Urteil des Bundesverwaltungsgerichts:Was Münchner von Diesel-Fahrverboten halten

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Das Fahrverbot würde den Bäcker Ludwig Neulinger hart treffen. (Foto: N/A)

Wäre der Stadt geholfen, wenn keine Dieselautos mehr fahren dürften? Nicht einmal die Anwohner an der Landshuter Allee, Deutschlands dreckigster Straße, sind sich da sicher.

Von Andreas Schubert und Melanie Staudinger, München

Wenn die Luft zu schlecht ist, dürfen in Städten Dieselautos ausgesperrt werden - das ist der Kern des Urteils des Bundesverwaltungsgerichts vom Dienstag. Ob es dazu in München kommt, und wann und wo, ist aber noch ziemlich offen, obwohl hier die Grenzwerte für Stickstoffdioxid deutlich überschritten werden. Manch einer würde sich darüber freuen, für andere wäre es ein großes Problem.

Noch ohne Alternative

Ludwig Neulinger erinnert sich noch ganz genau an seinen Autokauf vor zwei Jahren. "Als Bio-Bäcker habe ich mir überlegt, ein Elektroauto zu kaufen", sagt er. Zur Firmenphilosophie eines Bäckers, der weder Backmischungen noch Zusatzstoffe verwendet, hätte ein umweltfreundliches Gefährt sehr gut gepasst. Doch einen solchen Lieferwagen habe er sich schlicht nicht leisten können. "Die Fahrzeuge hätten mich glatt das Dreifache gekostet", erzählt der Bäcker, der sich vor 17 Jahren selbständig gemacht hat.

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Seit seiner Betriebsgründung hat er viel investiert, er hat der harten Konkurrenz durch Backshops ebenso getrotzt, wie er sich trotz geringer Gewinnmargen gegen die alteingesessenen Betriebe behauptet hat. Noch immer muss Neulinger genau kalkulieren - ein Elektro-Auto war da einfach nicht drin. Beim Händler dann hat sich die Frage nach Benzin oder Diesel gar nicht gestellt: "Der hat mir nur Diesel-Fahrzeuge vorgeschlagen." Neulinger wählte einen Peugeot.

"Wenn jetzt Fahrverbote kommen, würde mich das wirklich hart treffen", sagt der Bäcker. Gerade erst ist er in eine neue Backstube an der Gotzinger Straße in Sendling gezogen. Dadurch sei sein finanzieller Spielraum nicht gerade größer geworden. "Ich müsste mir dann Gedanken über ein Leasing-Auto machen, aber selbst das wäre eine Herausforderung", sagt er.

Irgendwie müsse er seine vier Filialen doch beliefern, zwei davon an der Volkartstraße in Neuhausen, eine an der Wörthstraße in Haidhausen, eine an der Adlzreiterstraße in der Isarvorstadt. Und der kleine Piaggio-Transporter, das zweite Fahrzeug im Fuhrpark der Neulingers, sei für größere Lieferungen schlicht zu klein.

Ohne Übergangslösungen und Ausnahmen könnte es für viele kleine Handwerksbetriebe schwierig werden, das befürchtet auch der bayerische Handwerkstag. Ohne Ausnahmen drohten vielen Betrieben massive Umsatzeinbußen, bis hin zur Existenzgefährdung, sagt deren Präsident Franz Xaver Peteranderl. Sie könnten ihren Fuhrpark nicht einfach über Nacht austauschen - zumal es die meisten der für Handwerker geeigneten Fahrzeuge bisher nur mit Dieselantrieb gebe.

Frische Luft nur in der Nacht

Lüften heißt für Franz Wurzer wie für alle anderen auch: das Fenster aufmachen. Andere wollen auf diese Weise frische Luft in ihre Wohnung lassen. Vor Wurzers Haus aber gibt es frische Luft nur zu bestimmten Zeiten, in der Nacht, wenn wenig Autos fahren. Franz Wurzer lebt seit 37 Jahren an der Landshuter Allee, direkt am Mittleren Ring.

