Nymphenburg:Wie aus einem Wirtshaus eine moderne Klinik wurde

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1956 übernahmen die Caritas Schwestern die Pflege im Krankenhaus Barmherzige Brüder (Foto: Krankenhaus Barmherzige Brüder)
  • Das Krankenhaus der Barmherzigen Brüder feiert sein 100-jähriges Jubiläum.
  • Aus einem kleinen Männerkrankenhaus mit 58 Betten ist mittlerweile eine spezialisierte Klinik geworden, in dem Spieler des FC Bayern München ihre Leistungschecks absolvieren.

Von Jakob Wetzel

Der gute Geist des Hauses kommt jeden Morgen ans Patientenbett. Pater Johannes von Avila Neuner, der Klinikseelsorger im Krankenhaus der Barmherzigen Brüder, dreht täglich seine Runde. 365 Betten zählt die Klinik, ebenso viele Patienten besucht er und fragt sie, wie es ihnen geht. Und wenn einer nach einer schweren Operation aufwacht, dann kann es sein, dass Pater Johannes neben seinem Bett steht, ein 74-jähriger Mann im schwarzen Habit, seine Hand hält, ihm über das Gesicht streicht und sagt: "Es wird alles gut."

Es sind Momente wie dieser, die Geschäftsführerin Nadine Schmid-Pogarell meint, wenn sie sagt, ihr Krankenhaus habe sich einen besonderen Geist erhalten. 100 Jahre alt wird die Klinik in dieser Woche. Vieles hat sich verändert: Aus einem kleinen Männerkrankenhaus mit 58 Betten ist eine spezialisierte Klinik geworden, ein renommiertes Haus etwa für Orthopädie und Unfallchirurgie, in dem die Leistungssportler des FC Bayern München ihre Leistungschecks absolvieren, eine bekannte Adresse zum Beispiel auch für Ernährungsmedizin und das Krankenhaus mit Deutschlands größter Palliativstation. Die kleinen Dinge aber seien geblieben, sagt Schmid-Pogarell: Geburtstagsgeschenke für die Mitarbeiter etwa, kleine Aufmerksamkeiten für die Patienten, oder dass es Fortbildungen gibt in "gelebter Gastfreundschaft". An diesem Mittwoch feiern der Orden, die Mitarbeiter und Freunde des Hauses das 100-jährige Jubiläum mit einem Festakt.

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Dabei reicht die Geschichte des Krankenhauses viel weiter zurück. Bereits ab 1750 versuchte der Orden der Barmherzigen Brüder, sich mit einem Spital vor dem Sendlinger Tor in München zu etablieren. Doch dieses "Krankenhaus zu Sankt Max" wurde im Zuge der Säkularisation aufgelöst, an seiner Stelle entstand später ein kommunales Klinikum, noch später die Medizinische Klinik der Ludwig-Maximilians-Universität. Das Vermögen der Barmherzigen Brüder kassierte die Stadt.

Gaststätte Controlor, Ursprung des Krankenhauses Barmherzige Brüder 1908 (Foto: Geschichtswerkstatt Neuhausen; Krankenhaus Barmherzige Brüder München)

Bis sich der Orden an einen zweiten Versuch wagte, verging mehr als ein Jahrhundert. Er begann mit einem Wirtshaus: Im Ersten Weltkrieg kauften die Brüder den "Controlor", eine bei den Münchnern einst recht beliebte Gartenwirtschaft im südlichen Nymphenburger Schlossrondell, der in den Nöten des Krieges die Kundschaft ausgegangen war. Die Barmherzigen Brüder verwandelten die Gaststätte bis 1918 in ein Krankenhaus für Männer unter anderem mit urologischen Problemen oder mit Haut- oder Geschlechtskrankheiten. Weibliche Patienten durfte der Orden traditionell nicht pflegen.

In den folgenden Jahren gerieten die Brüder in die Mühlen des Staates: 1921 verdingten sie sich als Vertragskrankenhaus für die bayerische Landespolizei; ab 1935 wurden auf deren Station dann auch Militärangehörige sowie Angehörige von SA und SS gepflegt. Im Zweiten Weltkrieg wurde das Haus Reservelazarett. Wiederholt war es Luftangriffen ausgesetzt; bei dem verheerendsten Bombardement im Dezember 1942 starben vier Patienten und zwei Ordensbrüder.

