Gedenken an Opfer von Germanwings-Absturz:Das Unfassbare bekommt eine Fassung

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Kölns Kardinal Rainer Maria Woelki und Annette Kurschus, Präses der evangelischen Kirche von Westfalen, haben gut gepredigt, ohne die Trauer und die Fassungslosigkeit mit Selbstgewissheit zuzukleistern.

(Foto: AFP)

Ein Gottesdienst mit Kerzen, Gebet und Gesang macht die Welt nach der Germanwings-Katastrophe nicht wieder heil. Er klärt auch nicht, ob ein Flugzeugabsturz hätte verhindert werden können. Aber er gibt der Trauer eine rituelle Form - und gerade darin liegt sein Wert.

Kommentar von Matthias Drobinski

Man sagt das so einfach: ein bewegender Gottesdienst, der tröstet. Gebete bringen die Menschen nicht zurück ins Leben, die am 24. März an einer Felswand in den französischen Alpen zerschellten. Lieder setzen die Trümmer des Germanwings-Flugzeuges nicht wieder zusammen oder drehen die Zeit zurück, auf dass der Copilot sich anders entscheide und seine Passagiere sicher nach Düsseldorf flöge. Kerzen beenden nicht den schreienden Schmerz und die steinerne Leere der Angehörigen. Es gibt keinen billigen Trost, keine Schicksalsbewältigung im Sonderangebot. Wer das verspricht, dem sollte man vor die Füße spucken. Für den, der das hofft, war der Trauergottesdienst im Kölner Dom ein zweckloses Ritual. Er hat die Welt nicht wieder heil gemacht.

Und trotzdem versammeln sich die Leute in der Kirche, wenn eine Katastrophe über sie hereingebrochen ist und der Boden erschüttert, auf dem sie eben noch glaubten, sicher zu stehen - die Mächtigen und Wichtigen des Landes eingeschlossen. Am Abend des 11. September 2001 war das so, als die Türme des World Trade Centers einstürzten; da saßen selbst die Abgeordneten der Linken im Berliner evangelischen Dom und wippten verlegen mit den Füßen. Diesmal bot der Kölner Dom den Trauernden und Weinenden einen Ort, den Erschütterten und Mitleidenden. Man musste nicht religiös sein, um zu merken, wie dringend eine Gesellschaft solche Orte und Rituale braucht, wie säkular sie sonst durchs Leben zu gehen pflegt.

Die vergangenen Wochen sind die Journalisten oft und oft auch zu Recht für ihre Berichterstattung kritisiert worden: wie sie sich in die Trauer der Angehörigen drängten, wie sie den Copiloten mutmaßten, der 149 Menschen mit in den Tod zwang, wie sie in Endlosschleifen Expertenhappen lieferten. Dahinter steckte manche Sensationsgier, viel mehr aber spiegelte die Berichterstattung die verzweifelte Suche auch des Publikums nach Antworten: Sagt uns, warum das geschah! Erklärt, was wir nicht fassen können, findet heraus, wer schuld ist, was geschehen muss, dass so etwas nie wieder passiert! Mit jedem Expertenstatement jedoch wurde das Schweigen lauter. Es gab tausend Antworten, aber keine Erklärung.

Alles andere schweigt

Das Ritual dagegen bleibt ohne Fragen und ohne Antwort. Es ist da, es ist vorgegeben, und alles andere schweigt. Kölns Kardinal Rainer Maria Woelki und Annette Kurschus, Präses der evangelischen Kirche von Westfalen, haben gut gepredigt, ohne die Trauer und die Fassungslosigkeit mit Selbstgewissheit zuzukleistern. Vor allem Annette Kurschus hat das gut gemacht, als sie sagte, keine Bischöfin und kein Kardinal könne Brücken über den Abgrund schlagen, der sich da auftue. Doch wichtiger als das richtige Wort war die gesamte Inszenierung des Gottesdienstes, von Gabriel Faurés Requiem zum Einzug, das die Fassungslosigkeit des Menschen angesichts des Todes in Musik fasst, bis zur Segensformel am Schluss.

