Ihre Post:Ihre Post zum Flugzeugabsturz in Frankreich

Seit bekannt ist, dass der Copilot der abgestürzten Germanwings-Maschine wegen schwerer psychischer Probleme in Behandlung war, wird gefordert, die Schweigepflicht der Ärzte zu lockern. SZ-Leser sehen das kritisch.

Bedrohliche Berichterstattung

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(Foto: AP)

"Tödliche Geheimnisse" vom 30. März und "Die Angst fliegt mit" vom 28./29. März sowie weitere Artikel zum Germanwings-Absturz in Frankreich: Die vorschnelle Festlegung aufgrund akustischer Aufzeichnungen auf einen (erweiterten) Suizid als Grund für den Absturz erscheint aus psychologischer Sicht wenigstens gewagt: Auch ein akut halluzinatorisch-wahnhaftes Erleben, eine akute Intoxikation mit psychoaktiven Substanzen oder ein dissoziativer Zustand können zu unvorhersehbaren und potenziell gefährlichen Verhaltensweisen führen, ebenso wie zahlreiche weitere psychische Phänomene, die auch von Fachleuten nicht immer im Vorfeld zu erkennen sind und die mit den veröffentlichten Daten durchaus vereinbar wären. Die diskutierte Lockerung der ärztlichen Schweigepflicht ist vor diesem Hintergrund eine sinnlose und gefährliche Forderung: Bei akut anzunehmender Selbst- oder Fremdgefährdung ist diese ohnehin aufgehoben. Die Schwierigkeit besteht eher darin, dass niemand einem anderen "in den Kopf sehen" kann. Bei absichtlicher Dissimulation, also der absichtlichen Verheimlichung psychischer Symptome, hilft in den meisten Fällen auch keine neuropsychologische Diagnostik, so sehr wir uns dies auch wünschen mögen. Das Einzige, was helfen würde, wäre, Betroffenen die Angst zu nehmen, dass sie durch Offenheit "alles" verlieren könnten. Mit Blick auf Familie und Freunde des Copiloten wirkt die aktuelle Berichterstattung rücksichtslos und vorverurteilend. Auch in einem solchen Fall hat bis zum Beweis des Gegenteils die Unschuldsvermutung zu gelten, zumal bei psychischer Erkrankung auch die Frage nach der Schuld- und Einsichtsfähigkeit überhaupt zu stellen wäre. Für psychisch kranke Menschen ist diese Form der Berichterstattung bedrohlich. Wer würde in unserer leistungsorientierten Gesellschaft schon von sich aus professionelle Hilfe in Anspruch nehmen, wenn er sofort mit dem Verlust seines Arbeitsplatzes zu rechnen hätte? Schon jetzt wartet fast jeder Betroffene zu lange damit. Die größte Sicherheit würde eine Gesellschaft bieten, die auch und gerade mit den Schwächen, Verletzlichkeiten und Krisen, die jeden treffen können, einen annehmenden und respektvollen Umgang pflegte, und deren Mitglieder sich nicht scheuten, offen und ehrlich mit ihren Schwierigkeiten und Sorgen umzugehen - das wäre ein Ziel. Petra Meyer, Leitende Psychologin im Psychiatrischen Behandlungszentrum Bremen-Nord Leserbriefe sind in keinem Fall Meinungsäußerungen der Redaktion. Wir behalten uns vor, die Texte zu kürzen. Außerdem behalten wir uns vor, Leserbriefe auch hier in der Digitalen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung und bei Süddeutsche.de zu veröffentlichen. forum@sueddeutsche.de

Ruhig verhalten

Es ist nicht gut, zu viele Vermutungen zu streuen. Bei dem Absturz von Malaysia Air Flug MH 370 wurde auch Selbsttötungsabsicht vermutet. Bei Selbstmorden gibt es hinterher fast immer Nachahmer. Es sollte nichts bekannt gegeben werden, solange man nichts Genaueres weiß. Die Medien sollten sich ruhiger verhalten. Josef Fehle, Dasing Leserbriefe sind in keinem Fall Meinungsäußerungen der Redaktion. Wir behalten uns vor, die Texte zu kürzen. Außerdem behalten wir uns vor, Leserbriefe auch hier in der Digitalen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung und bei Süddeutsche.de zu veröffentlichen. forum@sueddeutsche.de

Sicherheit muss Vorrang haben

Wenn sich ein Pilot in einer solch verantwortungsvollen Position in psychischer Behandlung befindet, muss es seitens der Ärzteschaft verpflichtend sein, dass seinem Arbeitgeber Meldung beziehungsweise Information zugeht. Hier ist seitens des Gesetzgebers dringend ein Umdenken erforderlich. Es dürfen nicht der Datenschutz und die Schweigepflicht eines Einzelnen Vorrang haben, sondern die Unversehrtheit und der Schutz Hunderter Menschen. Walter Kern, Neufahrn Leserbriefe sind in keinem Fall Meinungsäußerungen der Redaktion. Wir behalten uns vor, die Texte zu kürzen. Außerdem behalten wir uns vor, Leserbriefe auch hier in der Digitalen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung und bei Süddeutsche.de zu veröffentlichen. forum@sueddeutsche.de