Einbrecher stehlen einen Tresor - mit 14 D-Mark

Der Neubeginn war mühsam: Es fehlte an Personal, an Geld und an Baumaterial. Wie knapp die Brüder bei Kasse waren, illustriert eine Anekdote aus der Ordenschronik: In der Nacht auf den 6. Dezember 1949 brachen demzufolge "freche Diebe" in die Verwaltung des Krankenhauses ein und hievten einen Geldschrank aus dem Fenster. Belohnt wurden sie für die Mühe allerdings nicht: Der Tresor enthielt nur 14 D-Mark, steht in der Chronik. "Nebenbei noch bemerkt, lagen Trauerkarten drinnen mit der passenden Aufschrift: 'Herzliches Beileid'!"

Aufräumarbeiten beim Krankenhaus der Barmherzigen Brüder nach dem verheerenden Luftangriff im Dezember 1942 (Foto: Krankenhaus Barmherzige Brüder)

Von den Fünfzigerjahren an gelang es den Barmherzigen Brüdern jedoch, sich zu etablieren. Kontinuierlich bauten sie um oder an, auch mithilfe der Bundeswehr, die von 1966 bis 1987 Stationen und Operationssäle mietete und so den Ausbau mitfinanzierte. Das Krankenhaus erregte dabei immer wieder Aufsehen: 1966 etwa mit Operationssälen, die zu den modernsten in München gehörten.

Später beschäftigten die Brüder eine der ersten Hygieneärztinnen der Stadt. Sie investierten in modernes Gerät, um sich von anderen Kliniken abzuheben. Und sie bauten stetig aus. Bis heute wird fast ununterbrochen gebaut. Derzeit erweitert das Haus etwa seine Intensivmedizin, bei laufendem Betrieb. In jüngster Zeit hat sich das Haus ohnehin massiv vergrößert. Es zählt heute 1061 Mitarbeiter, 20 Prozent mehr als noch 2011.

Hilfe für Obdachlose

Akzente setzt die Klinik heute unter anderem im sozialen Bereich. Seit 1997 führt unter anderem auf ihr Betreiben hin an drei Tagen in der Woche eine Straßenambulanz zu den Schlafplätzen der Wohnungslosen in München. An Bord ist ein Pfleger der Barmherzigen Brüder. Braucht ein Patient eine stationäre Behandlung, erhält er sie in Nymphenburg kostenlos.

Zudem ist der Orden einer der Wegbereiter der Palliativmedizin. 1991 eröffneten die Brüder in München eine Palliativstation mit anfangs zehn Betten, es war bundesweit eine der ersten ihrer Art. Mittlerweile wurde sie auf 32 Betten erweitert, größer ist in Deutschland keine. Ergänzt wird das Angebot unter anderem durch einen ambulanten Hospizdienst und ein eigenes, vom Krankenhaus gelöstes Hospiz.

Den Barmherzigen Brüdern geht es dabei auch darum, ein Zeichen zu setzen gegen aktive Sterbehilfe. Ethischen Fragen wie dieser stellen sie sich bewusst. Für heikle Situationen habe man eine eigene Fallberatung etabliert, erzählt etwa Franz Brettner, einer der beiden Chefärzte der Inneren Medizin. Wenn Angehörige und Ärzte nicht sicher seien, ob sie eine anstrengende und unsichere Therapie beginnen oder "einen Patienten gehen lassen" sollten, könnten sie sich Hilfe holen. Es gebe eine Gruppe eigens ausgebildeter ethischer Berater. "Die entscheiden nicht über Leben und Tod, sie beraten nur", sagt Brettner. Im Jahr gebe es zehn bis 15 solcher Fälle.

Das alte Ordenskrankenhaus ist mittlerweile kaum mehr wiederzuerkennen. Die Technik hat den Alltag revolutioniert, die Medizin ist bürokratischer geworden, und der Orden ist erheblich geschrumpft: In der Pflege arbeiten nur noch zwei Ordensbrüder. Den allergrößten Teil der Arbeit erledigen etwa 460 weltliche Pflegekräfte. Aber das alte Gebäude des "Controlor" im Schlossrondell steht noch immer. Vor fast 100 Jahren wurden hier Kranke therapiert und von Männern im Habit gepflegt. Heute ist hier die Krankenhauskantine für die Mitarbeiter untergebracht, und im ersten Stock schlafen die derzeit insgesamt sieben Münchner Ordensbrüder. Das eigentliche Krankenhaus aber ist ein großer, moderner Bau. Es steht daneben.

© SZ vom 30.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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