Kira Weidle im Porträt:Starke Beine, starker Kopf

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Die 21-jährige Starnbergerin startet bei den Olympischen Winterspielen in Südkorea. Die Skirennläuferin will als Außenseiterin überraschen.

Von Carolin Fries, Starnberg

Die rechte Gesichtshälfte verkratzt, Pflaster und blaue Flecken auf Wange und Stirn - und sie steht trotzdem oben am Start, um sich die wohl gefährlichste Strecke der Saison hinunterzustürzen. Das ist Kira Weidle, 21 Jahre alt, Skirennfahrerin aus Starnberg. An diesem Montag fliegt sie als einzige Athletin aus dem Landkreis zu den Olympischen Spielen nach Pyeongchang. Bislang läuft alles nach Plan, wenn man das so sagen kann. Bislang folgte auf ein schlechtes Rennen meist ein sehr gutes Rennen. Die Olympia-Premiere in Garmisch-Partenkirchen ging eher daneben.

Bislang folgte auf ein schlechtes Rennen meist ein sehr gutes Rennen. (Foto: Domenico Stinellis/ap/dpa)

Ein 19. und ein 34. Platz waren es am vergangenen Wochenende auf der Kandahar. "Mein Gesicht ist keine Ausrede", sagt sie im Ziel. Das ist so ein typisches Kira-Weidle-Statement. Es gibt bei ihr grundsätzlich keine Ausreden. Wenn sie schlecht gefahren ist, ist sie schlecht gefahren. Punkt. Sie löst den geflochtenen Zopf, der eben noch wie ein Schweiß im Wind flatterte und steckt sich die braunen Hare hoch. Abgehakt. Sie wollte die Heimrennen unbedingt fahren, um sich womöglich noch für das Weltcup-Finale Mitte März im schwedischen Are zu qualifizieren. Sie sei ja auch fit, grundsätzlich gut in Form. Nur die Leistungen, die sind entweder Top oder Flop, "dazwischen gibt es gerade nichts", sagt sie. Und klingt ein bisschen hilflos.

Zweimal ist sie in dieser Saison unter die besten Zehn gefahren. In Lake Louise war es der achte Platz, in Cortina D'Ampezzo war es der neunte Rang. "Ich weiß, dass ich schnell sein kann", sagt die Starnbergerin. Dieses Wissen nimmt sie mit nach Korea, außerdem ihre Eltern, einen guten Freund der Familie und Maskottchen "Zauchi", eine Stofftier-Kuh mit Hosenträgern. "Die haben wir ihr zu ihrem ersten Weltcup-Rennen in Groß anfertigen lassen", sagt ihr Vater Günther Weidle. Dass er das unhandliche Getier nun nach Südkorea transportieren muss - damit hätte er nicht gerechnet.

Mit sechs Jahren macht Kira Weidle noch Leichtathletik. (Foto: Ludwig Stuffer)

Er ist nicht bei jedem Rennen dabei, nur dort, "wo die Location toll ist". Und in Garmisch, weil es nur eine Autostunde von daheim entfernt liegt. Knapp 100 Fans hatte er am vergangenen Wochenende organisiert, die Kiras Namen schrien und ein Plakat für die "Speed Queen" hissten. Was muss das für ein Gefühl sein, wenn man auf der Kandahar Himmelreich, Eishang und Hölle passiert hat und schließlich mit mehr als hundert Stundenkilometern die Zielkurve nimmt und ins Ziel brettert? Überhaupt diese irre Geschwindigkeit? "Das taugt mir", sagt Kira Weidle im Ziel.

