Prozess in München:"Hass, Wut, Zorn, Hilflosigkeit und Trauer"

Lesezeit: 3 min

Ein 44-Jähriger ist wegen fünffachen Mordversuchs und Körperverletzung angeklagt. (Foto: dpa)

In dieser Stimmung ist ein Mann in Pöcking mit seinem Auto auf seine Lebensgefährtin und vier weitere Menschen zugerast. Vor Gericht gesteht der 44-Jährige die Tat, ein Mordversuch sei es nicht gewesen.

Von Andreas Salch

Als Andreas G. seine Lebensgefährtin auf einem Gehsteig in Pöcking im Landkreis Starnberg stehen sieht, tritt er aufs Gaspedal. Auf mindestens 50 Kilometer pro Stunde soll der 44-Jährige seinen silberfarbenen VW Golf beschleunigt haben. Es ist der Nachmittag des 26. Mai vergangenen Jahres. Jennifer S. ( Name geändert) hat ihr erst eineinhalb Jahre altes Kind bei sich. Neben ihr stehen noch zwei Frauen und ein Mann, als Andreas G. mit seinem Auto auf die Gruppe zurast. Kurz bevor es zur Kollision kommt, tritt er jedoch abrupt auf die Bremse. Sein Auto prallt dennoch mit solcher Wucht gegen einen geparkten Mercedes, dass sich Jennifer S. und die anderen drei Erwachsenen, die in unmittelbarer Nähe des Mercedes stehen, leichte bis mittelschwere Verletzungen zuziehen. Das Kind von Jennifer S. erleidet einen Schock. Seit diesem Donnerstag ist Andreas G. vor der Schwurgerichtskammer am Landgericht München II angeklagt. Ihm wird fünffach versuchter Mord zur Last gelegt.

Laut den Ermittlungen der Staatsanwaltschaft wollte sich Andreas G. an jenem Tag an seiner Lebensgefährtin rächen. Jennifer S. hatte am Morgen des 26. Mai 2020 gegen den Willen ihres 44-jährigen Partners in einer Klinik in München einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen. Es sei das zweite Mal gewesen, dass sie sich in der rund ein Jahr dauernden Beziehung mit Andreas G. zu diesem Schritt entschieden habe, sagte die 23-Jährige am Donnerstag bei ihrer Aussage. Andreas G. sitzt seit der Tat in Untersuchungshaft. Nach der Tat war er geflüchtet. Drei Männer versuchten ihn zu stoppen, während er seinen Pkw wendete. Zwei von ihnen wurden dabei leicht verletzt. Andreas G. raste davon, auf der Staatsstraße nahe dem Starnberger Ortsteil Perchting fuhr er aus Verzweiflung und "in suizidaler Absicht" gegen eine Baum, wie es in einer Erklärung seines Verteidigers Matthias Trepesch heißt. Als Andres G. in einem Krankenhaus wieder erwachte, trug er Fesseln.

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Zum Auftakt des Prozesses sagte der 44-Jährige, es tue im leid, was geschehen sei, machte aber selbst sonst keine Angaben zu der Tat. In einer Erklärung, die Rechtsanwalt Trepesch verliest, räumt G. die Tat ein. Rechtsanwalt Peter Pospisil, der zweite Verteidiger, macht deutlich, dass er die Merkmale für den fünffachen versuchten Mord, die die Anklage auflistet - unter anderem niedrige Beweggründe, Heimtücke -, nicht erfüllt sieht. Der Angeklagte sei von dem Versuch, seine Lebensgefährtin zu töten, zurückgetreten. Außerdem verwies Pospisil darauf, dass sich Andreas G. in einem "psychischen Ausnahmezustand" befunden habe. Er habe sich völlig spontan zu der Tat entschieden.

Am Morgen des 26. Mai hatten Andreas G. und seine Lebensgefährtin noch gemeinsam gefrühstückt. Jennifer S. hatte ihrem Partner nichts davon erzählt, dass sie wenig später nach München fahren werde, um einen Schwangerschaftsabbruch machen zu lassen. Andreas G. fuhr zur Arbeit. Da er Jennifer S. am Handy nicht erreichte, fuhr er wieder zurück nach Pöcking. Ein Nachbar, den er traf, sagte ihm, seine Partnerin habe Blutungen gehabt, vermutlich habe sie ihr Kind verloren. Andreas G. fuhr, wie er später einem psychiatrischen Sachverständigen berichtete, sofort nach München. Zuvor kaufte er noch Rosen. "Ich habe ihr nur zur Seite stehen wollen, weil sie das Kind verloren hat", habe der Angeklagte erzählt, so der Sachverständige.

In der Klinik erfuhr Andreas G. dann aber, dass seine Partnerin in Wirklichkeit eine Abtreibung hatte. In diesem Moment habe sich seine Stimmung in "Hass, Wut, Zorn, Hilflosigkeit und Trauer" verwandelt, erklärt Rechtsanwalt Matthias Trepesch. Inzwischen waren auch Polizisten in das Krankenhaus gekommen. Der Nachbar, der Andreas G. gesagt hatte, das seine Partnerin angeblich ihr Kind verloren habe, hatte die Polizei alarmiert. Er wusste, dass der 44-Jährige angeblich mitunter aggressiv reagiert. Die Polizisten erteilten G. einen Platzverweis für das Krankenhaus. Jennifer S. berichtete bei ihrer Vernehmung am Donnerstag dem Vorsitzenden Richter Thomas Bott, dass ihre Nachbarn, die sie nach München begleitet hatten, ihr später erzählten, sie hätten Andreas G. in der Klinik getroffen, nachdem er den Platzverweis von der Polizei bekommen hatte. Dabei soll er zu ihnen sinngemäß gesagt haben: "Ihr werdet euer blaues Wunder noch erleben."

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