Das Unfassbare bekommt eine Fassung, die amorphe Trauer eine Form, das ist das zutiefst Menschliche einer solchen Feier. Die Erklärungsversuche bleiben vor der Tür. Rituale verschaffen der Trauer den Raum und die Zeit, die sonst irgendwann mit einem aufmunternden "Wird schon!" abgeschnitten wird; sie schaffen Orte und Zeiten der Reduktion auf das Wesentliche. Sie begründen jenseits aller Streitigkeiten eine Gemeinschaft, die nicht erst die Bedingungen der Zusammengehörigkeit ausdiskutieren muss. In Köln wurde auch nicht geurteilt und verurteilt: 150 Kerzen brannten im Dom, eine auch für den Copiloten, den mutmaßlichen Täter, weil auch der abgründige Mensch ein Mensch bleibt.

Rituale haben ihre Grenzen. Lange wurden sie genutzt und missbraucht, gerade von den Kirchen, um Fragen zu verbieten, wo sie dringend nötig gewesen wären. Lange wurden sie genutzt um Außenseiter und Ketzer zu brandmarken: Knie mit uns nieder oder sei verstoßen! Das hat genauso für ihren schlechten Ruf gesorgt wie die Tatsache, dass Rituale hohl werden und ihren Sinn verlieren können, pathetisch und peinlich, lächerlich und verlogen. Der niederländische Schriftsteller Cees Nooteboom treibt das in seinem 1980 erschienenen Roman "Rituale" auf die Spitze: Drei Menschen versuchen, ihrem als sinnlos empfundenen Leben durch strenge Rituale einen Halt zu geben - alle drei enden im Suizid.

Nicht alles im Leben jeden Tag neu erfinden

Es war die Pädagogik, die den Wert der festen Formen wiederentdeckte: Kinder brauchen Rituale, abends, damit sie einschlafen können, morgens, damit sie in den Tag kommen, zwischendurch, um ruhig und selbstsicher groß zu werden. Das hat ziemlich viele Eltern dazu gebracht, mit ihren Kindern abends zu lesen, zu singen und auch zu beten - und viele Erwachsene haben gemerkt, wie gut es ist, nicht alles im Leben jeden Tag neu erfinden, festzulegen, neu definieren zu müssen; Rituale lindern den Innovationsdruck, der heute auf dem Einzelnen lastet, als wäre er ein Unternehmen. Sie sind der Raum, in dem Menschen unoriginell sein können, schwach, traurig oder auch fröhlich, halt sie selber.

Und das ist auch der politische wie gesellschaftliche Wert des Rituals: Es schafft Zeiten und Räume für das Unerklärte und Unerklärliche. In ihnen muss sich das Gemeinwesen nicht neu erfinden, in ihnen versichert es sich seiner Grundlagen. Dort entsteht eine Gemeinschaft über die sonst notwendigen Unterschiede hinweg; ob zur Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz, zum Kriegsende am 8. Mai oder zur Verkündung des Grundgesetzes. Das kann man leicht als langweilig und verlogen kritisieren, und tatsächlich: Eine Schaufel Pathos zu viel, und die Sache wird peinlich, um die richtige Form der Riten muss immer wieder neu gerungen werden.

Ohne sie aber wäre die Welt trostlos, im Wortsinn: Jeder Trost ist rituell. Nein, ein Gottesdienst mit Kerzen, Gebet und Gesang klärt nicht, ob ein Flugzeugabsturz hätte verhindert werden können, ob Piloten besser psychisch betreut werden müssen oder die Türsicherungen zum Cockpit verändert gehören. Er ist ein Ort des Zwecklosen, Fraglosen, Antwortlosen. Und gerade darin liegt sein Sinn.

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