Es ist ihre zweite Weltcup-Saison, sie ist noch ein Küken im Rennzirkus der Weltelite und doch kennt sie die Strecken und die Konkurrenz inzwischen. Ihr Sportlerleben besteht aus viel Routine - und regelmäßigen Premieren. Im vergangenen Jahr war es ihre erste Weltmeisterschaft in St. Moritz, heuer werden es die Olympischen Spiele in Südkorea sein. Sie hatte Pyeongchang gar nicht auf dem Zettel, qualifizierte sich völlig überraschend mit ihrer guten Platzierung in Kanada. "Ich glaube, wir haben es damals schneller registriert, als die Kira", erzählt Vater Günther. Die Freude war groß. "Doch wir machen da keinen Hype", sagt er. Sie sehen sich kaum. Günther Weidle arbeitet in der Textilbranche, Mutter Martina ist ebenfalls berufstätig, die Tochter verbringt viel Zeit am Olympia-Stützpunkt im Allgäu und bei den Rennen. Das Kinderzimmer im Elternhaus wird nur selten in Anspruch genommen. Die letzten Tage vor dem Abflug entspannt die Tochter hier. "Noch einmal die Füße hochlegen, Familie und Freunde genießen. Ich will in Südkorea erholt sein", hatte sie gesagt.

Die Leistungen sind entweder Top oder Flop, "dazwischen gibt es gerade nichts", sagt Kira Weidle. Hier waren sie top. (Foto: Paul Schmidt)

Die Familie kommt aus Stuttgart, Kira Weidle ist sechs Jahre alt, als sie in den Landkreis zieht. Die Eltern sind skibegeistert, Kira und auch ihr zwei Jahre älterer Bruder Luis trainieren beim SC Starnberg. Der Vater fährt hin und wieder mit den Kindern um die Wette, "Kira hat noch nie gegen mich gewonnen", sagt er und lächelt stolz. Dazu muss man sagen, dass das letzte Duell schon eine Weile zurückliegt, damals war Kira elf Jahre alt. Da war sie schon recht schnell auf den Brettern unterwegs, vereinte Talent und Leidenschaft. Vor allem aber ihr eiserner Willen beeindruckte.

Ihr Jugendtrainer Matthias Pohlus erinnert sich daran, dass sie schon als Achtjährige davon sprach, Weltcup-Fahrerin werden zu wollen. Der Unterschied zur dahingequakten Träumerei: Sie habe beharrlich an diesem Ziel gearbeitet. "Irgendwann überholt der Fleißige den Talentierten", sagt Pohlus. Kira Weidle kämpft sich konsequent nach vorne, wird in den DSV-Nachwuchskader aufgenommen, wechselt nach der zehnten Klasse auf das Sportinternat nach Oberstdorf, gewinnt 2015 die Deutschen Junioren-Meisterschaften in der Abfahrt und im Super-G und schließlich die Abfahrtswertung im Europacup. Bei den Junioren-Weltmeisterschaften holt sie mit einem dritten Platz ihre erste Medaille. Das Skifahren ist jetzt ihr Beruf. Nebenbei studiert die Sportsoldatin Betriebswirtschaftslehre. "Sie braucht auch was für den Kopf", sagt ihr Vater.

Der Starnberger Ski-Club gratuliert mit einem Transparent an der Autobahnzufahrt zur Olympia-Qualifikation. (Foto: Georgine Treybal)

Überhaupt der Kopf. Bei Trainern punktet Kira Weidle stets, weil sie die Anweisungen auf der Piste umsetzt. Sie verlässt sich nicht nur auf die starken Beine, das Material und die Technik. "Sie fährt mit dem Kopf", sagt ihr Vater. Ex-Bundestrainer Markus Anwander traut ihr zu, sich in den nächsten Jahren im Vorfeld platzieren zu können. "Wir setzen auf Kira", sagte er in St. Moritz. Das macht Mut und gibt Selbstvertrauen. Zwei Rennen wird sie in Südkorea absolvieren, den Super-G am 19. Februar und die Abfahrt am 21. Februar. Sie will Vollgas fahren und zugleich lässig, "ich hab' nichts zu verlieren. Als Außenseiter, kann ich nur überraschen". Die Pisten scheinen nach dem Geschmack der Starnbergerin zu sein. "Ich habe gehört, es soll sehr kalt sein und einen griffigen Kunstschnee geben. Das liegt mir." Mit Victoria Rebensburg, der deutschen Medaillen-Hoffnung, hat sie die ideale Zimmergenossin. Ihr Rückflug ist für den 21. Februar gebucht. Gerade so, dass sie zuhause in Starnberg ihren 22. Geburtstag am 24. Februar feiern kann. Und vielleicht noch mehr.

© SZ vom 10.02.2018 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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