Der Protest hält an:"Keine Ruhe, bis der letzte Reaktor vom Netz ist"

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Vor 25 Jahren havarierte die Nuklearanlage in Tschernobyl, seitdem kämpft Karin Wurzbacher mit "Mütter gegen Atomkraft".

Blanche Mamer

Starnberg - Am 26. April 1986 havarierte der Atomreaktor von Tschernobyl in der Ukraine, knapp 1400Kilometer von München entfernt. Nach langer Trockenperiode ging am Nachmittag des 30.April ein lauer Sommerregen über dem Süden Münchens nieder - und mit der Wolke kam die Radioaktivität über den Landkreis Starnberg. Zehn Tage später, am Muttertag, initiierten einige Mütter - darunter die Starnberger Physikerin Karin Wurzbacher - eine Demonstration am Marienplatz und später den Verein "Mütter gegen Atomkraft". Die SZ fragte nach ihren Erfahrungen.

25 Jahre ReaktorunfallTschernobyl ARCHIV - Blick auf den zerstörten Unglücksreaktor 4 des Kernkraftwerkes Tschernobyl, (Archivfoto vom 07.04.2011). Das bisher folgenreichste Unglück in der Geschichte der zivilen Nutzung der Atomenergie ereignete sich am 26. April 1986. Foto: Ulf Mauder dpa/lsw (zu lsw Themenpaket 'Strahlung aus der Wolke - 25 Jahre Tschernobyl' vom 19.04.2011) +++(c) dpa - Bildfunk+++ (Foto: dpa)

Frau Wurzbacher, hätten Sie vor 25Jahren gedacht, dass der Kampf gegen die Atomkraft so zäh und langwierig werden würde?

Nein, wir hatten auf ein Umdenken gehofft und glaubten, die Politik werde erkennen, wie gefährlich Energienutzung durch Atomreaktoren sei. Es dauerte knapp 20 Jahre, bis die rot-grüne Koalition den Atomausstieg bis 2020 beschloss.

Hatte der Vorstand der "Mütter" nicht sogar überlegt, den Verein aufzulösen?

Es gab den Gedanken. Aber dann haben wir beschlossen, erst Ruhe zu geben, wenn der letzte Reaktor vom Netz ist.

Mit der Aussicht war es ja dann im Herbst 2010 mit der Laufzeitverlängerung für Atomkraftwerke vorbei. Und jetzt Fukushima: Wie war das, als Sie von der Atom-Katastrophe in Japan hörten?

Das war wie ein Déjà-vu. Das Chaos hat sehr an Tschernobyl erinnert. Für die Menschen dort ist es ein schlimmes Unglück. Und wenn ich an die Kinder aus der Region um den japanischen Reaktor denke, wird mir ganz bang. Wir hier in Starnberg sind diesmal nicht direkt betroffen, weil Japan doch weit weg ist.

Man dachte damals, es sei das kommunistische Regime der UdSSR, das für die katastrophale Informationspolitik verantwortlich sei. Doch in Japan ist es nicht anders.

Die Informationen tröpfeln genau so spärlich wie nach dem Unfall in der Ukraine. Doch Japan ist ein hochindustrialisiertes Land, man glaubte, es würde die Atomenergie beherrschen. Aber es zeigt sich, dass genau das gleiche Chaos herrscht und die gleichen Fehler gemacht wurden wie 1986. Dabei hätte man doch aus dem GAU lernen müssen. Ich denke inzwischen, dass die Reaktion der Betreiber und Politiker überall auf der Welt so ähnlich funktionieren wird. Bei Harrisburg war es ja ebenso.

Glauben Sie an ein Umdenken und den geplanten Ausstieg in Deutschland?

Die ältesten deutschen Reaktoren, etwa die 1969-Baureihe, werden wohl abgeschaltet bleiben. Die Aussagen der Politik dazu waren ziemlich eindeutig. Und aus alten Meilern können selbst durch Nachrüstung keine neuen gemacht werden. Es reicht nicht aus, Reaktoren so zu bauen, dass sie nur einem Erdbeben der Stärke, wie bislang in der Region aufgetreten, standhalten. Fukushima war zwar gegen Erdbeben ausgelegt, aber nicht gegen eins dieser Stärke. Biblis beispielsweise würde ein stärkeres Beben nicht überstehen.

Gab es nach Fukushima viele Anfragen beim Umweltinstitut?

Wir wurden überrannt. Viele Menschen waren sehr beunruhigt, wollten Geigerzähler und Jodtabletten. Man merkte die innere Angst nach den Erfahrungen mit Tschernobyl.

Was haben Sie bei ihren Messungen herausgefunden?

Wir haben geringe Spuren von Jod in Regenwasser und frisch gemähtem Gras gefunden. Die Konzentration in der Luft ist aber so gering, dass wir bisher keine erhöhte Aktivität mit der Außenüberwachung in Höhe der ersten Etage feststellen konnten. Cäsium, das eindeutig Fukushima zugeordnet werden kann, haben wir bisher nicht nachgewiesen.

Kann man also beruhigt sein?

Ja, im Moment. Es hängt jedoch von der Wetterlage und den weiteren Emissionen ab. Niemand weiß genau, wie es sich weiterentwickeln wird.

Kann man noch Fisch essen?

Ja. Hierzulande kommt Fisch für Sushi hauptsächlich aus dem Atlantik, Sojasoße aus Holland. Es gibt nur wenige Lebensmittel aus Japan, vielleicht Algenblätter, Gewürze, getrocknete Pilze.

Welche Aktionen planen sie heute?

Wir halten ab Mittag eine Mahnwache auf dem Marienplatz. Neben den "Mütter gegen Atomkraft" werden die Initiative "David gegen Goliath" und das Umweltinstitut München für Informationen zur Verfügung stehen. Ich denke, es ist wichtig, dass wir präsent bleiben und weiter die Öffentlichkeit informieren und aufklären. Es war schließlich eine sehr wichtige Demonstration, die zur Gründung der "Mütter gegen Atomkraft" führte, als wir am Muttertag 1986 am Marienplatz verstrahlte Blumen niederlegten und unsere Entschlossenheit zeigten, uns nichts vormachen zu lassen.

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Interview: Blanche Mamer

© SZ vom 26.04.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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