Manche wollen ein Fanal setzen

Es ist für einen Suizidalen sehr untypisch, andere mit in den Tod zu reißen. Die innere Dynamik der destruktiven Energie richtet sich zwar in der Vor- und Ambivalenzphase eines suizidalen Prozesses als Wut, Hass und Erbitterung auch gegen die, die einen Selbstmordgefährdeten in seiner Geschichte sehr verletzt und gekränkt haben, auch gegen Menschen in der Gegenwart, die derartige Verletzungen zu wiederholen scheinen. Die Betroffenen leiden unter ihrem Leben, das sie so nicht länger leben können, und sind verzweifelt, weil sie keinen besseren Weg finden können, ihr Leben zu leben. Aber in der Schlussphase eines Entschlusses zur Suizidhandlung, die wochenlang dauern und eine regelrechte Entspannung bewirken kann, richtet sich diese Energie gegen einen selbst und ist die Umwelt wie in einem Tunnel weitgehend ausgeblendet. Die Suizidhandlung selber kann im Sinne eines erweiterten Suizides dann auch nahe Angehörige - aus vermeintlicher Fürsorgepflicht - mitnehmen. Ein solcher Suizid liegt hier aber nicht vor. Eher geht es in Richtung Amoktat, obwohl auch das es nicht ganz trifft. So viele Menschen, die nichts mit dem eigenen Leid zu tun haben, umzubringen, das scheint eher aus Wut und/oder Rache geboren zu sein, ein Versuch, es anderen vermeintlich Schuldigen am Ende noch "zu zeigen", ein Fanal zu setzen. Dazu würde passen, dass der Copilot möglicherweise fürchten musste (falls entsprechende Hinweise stimmen), als fluguntauglich seinen Traumberuf verlieren zu müssen. Dabei hätte diese Tat dann paradoxerweise seine Fluguntauglichkeit gerade "bewiesen". Träfe das zu, wären alle Airlines gut beraten, die psychisch-emotionale Flugtauglichkeit zuverlässiger zu erfassen. Kollegenhinweise zu erbitten, taugt dazu nicht, da es jeden ja selbst mal treffen könnte und eine "Denunziationskultur" gemeinhin auch abgelehnt wird. Prof. Karin Rausch, Hannover Leserbriefe sind in keinem Fall Meinungsäußerungen der Redaktion. Wir behalten uns vor, die Texte zu kürzen. Außerdem behalten wir uns vor, Leserbriefe auch hier in der Digitalen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung und bei Süddeutsche.de zu veröffentlichen. forum@sueddeutsche.de

Automatische Krankmeldung

Wir sollten uns fragen, warum gibt ein kranker Mensch seine Krankmeldung nicht ab? Ist es überhaupt noch zeitgemäß, dass ein vom Arzt ausgestelltes Stück Papier mit Name und Anschrift zum Arbeitgeber getragen werden muss? Wie ist es mit dem Datenschutz und Arztgeheimnis vertretbar, wenn der Arbeitgeber aus dem Fachgebiet des Arztes Rückschlüsse auf die Krankheit zieht? Wenn ein Mediziner einen Menschen als arbeitsunfähig erklärt, darf der Patient überhaupt nicht mehr vor die Entscheidung gestellt werden, ob er diese Krankmeldung abgibt oder nicht. Deshalb muss die Informationspflicht an den Arbeitgeber dem Arzt übertragen werden, denn dann wäre der Copilot nicht im Cockpit gesessen. Aber wäre der Copilot dann überhaupt noch zum Arzt gegangen? Vielleicht nicht mehr. Der Arbeitgeber braucht nur die Krankmeldung von einer vertrauenswürdigen Stelle, nicht aber Informationen über den behandelnden Arzt. Die Anonymisierung der Krankmeldung ist längst überfällig und würde auch vielen anderen die Angst nehmen, Hilfe beim entsprechenden Spezialisten zu suchen. Dem Copiloten hätte es vielleicht geholfen. Gerd Bumiller, Bottrop Leserbriefe sind in keinem Fall Meinungsäußerungen der Redaktion. Wir behalten uns vor, die Texte zu kürzen. Außerdem behalten wir uns vor, Leserbriefe auch hier in der Digitalen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung und bei Süddeutsche.de zu veröffentlichen. forum@sueddeutsche.de

Schwierige Diagnose

Das Thema Suizidalität ist berufsunabhängig, genauso wie alle von uns an Depressionen oder den verschiedensten chronischen Leiden erkranken können; so betrachtet, wäre auch Bus- oder Bahnfahren nicht "ungefährlich". Zum immens traurigen Anlassfall, dem durch Menschenhand (ziemlich sicher in primär suizidaler Absicht) herbeigeführten Flugzeugabsturz, gab und gibt es bis zum heutigen Tag unzählige Aussagen, Thesen und Mutmaßungen. Eines sei aber an dieser Stelle - ganz allgemein formuliert - jenen versichert, die sich in Verbindung eines Selbstmordes/Freitodes durch einen nahestehenden Menschen rückwirkende Schuldgefühle machen, weil sie glauben, zu wenig zur Verhinderung beigetragen zu haben: Selbst für Profis auf dem Gebiet der menschlichen Psyche ist es nicht selten äußerst schwierig, sogenannte suizidale Einengungen festzumachen. Warum? Weil zum Beispiel viele Selbstmörder vor ihrer "Tat" eine Art Entscheidungsfindungskampf führen, häufig stark "bilanzieren", abwägen; und sobald eine Entscheidung gefallen ist, zeigt sich dieser Mensch - mag es auch sehr paradox klingen - mit der für ihn gewonnen Klarheit nach außen quasi erleichtert und in diesem Sinn "besser oder gut drauf". Dr. Alexander Bernhaut, Wien Leserbriefe sind in keinem Fall Meinungsäußerungen der Redaktion. Wir behalten uns vor, die Texte zu kürzen. Außerdem behalten wir uns vor, Leserbriefe auch hier in der Digitalen Ausgabe der Süddeutschen Zeitung und bei Süddeutsche.de zu veröffentlichen. forum@sueddeutsche.de

© Süddeutsche Zeitung vom 01.04.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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