Flugzeugabsturz:Tödliche Geheimnisse

Flugzeugabsturz: Während die Welt über den Todespiloten rätselt, wird in der Kathedrale Notre-Dame-du-bourg in Digne-les-Bains der Opfer gedacht.

Während die Welt über den Todespiloten rätselt, wird in der Kathedrale Notre-Dame-du-bourg in Digne-les-Bains der Opfer gedacht.

(Foto: Jeff Pachoud/AFP)

Wie krank war Germanwings-Copilot Andreas Lubitz? Inzwischen gibt es auch Hinweise auf ein Sehleiden, das mit den psychischen Problemen zusammenhängen könnte. Sein Arbeitgeber wusste von all dem nichts.

Von Bernd Dörries, Düsseldorf

"In den Alpen zu fliegen. Das war seine große Leidenschaft", sagt Dieter Wagner. Immer wieder sind er, Andreas Lubitz und die anderen vom LSC Westerwald zum Segelfliegen nach Frankreich gekommen. Sie haben sich hochziehen lassen und sind dann ganz nah über jenem Ort geschwebt, an dem nun 150 Leben zu Ende gingen, an dem Andreas Lubitz einen Airbus A320 in einen Berg steuerte. Einmal als Jugendlicher sei Andreas sogar einen ganzen Monat zum Fliegen dort gewesen, in Sisteron, etwa 40 Kilometer vom Unglücksort, sagt einer aus dem Segelfliegerclub. Es klingt fast so, als habe Lubitz einen besonderen Ort gewählt als Endpunkt für seinen letzten Flug.

Letztlich war es wahrscheinlich einfach ein Zufall, so wie es Zufall war, dass es der Pilot am Flughafen Barcelona nicht mehr auf die Toilette geschafft hat, dass er während des Flugs das Cockpit verließ und das Steuer übergab. Andreas Lubitz hat ihm das mehrmals angeboten, während des Fluges, so haben es die französischen Ermittler auf dem Stimmrekorder gehört: Geh doch, ich mache das schon.

Das waren wohl Lubitz' letzte Worte. Dann hört man nur noch seinen Atem. Und den Krach von draußen, den Piloten, der schreit und gegen die Kabinentür hämmert. Der Airbus A320 ist kein riesiges Flugzeug. Die Passagiere werden wohl mitbekommen haben, dass da etwas nicht stimmt. Man höre Schreie auf dem Rekorder, sagen die Ermittler. Andreas Lubitz beendet das Leben von 149 Menschen und sein eigenes.

In Montabaur stehen die Kameras vor dem Luftsportclub, dem Lubitz angehörte

Mehr als die Hälfte seines Lebens wollte Lubitz, 27, Pilot werden. Sein Kinderzimmer soll ausgesehen haben wie ein kleines Cockpit. Montabaur ist keine große Stadt, 13 000 Menschen leben dort. Zu den Flughäfen von Köln und Frankfurt ist es nicht weit, und auch mit dem ICE ist Montabaur bequem erreichbar. Hinter Hügeln liegt die Graspiste des LSC Westerwald, bei dem Lubitz mit dem Segelflug begann. Nach dem Amoklauf von Winnenden wurde jener Schützenverein belagert, in dem der Täter früher trainiert hatte. Jetzt stehen die Kameras vor dem Luftsportclub in Montabaur. Das Flugzeug wurde an jenem schrecklichen Tag zur Waffe von Andreas Lubitz.

Die Frage ist, warum man sie ihm nicht vorher weggenommen hat. Lufthansa und Germanwings sagen, sie hätten von den psychischen Problemen ihres Angestellten nichts gewusst.

In der Wohnung von Andreas Lubitz wurde ein Attest gefunden, ausgestellt von einem Psychiater aus dem Rheinland, gültig bis zum 26. März. Lubitz war krankgeschrieben für den Tag des Unglücks. Wie krank er wirklich war, das versuchen die Ermittler nun herauszubekommen. Medikamente wurden entdeckt und Hinweise darauf, dass Lubitz auch wegen eines Augenleidens in Behandlung war. Ob es in Zusammenhang mit seinen psychischen Problemen stand, ist bisher unklar.

