Reaktionen auf Urteil:Diesel-Fahrverbote gelten in München als unausweichlich

Die Frage ist nur, wann sie kommen. Was auf Autofahrer in der Stadt kurzfristig zukommt, bleibt auch nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts offen.

Von Dominik Hutter

Die Entrüstung ist groß bei den beiden Mehrheitsfraktionen im Münchner Rathaus. Die "schlechteste aller Lösungen" sei das, schimpft SPD-Stadtrat Jens Röver über das Diesel-Urteil des Bundesverwaltungsgerichts. CSU-Fraktionschef Manuel Pretzl spricht von "unbrauchbaren Lösungsvorschlägen", Bürgermeister Josef Schmid (CSU) geißelt pauschale Aussperrungen als "Gift für unsere Wirtschaft". SPD und CSU sprechen sich seit Langem gegen streckenbezogene Fahrverbote aus, also gegen die Sperrung einzelner besonders stark belasteter Straßenabschnitte. Rövers Sorge: Sind große Trassen wie die Landshuter Allee für Dieselautos tabu, weichen die eben in die umliegenden Nebenstraßen aus.

Dies ist allerdings nicht die einzige Option, die sich aus dem Leipziger Urteil ergibt. Münchens Umweltreferentin Stephanie Jacobs kann dem Richterspruch deshalb durchaus Positives abgewinnen. Denn die Richter sehen neben streckenbezogenen Fahrverboten explizit auch die Möglichkeit, größere Tabu-Zonen für Dieselautos einzurichten. Das liefe in München darauf hinaus, die bestehende Umweltzone mit neuen Mindeststandards für Stickstoffdioxid zu ergänzen, also ältere Dieselstinker auszusperren. Nach deutschem Recht sei das zwar ohne neu geschaffene Umweltplakette nicht möglich, so das Bundesverwaltungsgericht, das damit die bisherige Rechtsauffassung der Stadt München bestätigt.

Nur: Europäisches Recht steht über deutschen Gesetzen, die von der EU verhängten Stickoxid-Grenzwerte einzuhalten, hat oberste Priorität. Da macht es nichts, wenn die Straßenverkehrsordnung keine entsprechenden Schilder kennt. Jacobs ist erleichtert über diesen Passus, denn auch die Referentin hält die Sperrung einzelner Straßenzüge für nicht praktikabel. Die Umweltzone zu verschärfen, ist hingegen erklärter Wille des Stadtrats.

Dies könnte peu-à-peu passieren, wie bei der Aussperrung von roter und gelber Plakette vor einigen Jahren auch schon - mit Ausnahmen und Übergangsfristen für Handwerker oder Anwohner. Das Bundesverwaltungsgericht habe ausdrücklich Verhältnismäßigkeit angemahnt, so Jacobs. Niemand müsse daher befürchten, von heute auf morgen nicht mehr in die Innenstadt fahren zu dürfen.

Dass es irgendwann in München Diesel-Fahrverbote geben wird, gilt im Rathaus als unausweichlich. Mehrere Richtersprüche deuten bereits in diese Richtung. Nur: Das aktuelle Leipziger Urteil hat noch keine direkten Folgen für München, versichert Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD). Allerdings habe der Freistaat nun die Möglichkeit, zonen- oder streckenbezogene Fahrverbote in den Luftreinhalteplan aufzunehmen.

Ob dies tatsächlich geschieht, ist allerdings unklar. "Die Entscheidung hat erst einmal keine unmittelbaren Auswirkungen auf Bayern", befindet Bayerns Umweltministerin Ulrike Scharf (CSU). Man werde sich aber die Begründung des Urteils und dessen Folgen für München genau ansehen. Die Staatsregierung lehne pauschale Fahrverbote weiter kategorisch ab, sagt auch Wirtschaftsministerin Ilse Aigner, "vor allem müssen wir Schnellschüsse vermeiden".

Denkbar ist allerdings, dass erneut die Gerichte der Politik die Entscheidung abnehmen. Für München gibt es ein rechtskräftiges Urteil des Verwaltungsgerichts von 2012, dass die Stickoxid-Grenzwerte auf jeden Fall einzuhalten sind. Schon damals, so erinnert Jacobs, seien Fahrverbote diskutiert worden. Auch der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat im Frühjahr 2017 zu verstehen gegeben, dass die Grenzwerte wohl ohne Fahrverbote nicht einzuhalten sind.

Die Richter verdonnerten den Freistaat daher dazu, ein Konzept für Diesel-Fahrverbote auszuarbeiten - was dieser allerdings absichtlich verschleppt hat. Ob mit diesem Beschluss ein Automatismus verbunden ist, das Konzept später auch umzusetzen, ist im Rathaus umstritten. Jacobs geht aber davon aus, dass der Wille der Richter zu Fahrverboten klar erkennbar ist - eine Einschätzung, die auch Florian Roth, der Fraktionschef der Grünen im Rathaus, teilt.

Die Grünen wollen daher rasch Nägel mit Köpfen machen und demnächst offiziell beantragen, Diesel-Fahrverbote im Luftreinhalteplan festzuschreiben. "Es ist ein Trauerspiel der Politik, dass immer wieder Gerichte bemüht werden müssen, um den Zustand des fortgesetzten Rechtsbruchs durch Überschreiten der Grenzwerte zu beenden", ärgert sich Roth. Für den Luftreinhalteplan ist jedoch der Freistaat zuständig. Ob die Stadt notfalls auch in Eigenregie die Umweltzone verschärfen kann, ist laut Referentin Jacobs bislang unklar.

Allerdings ist auch die von allen Rathausfraktionen bevorzugte Lösung, eine Verschärfung der Umweltzone, mit Problemen verbunden. Denn die Polizei dürfte Mühe haben, die Einhaltung der Zufahrtsverbote zu kontrollieren - ohne äußeres Erkennungszeichen, etwa einen Aufkleber, müssten die Fahrzeugpapiere kontrolliert werden. Einfacher wäre es, die blaue Plakette einzuführen, betont OB Reiter. Der Bundesgesetzgeber sei also weiterhin gefordert.

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