Schäftlarner Schreinerei:Maßarbeit in der Nische

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Die Schreinerei Steiger und Lankes baut nach historischen Vorbildern neue Fenster, die dem Denkmalschutz genügen und trotzdem Energie sparen. Möbel aus dem Schäftlarner Betrieb erfüllen oft ganz besondere Funktionen.

Ingrid Hügenell

Der "Atlas der Gebärhaltungen" von Hebamme Hanna Fischer zählt zu den Standardwerken der Geburtshilfe. Eine wichtige Rolle in dem 99 Seiten starken Werk spielt ein Gebärhocker aus Holz, welcher der Gebärenden hilft, günstige Positionen einzunehmen, und dem Partner, sie dabei zu unterstützen. Den Hocker hat der Schreinermeister Franz Steiger vor mehr als 20 Jahren für seine Frau ausgetüftelt, die gerade das erste Kind erwartete.

Die Hebamme beriet ihn, welche Form, Höhe und Oberfläche günstig wären. So entstand ein Dreibein mit einem leicht asymmetrischen Sitzbogen. Der bewährte sich bei der Geburt von Steigers ältester Tochter; die Hebamme war so begeistert von dem Gerät, dass sie sich eines kaufte.

136 Stück hat die Schäftlarner Schreinerei Steiger und Lankes mittlerweile von dem Hocker verkauft, einen bis nach Israel. Mit einem Preis von etwa 500 Euro zählt der Gebärhocker nicht direkt zu den Haupteinnahmequellen des Betriebs. Das sind vielmehr Fenster, Türen und Möbel.

Ob Bauernhäuser aus dem 18. Jahrhundert, Wohngebäude aus der Gründerzeit oder Jugendstilvillen - wenn die Fenster kaputt gehen, sollen sie möglichst originalgetreu ersetzt werden, und das möglichst umweltgerecht. Dafür braucht es Spezialisten. Etwa die Hälfte ihres Umsatzes von 450 000 Euro im Jahr macht die Schreinerei mit nach historischen Vorbildern gefertigten Fenstern, meist sind es Kastenfenster mit Innen- und Außenflügeln.

"Die haben spezielle Profile und Abmessungen, das kann die Industrie nicht leisten", sagt Christian Lankes, wie Steiger ebenfalls Schreinermeister und Mitinhaber des Handwerksbetriebs. Steiger ist der Fenster-Spezialist, er baut die Rahmen, setzt auch das Glas ein, baut sie in die Häuser ein und beachtet dabei nicht nur die Vorgaben der Architekten, sondern auch die des Denkmalschutzes.

Dennoch seien die Fenster energetisch gut, wenn sie, wie bei ihnen üblich, professionell abgedichtet würden, erklärt Lankes. Schließlich hätten die Kastenfenster zwei Glasflächen mit einer Luftschicht dazwischen, so wie moderne Fenster mit Doppelverglasung. Und dazu sehen sie gut aus. Mehrfach erhielten Häuser mit Fenstern von Steiger und Lankes den Fassadenpreis der Stadt München. Der wird für vorbildlich renovierte Fassaden vergeben. Aber auch für Neubauten werden zuweilen Fenster gewünscht, die aussehen, als wären sie schon hundert Jahre alt. Im Münchner Stadtteil Solln etwa ist kürzlich ein Privathaus fertiggestellt geworden, eine komplett neu gebaute Jugendstilvilla. Die Fenster und auch einige Türen stammen großteils von dem Schäftlarner Betrieb.

Vor fast 25 Jahren haben Franz Steiger, 56, und Christian Lankes, 48, den Betrieb in Hohenschäftlarn gepachtet. Der Vorbesitzer war plötzlich gestorben. Lankes war Geselle, Steiger beinahe Meister. Beide arbeiteten im selben Puchheimer Betrieb, hatten oft darüber gesprochen, dass sie sich selbständig machen wollten. Das wusste die Schreinerinnung, an die sich die Witwe wandte, um einen Nachfolger zu finden.

Ohne recht zu wissen, was sie erwartete, ließen sich die beiden jungen Handwerker auf das Wagnis ein. "Wenn man immer wüsste, was auf einen zukommt, würde man diese Schritte nicht machen", sagt Lankes heute. Vieles sei schwierig gewesen. Dennoch sei die Übernahme damals "gut und richtig" gewesen. "Es ist doch immer wieder sehr, sehr spannend. Das möchte ich nicht missen", sagt Lankes.

In der Leitung sind die Aufgaben recht klar aufgeteilt. "Der Franz ist der Handwerker durch und durch, der will vor allem bauen", sagt Lankes über den Älteren. Ein Tüftler sei der - wie es eben der Gebärhocker zeigt. Lankes dagegen macht inzwischen viel Büroarbeit, nur noch etwa 30 Prozent seiner Arbeitszeit verbringe er tatsächlich in der Werkstatt, sagt er.

"Früher konnte einer im Büro fünf Leute in der Werkstatt mit Arbeit versorgen. Mittlerweile schafft einer im Büro nur noch Arbeit für zwei heran", sagt Lankes. So sehr seien Anforderungen und Ansprüche gestiegen.

Während seine Frau Julia vor allem für die Buchhaltung zuständig ist, sind Christian Lankes' Aufgaben in erster Linie der Kundenkontakt, die Akquise und das Entwerfen von Möbeln. Das ist das zweite wichtige Standbein des Betriebs: Der Bau von maßgefertigten Einrichtungen für Privathäuser.

Gegenwärtig stattet der Betrieb beispielsweise ein Ferienhaus am Gardasee aus. Eine Nachtkonsole ist fast fertig. Regelmäßig liefert der Betrieb, zu dem außer den beiden Meistern noch zwei Gesellen und zwei Auszubildende gehören, die fertigen Teile dorthin und baut sie an Ort und Stelle ein.

Geselle Michael Büttner setzt einen Schreibtisch zusammen. Die einzelnen Teile aus "Mitteldichten Faserplatten" (kurz MDF) sind in Violett-Tönen lackiert. Das schöne Stück bekommt ein Mädchen, das in die Schule gekommen ist. 5000 Euro bezahlen die Eltern dafür, das Kind hat schon eine komplette Zimmereinrichtung aus der Schreinerei.

"Die Mittelschicht kann sich in den seltensten Fällen noch einen Schreiner leisten", bedauert Lankes und fügt hinzu: "Kunden, die über ein hohes Einkommen verfügen, sind sehr wichtig für uns." Die findet der Betrieb vor allem in den Orten rund um München wie in Gauting, Pöcking oder Feldafing, in der Landeshauptstadt selbst oder auch in Schäftlarn.

Vor fünf Jahren haben Steiger und Lankes kräftig investiert und eine neue, große Kreissäge sowie eine Hobelmaschine gekauft, die Vierkanthölzer auf allen vier Seiten gleichzeitig glätten kann. Aus den Vierkanthölzern werden Fensterrahmen - der Kauf der teuren Maschine bestätigte die Spezialisierung des Handwerksbetriebs auf Aufgaben im Denkmalschutz bei gleichzeitiger energetischer Optimierung.

© SZ vom 13.10.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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