In Montabaur arbeitete Lubitz neben der Schule in der örtlichen Filiale des Burger King, drehte Fleischklopse auf dem Grill. Dann bekam er die Zulassung zur Fliegerschule in Bremen und machte sich auf den Weg. Ein Traum wurde wahr. Knappe zwei Jahre später stand Lubitz wieder im Restaurant: Ich bin zurück, der Druck beim Fliegen war zu groß. Das soll er dem Eigentümer gesagt haben.

Lubitz, das hat auch die Lufthansa bestätigt, unterbrach die Ausbildung an der Flugschule. Setzte sie aber fort, im Jahr 2009 wurde ihm die Tauglichkeit wieder bestätigt, die Depression sei abgeklungen, stellten die Ärzte fest. Alles schien in Ordnung zu sein. Der Traum vom Fliegen schien weiterzugehen. Andreas Lubitz hob wieder ab. Er bekam nach der Ausbildung einen Job bei Germanwings, es war zwar nicht die Langstrecke der Lufthansa, von der die meisten Piloten träumen. Aber eine Stelle mit Perspektive.

Etwa 20 Prozent der Deutschen, so schätzen Ärzte, haben in ihrem Leben mal mit einer depressiven Erkrankung zu tun. Manche gehen zum Arzt, manche nicht. Bei den meisten bleibt es eine einmalige Sache. Bei Andreas Lubitz kam die Krankheit offenbar zurück, er war bei Neurologen und Psychiatern in Behandlung. Er selbst soll sich Notizen gemacht haben zu seinem Zustand.

Depression und vor allem Burn-out sind in den vergangenen Jahren zu einer gesellschaftlichen Normalität geworden, die zumindest einen Teil ihres Stigmas verloren haben. Für Piloten ist das anders, da ist die Depression eine Bedrohung ihrer Existenz, ihrer Identität. Wer im Kopf, an der Seele erkrankt, verliert wahrscheinlich seine Zulassung. Andreas Lubitz hat sich wohl aus freien Stücken Hilfe gesucht. Aber er wusste auch, dass sein Job in Gefahr ist, wenn Germanwings von seinen Problemen erfährt.

Wer erzählt schon von einem Problem, das ihm den Job kosten kann?

Sein Fall stellt das bisherige System der fliegerärztlichen Überwachung stark infrage. Es ist ein System, das auf dem Prinzip der freiwilligen Mitarbeit basiert. Einmal im Jahr werden Piloten auf ihre Tauglichkeit untersucht. Psychische Aspekte spielen dabei keine Rolle, die Piloten sind lediglich verpflichtet, ihre komplette Krankengeschichte offenzulegen. Aber wer erzählt schon von einem Problem, das ihm den Job kosten kann? Wer gibt den Zeugen gegen sich selbst?

Fliegerärzte sagen jedoch auch, dass eine psychische Krankheit nicht unbedingt zum Verlust der Lizenz führen muss, das individuelle Gesamtbild sei entscheidend. Die Lufthansa-Ärzte in München gaben Lubitz zuletzt 2014 die volle Tauglichkeit. Versehen mit dem Kürzel SIC, einem Hinweis, dass sich Lubitz regelmäßig in ärztliche Untersuchung begeben muss. Auch Germanwings wusste von dem Kürzel, konnte aber nicht selbständig erkennen, was der medizinische Grund dafür ist. Ob man Lubitz danach gefragt hat? Germanwings ließ eine entsprechende Frage unbeantwortet.

Wer wirklich wusste, wie es um Andreas Lubitz stand, ist bisher unklar. Seine Lebensgefährtin wurde vernommen und seine Eltern.

"Wenn es ein Motiv und einen Grund gab, wollen wir das nicht hören", sagt Philip Bramley, der bei dem Unglück seinen Sohn verloren hat in einer kleinen Ansprache, die man im Netz sehen kann. Das genaue Motiv von Lubitz sei nicht relevant. "Was relevant ist, ist, dass so etwas nie wieder geschehen sollte. Mein Sohn und jeder in dem Flugzeug sollte niemals vergessen werden."

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