Tutzing:Die Teflon-Abperltechnik

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Kulturschaffende diskutieren mit Wolfgang Heubisch über ihre finanziellen Probleme. Der Kunstminister fühlt sich nicht zuständig - und erteilt staatlich verordneter Kultur eine Absage.

Reinhard Palmer

Tutzing Kulturgespräch Tutzing, Midgardhaus -Häring, Kulturgespräch, vorne sitzend v.l. Martin Piehler, Katharina Kreye, Ralf Kirberg, Elisabeth Carr, stehend Wolfgang Heubisch. Foto: Georgine Treybal (Foto: Georgine Treybal)

Ob nun Wahlveranstaltung oder nicht: Die Organisatorinnen dieses Auftakts einer zur Fortsetzung angedachten Veranstaltungsreihe, die FDP-Kreisvorsitzende und Kulturreferentin Sigrid Friedl-Lausenmeyer, sowie Annette Schmitt vom Liberalen Arbeitskreis Kunst & Kultur, machten hier ein mächtig unter Druck stehendes Ventil auf. Ein leichtes Spiel wurde die Podiumsdiskussion in Tutzing für den Staatsminister für Forschung, Wissenschaft und Kunst Wolfgang Heubisch nicht. Sowohl die Podiumsgäste als auch die aktiven Kunst- und Kulturschaffenden des Fünfseenlands im Publikum, die am Samstagmorgen in die Härings's Wirtschaft im traditionsreichen Midgardhaus zahlreich erschienen waren, stellten der aktuellen Situation der Künstler und Kunstvermittler wie schon seit Jahrzehnten ein inakzeptables Zeugnis aus.

Auch in dieser Legislaturperiode ist also nichts Nennenswertes zur Verbesserung der prekären Lage der Kreativwirtschaft im künstlerischen Sektor passiert. Das Interesse an den Klagen und die Empörung des Ministers über die Missstände kamen eine Woche vor den Wahlen allenfalls für neue Versprechen noch rechtzeitig. "99 Prozent Transpiration und ein Prozent Inspiration" (nach Edison), mit denen Elisabeth Carr als im Landkreis verdiente Veranstalterin (Kunsträume am See) auf dem Podium ihre Tätigkeit umriss, sind keine Rahmenbedingungen für die Entfaltung der Kunst. "Der Künstler lebt nicht vom Applaus alleine": Für dieses Bewusstsein müsse gesorgt werden.

Dass Künstler bei den Bayerischen Kultur- und Jugendkulturtagen ehrenamtlich zu arbeiten hatten, wie Fotokünstlerin und Landkreis-Kulturpreisträgerin Katharina Kreye selbst erfahren musste, schien auch Friedl-Lausenmeyer trotz Mitverantwortung nicht bewusst. Von seiner früheren unternehmerischen Berufstätigkeit her gewohnt zu analysieren, nannte der Pöckinger Ralf Kirberg - geladen als Initiator und Vorstand von "sculptor network", einer europäischen Plattform der zeitgenössischen dreidimensionalen Kunst - einige Ursachen: "Die Glückseligkeit" bezüglich der kulturell und finanziell allzu gesegneten Region führe das Unverständnis für die Honorierung des schönen Tuns herbei. "Ich vermisse Spannung, auch Kontroverse", sagte Kirberg ferner. Das Fehlen vor allem des jungen Publikums sowie einer Kunstszene waren nicht minder treffende Argumente.

"Die Wertschätzung für die Kunst ist vor allem bei Männern gering": Das konnten schließlich alle bestätigen, und Kreye, die sich für mehr Ausstellungsräume stark machte, setzte nach: "Der Künstler wird nicht ernst genommen." Und es fehle immer an Geld, was den aufs Podium geladenen Bildhauer und Maler aus Herrsching, Martin Piehler, besonders trifft, sind doch gerade Bildhauer von Aufträgen im öffentlichen Raum abhängig. Ein nicht immer qualitativ hinreichendes Überangebot und die Verfügbarkeit im Internet entzögen der Kunst den Reiz des Besonderen, lautete ein weiteres Statement aus dem Fachpublikum.

Kunstminister Heubisch zeigte Verständnis für die Sorgen und Nöte der Künstler, übte sich aber ansonsten in der bewährten Teflon-Abperltechnik: Er verwies auf die Verantwortlichkeit der Kommunen, ermutigte zum individuellen Kampf um Entlohnung nach den Regeln sozialer Marktwirtschaft und schob sogar die finanzielle Verantwortung für die Kreativwirtschaft dem Wirtschaftsministerium zu. Lediglich für finanzielle Zuschüsse bei Einzelprojekten - "es muss auch nicht immer nachhaltig sein" - räumte er eigene Zuständigkeit ein und versprach, "ein formloser Antrag reicht aus".

Mit der Verwunderung darüber, dass Künstler für Ausstellungen keine Gagen bekämen, bewies Heubisch, dass er sich über die Pflege historischen und traditionellen Kulturguts hinaus für Gegenwartskunst nur nebenbei verantwortlich fühlt. Das stand im Gegensatz zu der in Tutzing verkündeten Gleichwertigkeit der Kunst mit Wissenschaft und Forschung und kollidierte mit der Zustimmung, Kunst als forschende Disziplin könne unkonventionell bei der Lösung alltäglicher Probleme helfen, wie Kirberg formulierte.

Das in der Runde gestellte Thema "Die Region Fünfseenland und ihr Standortfaktor Kultur oder braucht junge Kunst weltläufigen Wandel?" geriet schnell in den Hintergrund. Denn Kulturschaffende kämpfen immer noch mit Bürokratie, Bauvorschriften und existenziellen Problemen an der Basis. Besonders gerne hörten die Veranstalter Bemerkungen zum Thema Selbstvermarktung. Doch der von Kreye vorgebrachte Einwand, künstlerische Qualität müsse die Entwicklung der Kunst vorantreiben, nicht etwa die Marketing-Fähigkeiten, bleibt definitiv ein unerschütterliches Argument dagegen. Absurd erschien schließlich Heubischs Abschreckungsszenario der "staatlich verordneten Kultur" nach planwirtschaftlichem Prinzip, die angeblich mit einer staatlichen Grundsicherung der künstlerischen Existenz einhergehen würde. Sich mit solchen Plattitüden aus der Verantwortung zu stehlen, ist für den führenden Kulturpolitiker des Freistaats ein Armutszeugnis.

© SZ vom 10.09.2013 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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