft "empfohlen", die Charterflüge seien deutlich unter dem üblichen Marktpreis angeboten worden.

Noch ist die Beweislage dünn, aber der Fall wirft zwei Fragen auf: Hat Lamia im Preiskampf an Sicherheit und Treibstoff gespart? Und: Gab es eine inoffizielle Geschäftsverbindung zwischen der Fluggesellschaft und dem Fußballverband? Die Conmebol teilte mit, sie habe mit den Flügen der Vereine nichts zu tun.

Die bolivianische Regierung jedenfalls reagierte am Donnerstag mit aller gebotenen Konsequenz: Die Spitze der nationalen Luftfahrtbehörde wurde entlassen und der Fluggesellschaft die Lizenz entzogen. Außerdem, hieß es auf einer Pressekonferenz, werde nun geprüft, warum Lamia überhaupt je eine Lizenz bekam.

© SZ vom 02.12.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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