Die Messstation dort ist diejenige, die im vergangenen Jahr die bundesweit höchsten Werte von Stickstoffdioxid in der Luft geliefert hat. Wegziehen kommt für Wurzer nicht in Frage, weil die Familie in einer günstigen Post-Wohnung wohnt. Anderswo, sagt er, seien die Mieten nicht mehr erschwinglich. Also muss die Familie damit leben, dass sie gerade zu Hauptverkehrszeiten die Fenster tunlichst geschlossen lassen sollte. Seit 1980 halten sie es so, und sind damit einigermaßen zurechtgekommen.

Doch in den vergangenen fünf Jahren, so Wurzers Beobachtung, hat der Verkehr deutlich zugenommen. Was soll da ein Dieselfahrverbot bringen? Wurzer weiß es nicht so recht, er glaubt, dass es nichts Wesentliches an der Situation ändern würde. Und der 63-Jährige fährt ja sogar selbst einen Diesel. Der ist zehn Jahre alt, weshalb ihn Wurzer im Sommer durch einen Benziner ersetzen will. Elektroautos traut er wegen der begrenzten Reichweite noch nicht. "Ich fahre oft nach Niederbayern, das ist für ein E-Auto zu weit", sagt er.

Franz Wurzer lebt seit 37 Jahren an der Landshuter Allee, direkt am Mittleren Ring. (Foto: N/A)

Wie viele Anwohner der Landshuter Allee sieht er eine Lösung des Abgasproblems nur in einem neuen Tunnel. "Am Englischen Garten wollen sie einen bauen, aber da wohnt keiner. Hier wohnen zigtausend Leute." Dass mit dem Argument "Luftreinhaltung" die Stadt an dieser Stelle des Rings das Tempolimit von 60 auf 50 heruntergesetzt hat, hält der Anwohner für kontraproduktiv. "Das bringt in meinen Augen gar nichts. Die Leute bremsen am Schild auf 40 herunter und der Verkehr staut sich. Dahinter geben sie dann erst recht Gas, da werden die Abgase nur noch mehr", glaubt Wurzer.

Gleich in der Nähe seiner Wohnung ist der Sportplatz der FT Gern, des Heimatvereins von Philipp Lahm, wie Wurzer, selbst aktives Vereinsmitglied und Jugendtrainer, stolz erwähnt. Und die FT habe ein ausgemachtes Problem: Viele Eltern würden ihre Kinder wieder abmelden, weil so nah am Mittleren Ring die Luft zu dreckig ist. Man riecht es nicht nur, an Wurzers Fensterbrett kann man es auch sehen. Wer mit dem Finger darüber streicht, bekommt schwarze Fingerkuppen vom Ruß. "Als hätten wir einen Ofen da stehen", sagt Wurzer.

Mit kleinen Schritten

Auf der einen Seite der Mittlere Ring, auf der anderen die viel befahrene Rosenheimer Straße: Verkehrlich gesehen hat die Grundschule an der Führichstraße nicht gerade das große Los gezogen. Lärm, Feinstaub, Stickoxide - Lehrer wie Eltern sorgen sich um die Gesundheitsbelastung der Kinder und haben schon so einige Aktionen gestartet, um die Situation zu verbessern.

Im vergangenen Schuljahr etwa marschierten die Jungen und Mädchen um die Wette zur Schule. Die Klasse, die die meisten Schulwege zu Fuß absolvierte, gewann. Dahinter stand das Kalkül: Wenn die Väter und Mütter schon nicht freiwillig auf ihr Auto verzichten, dann sollen ihre Kinder sie indirekt dazu zwingen.

