Hilfsorganisationen:Bedrohliche Helfer

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Abgerissen: Oxfam-Werbung in einem Lager für Obdachlose auf Haiti. (Foto: Andres Martinez Casares/Reuters)
  • Mehrere Mitarbeiter der Hilfsorganisation Oxfam sollen in ihren Einsatzländern mit Prositiuierten verkehrt haben.
  • Die Männer wurden entlassen, Oxfam sieht sich trotzdem mit dem Vorwurf der Vertuschung konfroniert und kämpft um seinen Ruf.
  • Auch die Organisation "Ärzte ohne Grenzen" meldet ähnliche Fälle.

Von Michael Bauchmüller und Björn Finke, Berlin/London

Der Blog-Eintrag der Oxfam-Experten geht tief hinein in die industrielle Landwirtschaft, er kritisiert die geplante Fusion von Bayer und Monsanto, warnt vor Big Data und Glyphosat. Doch der Leser-Kommentar am Ende hat damit nichts zu tun. "Warum berichtet ihr in eurem Blog nicht mal über eure mit Spendengeldern finanzierten Parties mit Prostituierten im Tschad und in Haiti", schreibt User "Big Brother". So geht es zu dieser Tage, auch bei Oxfam in Deutschland.

Ein Skandal erschüttert Oxfam in Großbritannien, längst hat er auch den deutschen Ableger erreicht. "Organisatorisch sind wir getrennt, aber die Marke ist die gleiche", sagt Jörn Kalinski, Kampagnenchef bei Oxfam Deutschland. "Für uns ist das alles eine Katastrophe."

Am Donnerstag erreichte der Skandal auch "Ärzte ohne Grenzen"

Die Londoner Times berichtete vergangenen Freitag, dass sich die britische Landesgesellschaft von Oxfam 2011 von sieben Mitarbeitern getrennt hatte, weil diese in Haiti Prostituierte für ihre Dienste bezahlt hatten. Oxfam half dort beim Wiederaufbau nach dem Erdbeben 2010. Zwar hatte Oxfam im September 2011 publik gemacht, dass der Landeschef in Haiti und sechs Angestellte, allesamt keine Haitianer, wegen Fehlverhaltens gehen müssten. Von Prostituierten und Sexparties aber war nie die Rede - weshalb sich die Stiftung den Vorwurf gefallen lassen muss, sie habe die Geschichte vertuschen wollen. Mehr noch: Einige der Entlassenen heuerten nach dem Rauswurf einfach bei anderen Hilfsorganisationen an. Die stellvertretende Chefin der britischen Oxfam-Gruppe trat inzwischen zurück.

Seither jagt eine Enthüllung die nächste. So kam heraus, dass der Landeschef, der in Haiti Prostituierte in seine von Oxfam gemietete Villa einlud, vorher für die Organisation im Tschad gearbeitet hatte - auch dort gab es Beschwerden über bezahlten Sex. Eine Labour-Politikerin, die beim britischen Oxfam-Ableger die Regeln zum Schutz von Frauen und Minderjährigen hatte überwachen sollen, klagt zudem, die Führung habe ihre Warnungen ignoriert. Sie berichtet, dass im Sudan eine Mitarbeiterin von einem männlichen Kollegen vergewaltigt worden sei. Ein anderer Mann habe für Hilfsgüter Sex von einer Frau verlangt. Und aus Haiti meldet sich Staatspräsident Jovenel Moïse zu Wort: Die Vorgänge rund um die Oxfam-Mitarbeiter seien eine "Verletzung grundlegenden menschlichen Anstands".

Die Abwehr klingt zunehmend verzweifelt

Damit nicht genug: Nun erreichen die Enthüllungen auch andere Hilfsorganisationen. Am Donnerstag ging auch Ärzte ohne Grenzen an die Öffentlichkeit. Vergangenes Jahr seien 19 Mitarbeiter entlassen worden, nachdem Hinweise auf sexuelle Belästigung eingegangen seien. Ärzte ohne Grenzen unterhält ein internes Meldesystem, ähnlich wie Oxfam: Mittlerweile haben auch dort Whistleblower eine Anlaufstelle.

Den Skandal aber kann das nicht dämpfen. Auch der Aufsichtsratschef von Oxfam International ist mittlerweile in die Schlagzeilen geraten, selbst wenn die nichts mit dem Sexskandal zu tun haben. Der Posten ist ehrenamtlich, bisher hatte ihn Juan Alberto Fuentes Knight inne. Doch der, Ex-Finanzminister Guatemalas, wurde nun wegen des Verdachts der Korruption verhaftet. Er trat zurück. Fuentes, so ließ Oxfam Deutschland gleich wissen, habe "keine operative Verantwortung" gehabt, er sei auch nicht "Präsident" von Oxfam gewesen, wie manche schrieben. Aber die Abwehr klingt zunehmend verzweifelt.

Vielen konservativen Abgeordneten kommen die Skandale gerade Recht

Das alles wiegt umso schwerer, als das 1942 gegründete "Oxford Committee for Famine Relief" bisher einen makellosen Ruf hatte - die Organisation, die gegen den Hunger und für die Menschenrechte kämpft, war auch schon für den Friedensnobelpreis nominiert. "Unser Kapital war immer dieser Ruf, die Glaubwürdigkeit", sagt Kalinski. "Darum müssen wir nun kämpfen." In Deutschland hat Oxfam 41 000 Spender. Hinzu kommen Mittel aus den Etats für Entwicklungshilfe und humanitäre Einsätze, knapp 14 Millionen Euro.

In Großbritannien stehen diese Mittel nun in Frage. 31,7 Millionen Pfund, knapp 36 Millionen Euro, hat der dortige Ableger im vorigen Jahr bekommen. Lege Oxfam nicht rasch alle Fakten vor, werde die Gruppe kein Geld mehr von ihrem Ministerium erhalten, droht die konservative Entwicklungshilfe-Ministerin Penny Mordaunt. Das passt zur britischen Debatte über Entwicklungshilfe: Viele konservative Abgeordnete - und einige Boulevardblätter - wollen sie schon länger kürzen. Da kommt der Skandal um Oxfam gerade recht.

© SZ vom 16.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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