Gesundheit:Warum Deutschland lange nicht das gesündeste Land Europas ist

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Das deutsche Gesundheitswesen ist gekennzeichnet von Überdiagnostik und Übertherapie. (Foto: dpa)

Hierzulande wird nicht zu wenig Geld für die Gesundheitsversorgung ausgegeben. Sondern zu viel Geld für die falschen Behandlungen.

Kommentar von Werner Bartens

Geld allein macht nicht gesund. Ein teures Gesundheitswesen ist auch nicht zwangsläufig besser als ein kostengünstigeres. Im EU-weiten Vergleich gibt Deutschland zwar den größten Anteil des Bruttoinlandsprodukts für das Gesundheitswesen aus. Viele Krankenhäuser sind gut, viele Ärzte und Pflegekräfte leisten hervorragende Arbeit, das Netz der Notfallversorgung ist engmaschig und effizient. Die Voraussetzungen und Bedingungen sind also nicht schlecht. Trotzdem liegt Deutschland im europaweiten Vergleich nur im Mittelfeld, was die Lebenserwartung und andere einschlägige Parameter zur Gesundheit angeht. In einigen Bereichen der Medizin ist die Spitze für Deutschland sogar in die Ferne gerückt, und es droht akute Abstiegsgefahr.

Der Fisch stinkt vom Kopf. Viele Strukturen im Gesundheitswesen sind verkrustet oder funktionieren zwar, aber nicht im Sinne der Patienten. Die politische Führung verwaltet das Budget, hat aber keinen grundsätzlichen Plan, wie sich das Befinden der Menschen verbessern lässt. Noch immer gibt es zu viele Krankenhäuser in Deutschland. Nichts gegen eine wohnortnahe Versorgung, aber etliche Kliniken bieten wie ein Gemischtwarenladen nahezu das gesamte Spektrum medizinischer Leistungen an, darunter auch viel Murks - und damit Masse statt Klasse.

Dies ist das Land der Überdiagnostik und Übertherapie

Die aktuelle Analyse von EU-Kommission und OECD gibt - wie schon zahlreiche Studien zuvor - detaillierte Hinweise, warum Deutschland weit davon entfernt ist, das gesündeste Land Europas zu sein. In Deutschland gibt es bezogen auf die Bevölkerung die meisten Krankenhausbetten in der EU, mehr Ärzte als in anderen Ländern und mehr als doppelt so viele Kernspin-Geräte wie im europäischen Durchschnitt. Deutschland ist zudem auch führend in der Menge der Herzkatheter-Untersuchungen, der Bypass-Operationen und im Gelenkersatz an Hüfte und Knie, um nur die bekanntesten Beispiele für Überdiagnostik und Übertherapie zu nennen.

Gerade in ländlichen und anderen strukturschwachen Gebieten sind zwar manche Menschen medizinisch unterversorgt. Insgesamt droht aber ein Überfluss an Angeboten. Die Folgen sind offensichtlich: Der Gesundheitsmarkt boomt, die Gesundheit der Menschen nicht. Mehr Medizin macht die Akteure im Gesundheitswesen reicher, führt aber nicht dazu, dass es Menschen besser geht. Im Gegenteil, als eine der größten Bedrohungen für Patienten führt der Sachverständigenrat die Gefahr durch unnötige Diagnostik und Therapie auf.

Eine Qualitätsoffensive, die diesen Namen verdient, ist nicht in Sicht. Seit Jahren werden - beispielsweise im "Faktencheck Gesundheit" - groteske regionale Unterschiede in der medizinischen Versorgung aufgezeigt. In manchen Landkreisen ist der Anteil der Kaiserschnittentbindungen, der Mandeloperationen oder der Röntgenaufnahmen dreimal so hoch wie in der Nachbargemeinde. Medizinisch sind diese Abweichungen nicht zu erklären. Abhilfe ist nicht erkennbar. Falsche gesundheitspolitische Anreize, etwa durch eine üppige Honorierung apparativer Eingriffe oder anderer instrumenteller Verfahren verstärken den ungesunden Trend noch. Wenn sich Ärzte einer "sprechenden Medizin" verpflichtet fühlen, wird dies hingegen lächerlich gering honoriert.

Zu falschen Prioritäten in Krankenhaus und Praxis kommen halbherzige Bemühungen im Bereich der Vorsorge. Niederschwellige Angebote, gesünder zu leben, sich gesünder zu ernähren und den Alltag in Beruf wie Freizeit gesünder zu gestalten, gibt es von Krankenkassen wie auch gesundheitspolitisch zu wenig. Im deutschen Gesundheitswesen steckt viel Geld und Potenzial. Es wäre schade, den Abstieg kommen zu sehen, aber weiter noch mehr Geld in das Falsche zu investieren.

© SZ vom 25.11.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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