Die Schulleiterin Susanne Löffler freut sich über das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts. (Foto: N/A)

"Wir als Schulgemeinschaft versuchen im Kleinen viel, um den Verkehr in unserer Nachbarschaft zu reduzieren", sagt Schulleiterin Susanne Löffler. Sie selbst kommt ebenfalls nicht mit dem Auto zur Schule, sondern mit dem Rad. Und der Bringverkehr in der Früh hat sich tatsächlich schon ein wenig verringert - das ist nicht nur gesünder, sondern auch ungefährlicher, wenn nicht mehr in zweiter Reihe geparkt wird. Doch längst nicht alle Eltern der gut 600 Grund- und Mittelschüler verzichten auf ihre Chauffeursdienste am Morgen. Weitere Überzeugungsarbeit ist noch nötig.

Umso mehr freut sich Löffler jetzt über das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts. "Ich finde es sehr gut, dass endlich mehr passieren muss", sagt sie. Doch Diesel-Fahrverbote alleine bringen aus ihrer Sicht noch nicht den großen Durchbruch. Denn um wirklich frische Luft in der Stadt zu haben, brauche es mehr Carsharing, mehr Elektroautos und auch mehr Elektrobusse.

Bis wirklich Fahrverbote kommen könnten, wird aber noch einige Zeit vergehen: Die will zumindest die Grundschule an der Führichstraße nutzen, um weiter an der eigenen Umweltbilanz zu arbeiten.

Der Umstieg ist möglich

Bei Taxis gibt es noch viele Klischees, die sich über Jahrzehnte gefestigt haben. Eines davon ist: Ein Taxi muss ein Mercedes Diesel sein, das sind die besten, die halten am längsten und sie sind am wirtschaftlichsten. Peter Köhl sieht das ein wenig anders. Er ist seit 2008 Chef des Unternehmens Taxicenter Ostbahnhof. Und als er damals die Flotte übernahm, war es eine reine Dieselflotte. Doch Fahrverbote sind für Köhl keine Bedrohung mehr.

Peter Köhl ist seit 2008 Chef des Unternehmens Taxicenter Ostbahnhof. (Foto: N/A)

Er hat von Anfang an seine Flotte auf Hybridantrieb umgerüstet, nach fünf Jahren war das Unternehmen frei von Dieselantrieben. Dafür fuhren nun halbelektrische Toyotas durch München. 51 Hybride hat Köhl in seiner Flotte, dazu kommt noch ein vollelektrischer Tesla, sozusagen das Schmuckstück. Das hat nun auch schon mehr als 287 000 Kilometer auf dem Tacho und fährt immer noch einwandfrei. Die Hybride, erzählt Köhl, hielten bis zu 500 000 Kilometer durch, bei einer jährlichen Laufleistung von bis zu 60 000 Kilometern.

Der Taxiunternehmer begrüßt Fahrverbote. "Für bestimmte Fahrzeuge muss es aber Übergangslösungen geben", sagt er. Also für Lieferdienste oder Handwerker etwa oder auch für Taxis. Ein anderes Mittel, die Luft sauberer zu bekommen, hat gerade London angewandt. Dort gilt ein Zulassungsstopp für Diesel-Taxis. Nur noch Hybride oder reine Elektroautos bekommen in der englischen Hauptstadt eine Lizenz. Das könnte sich Köhl auch gut für München vorstellen. Taxis von Fahrverboten generell auszunehmen, fände er nicht gut. "Wenn es Ausnahmen gibt, dann kaufen sich die Kollegen weiter Dieselfahrzeuge."

Köhl hat bei seiner Umstellung nicht nur an die Umwelt gedacht, sondern auch an den Umsatz. Die Hybride seien um 30 Prozent wirtschaftlicher, sagt er, und stießen nur halb so viel Kohlendioxid aus. Und auch die Bremsen, Verschleißteil Nummer eins bei Autos, halten bei einem Elektroantrieb sechsmal länger, weil der Fahrer einfach nicht so heftig bremsen muss. Alles Vorteile also - doch warum setzen viele Taxler nach wie vor auf Diesel? Ein klassischer Mercedes, sagt Köhl, sei für viele Einzelunternehmer, die nur ein Auto haben und selbst am Steuer sitzen, auch ein Luxusgut.

© SZ vom 28.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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